Ästhetische Verwertung


1. „Heirat“

II, 5: Herr Willibald. „Eu. Gnaden können mich nicht mehr verbinden, als wenn Sie mir eine Gnade erweisen, die einer Schwiegermutter so anständig ist, und die ich allemal mit dem äußersten Danke erkennen werde.“ — nämlich, sein „bürgerliches“ Verhalten zu kritisieren. Galanter Redestil wie bei Talander. Die Adligen selber sprechen nicht so gesetzt. Situationskontext: die Höflichkeit, die man ihm beibringen will, ist die adlige, aus der Not des Geldmangels herrührende „Tugend“, Damen mit dem Westenzipfel statt mit Handschuhen zu führen. Diese Hungerleider haben überhaupt keine „Gnade“ zu erteilen, für die Willibald dankbar zu sein hätte. Zugleich komische und satirische Wirkung, indem sich das Prestige-Kapital als hohl erweist, weil kein materielles dahintersteht. Daß das Besitzdenken hier angewendet wird, erschiene emanzipatorisch, klassenbewußt, wenn Willibald ironisch spräche. Wie die Dinge liegen, fällt er aber auf den Schein eines echten Tauschverhältnisses herein. Er macht sich vom Adel noch zu hohe Vorstellungen. Später wird er bekehrt. Dadurch wird das Besitzdenken desavouiert, aber nur, insofern es auf adlige Wertbegriffe Anwendung hatte. Man kann sagen, der galante Typus des Besitzdenkens (Typ I) wird durchschaut und aus unverstellt kaufmännischem Gesichtspunkt kritisiert.

II,9: Herr Willibald. „Ich leugne nicht, daß ich mein Geld nicht besser anzuwenden weis, als wenn ich davon eine Person zu unterhalten suche, die nebst allen ihren Reizungen, noch die Vorzüge einer uralten adelichen Geburt besitzt.“ Die syntaktisch verwinkelten Beziehungen des Geldes zu den ästhetischen und sozialen Gütern der Braut scheinen mir im Sinne eines einfachen Tauschprozesses interpretierbar, wenn man berücksichtigt, daß der persönliche Besitz der Braut normalerweise in das gemeinsame Vermögen der Eheleute eingeht. (Besitzdenken Typ II)

Fräulein Amalia. „[…] Sie werden mit Verdruß und Reue sehen, daß Sie für Ihr großes Vermögen, wofür Sie sich unter Ihres gleichen, die vortrefflichste Person in und außer Landes hätten wählen können, keine Ahnen, keinen Adel, sondern nur die Vorwürfe Ihres bürgerlichen Standes, und die Beschimpfung Ihres wackern Vaters im Grabe, gekaufet haben.“ Im Konjunktiv erscheint hier ein positives Gegenbild der Satire, das nichtsdestoweniger in der Form des Besitzdenkens gegen das „galante“ Besitzdenken ausgespielt wird: Ein „vernünftiger“ Tauschprozeß wäre möglich, in dem die Ehepartnerin mitsamt ihren Vorzügen als auszuwählender Marktartikel fungiert. (Besitzdenken Typ III) Unterschied zum bisher versuchten Handel: Es findet keine Übervorteilung statt. Hier darf man aus heutiger Sicht skeptisch sein, allerdings im Hinblick auf die andere Partei.

III, 2: Herr von Zierfeld. „[...] Sie sollen sehen, was die innern Vorzüge für eine Gewalt auf das Herz einer Schönen haben. Aber wenn Willibald den Verstand nicht hat, den ich besitze, so kann ich auch wieder nichts dafür. — Fräulein Philippine. Ey, das versteht sich von selbst. Wo nähme er den Verstand her? Der muß einem angebohren seyn. — Herr von Zierfeld. Das ist eben mein Glück! Glauben Sie nur, wenn mir der Verstand nicht angebohren worden wäre, ich hätte, meine Seele! nicht gewußt, wo ich welchen herbekommen hätte.“ Situationskontext: er hat eben keinen. Man muß annehmen, daß der Vorzug adliger Geburt nicht unbedingt mit dem angeborenen Verstandes zusammenfällt, ja mehr noch, daß es den Verstand zum großen Teil erst zu erwerben gilt. Man könne die vollen Kräfte des menschlichen Verstandes erst erwerben, indem man ihn zu gebrauchen lernt, sagt Wolff. [In der Vorrede zu seiner 1713 erschienenen Logik.] Das heißt also, daß der Bürgerliche auch in geistigen Dingen sein Grundkapital mehrt, während der Adlige es durch Verachtung der Gelehrsamkeit verschlampt. Eine bezeichnend parteiliche Stellungnahme; Besitzdenken des Typs III, der zum Sprachgebrauch der Leipziger Aufklärung gehört und der Meinung der Autorin entspricht. Hier freilich noch als kämpferische Aussage, nicht behäbig eine Überlegenheit herauskehrend.

2. „Müßiggänger“

I, 1: Fortunat. „[…] Ich will sie abzeichnen, wie sie leben. Setzen sie sich nur: es währt nicht lange. — Sylvester. Behüte Gott, nein! das Ding kostet euch Zeit, und kostet euch Geld.“ Situationskontext: die Haltung des zentralen Charaktertyps zur Zeit wird als lasterhaft oder doch närrisch denunziert. Dies geschieht auf gleiche Weise wie bei der Beurteilung des Geschäftslebens, das zum Teil, aber nur zum Teil, ursächlich damit zusammenhängt. Besitzdenken entsteht also nur durch den moralischen Sinn, der den Wörtern vermittelt ist durch die Funktion der Person im Stück und durch die gesellschaftlich erstmalig vorgegebene Möglichkeit, daß ein Bürgerlicher über seine Zeit wie über ein Zahlungsmittel mit mehr oder weniger Gewinn frei verfügen kann. Das letztere dürfte aber eine ideologische Verallgemeinerung sehr partikulärer Zustände darstellen. Die Familienverhältnisse müssen als recht verzwickt geschildert werden, damit ein Wesen wie Fortunat halbwegs wahrscheinlich aussieht. (Zweite Ehe einer Frau mit eigenem Vermögen.)

III, 5: Richardinn. „Meine Tochter quält mich immer, daß sie eine Uhr mit Secunden haben will. — Sylvesterinn. Mein Sohn martert mich fast zu tode, daß er zween große Spiegel haben will, damit er sich hinten und forne besehen kann, und damit er recht davor tanzen kann. — Richardinn. Meine Tochter weis in der ganzen Stadt am besten, um welche Zeit es ist. — Sylvesterinn. Mein Sohn weis in der ganzen Stadt am besten, welches die neuesten Arien sind.“ Es folgen noch je 12 rasche Wechselreden gleicher Syntax! Im Dialog selbst ist das Besitzdenken nicht aktualisiert, aber in seiner Anlage bedeutet der Dialog im Situationskontext eine Art Feilschen, in dem die Tugenden des Sohnes bzw. der Tochter gegenübergestellt werden nach dem Motto: Gleich und gleich gesellt sich gern. Die Mütter möchten nämlich, daß sie heiraten. Es will sich aber niemand etwas dabei vergeben [vgl. Macpherson: Bürgerliche Freiheit verschärft die Konkurrenz und gibt menschliche Bindungen dem Nutzen anheim]. Für beide Kinder wäre der beste Ehepartner gerade gut genug, meinen die Mütter, und treiben damit die Werte der Kinder in eine schwindelnde Höhe, die nicht ursächlich mit Aussteuer oder anderen materiellen Gegebenbeiten zusammenhängt. Wichtigster Maßstab des Wertes ist hier die Ordentlichkeit. Sie ist der im Berufsleben nötigen Ordentlichkeit gegenüber als Tugend der Intimsphäre verselbständigt (Besitzdenken Typ II). Und darin liegt sowohl die Komik der Lieschen-Szenen als auch die Ideologie, die Schlegel durch den Ausgang der Fabel dennoch zu bestätigen scheint.

III, 6: Sylvester. „Wenn ich die Hasenfelle für Fuchspelze verkaufte: so sprächen die Leute, ich wäre ein Betrüger. Und wenn ich sagte, mein Stiefsohn wäre so ordentlich, als Jungfer Lieschen: so sollten sie sprechen, ich wäre ein Lügner.“ Kein ausgeführtes Besitzdenken, aber Bedeutungsübertragung durch Parallelismus. Ebenso in III, 8: Sylvester. „Wenn Herr Renner auf die Märkte gienge; so versäumte er gewiß keinen.“ Konjunktivische Metapher: Renners Gebaren als Advokat und Privatmann ist gemeint. Die ideologische Komponente steckt im ästhetischen Detail; sie wird nicht aus der vorfindlichen semantischen Struktur der Sprache übernommen. Sie ist auch enthalten in der als Paradoxon formulierten Aussage, die Sylvester in IV, 1 über Fortunat macht: „Wenn er gleich gestohlen hätte? Sich selber bestiehlt er!“

IV, 3: Fortunat. „[…] ich muß den Verlust von ihrer Gesellschaft wieder einbringen.“ Der Form nach könnte ebenso gut eine Besitzmetapher vorliegen, aber nach der Abfassungszeit zu schließen, wird es wohl einmal Besitzdenken sein (Typ II). Es geht um Fortunats Chancen, Lieschen zu seinen Gunsten zu beeindrucken. Ironischerweise versäumt er dadurch den reellen Termin des geschäftlichen Prozesses, aus dessen Sphäre die Ausdrucksweise genommen ist. Das Besitzdenken hat sich also verselbständigt und ist bei Fortunat schon dysfunktional geworden. Eben darum versäumt er aber auch seinen Zweck bei Lieschen! Es ist darin eine Kritik am Besitzdenken des Typs III enthalten, die aber nur einen Teil desselben trifft und auf die Aussage hinausläuft, die Qualität sei der Quantität der Fertigkeiten vorzuziehen. Oder nach Lieschens Devise: „Ich lobe mir aber wenig, doch ordentlich.“ (V, 2.)

3. „Austern“

17: Liebegern. „[…] Aber, wo die Austern Dank verdienen; so bin ich ihnen denselben allein schuldig.“ Galantes Besitzdenken (Typ I) in einem Kompliment.

4. „Hausfranzösin“

I, 2: Wahrmund. „Mich dünkt, Sie besitzen schon viel Vollkommenheiten, die die jungen Herren sonst erst in Paris lernen. Zum Exempel eine gewisse Ungeduld alles zu fragen, und eine große Flüchtigkeit, keine Antwort zu erwarten.“ Situationskontext: Franz erfährt für ungehobeltes Benehmen eine Zurechtweisung. Die ironische Formulierung bestätigt aber das Besitzdenken ex negativo. Typ III. Es geht darum, daß zu viel Geld aufgewendet wird, um Franz geistige Güter zu verschaffen, die er billiger haben könnte.

I, 3: Jungfer Luischen. „Und warum soll er seines Vaters Bruder, der der wackerste Mann von der Welt ist, ihm schon unzählig viel Guts erwiesen hat, und noch ferner erweisen kann, nicht eben so viel Ehrfurcht erweisen, als den jungen parisischen Stutzern?“ Galantes Besitzdenken. Überhöht durch Typ I: Mademoiselle La Fleche. „Ich sage ihnen nichts mehr, als daß unsre Nation nun einmal en Possession ist, daß die Deutschen mit ihr viel höflicher umgehen müssen, als sie gegen ihre eigenen Landesleute thun.“

1,6: Jungfer Luischen. „[…] ein verunglückter Kaufmann, der durch eine gar zu unmäßige Verschwendung, an sich selbst, und an andern Leuten zum Diebe wird. — Mademoiselle La Fleche, Und warum soll eine artig eingerichtete Haushaltung einen Mann ruinieren? — Jungfer Luischen. Weil sie über seinen Stand ist.“ Besitzdenken Typ I. Das Geschäftsgebaren wird, als Privatsache, moralisch bewertet. Standesbewußt, solidarisch und patriotisch. Freilich auch partikulär, insofern der volkswirtschaftliche Nutzen privater „Laster“ nicht in Betracht gezogen wird. Man wird das aber schwerlich ideologisch nennen können, in einer Zeit, als Merkantilismus für deutsche Verhältnisse das einzig Vernünftige war und Orientierung an höfischen Moden nur der auswärtigen Wirtschaft zugute kam.

5. „Bock"

II, 1: Jungfer Suschen. „[…] Er hat meines Vaters Herz auch bereits in seiner Macht: und um das meine zu gewinnen, hat er sich alle ersinnliche Mühe gegeben. Aber das hatte ich Ihnen ja vorlängst geschenkt! Und Sie sollen es auch behalten. Er hat alles versucht, aber nichts gewonnen.“ Es könnte sich um eine ausgearbeitete Besitzmetapher handeln, die schon recht konventionell geworden ist („Willst du dein Herz mir schenken, so fang es heimlich an…“), oder schon um ein Besitzdenken Typ III. Hier als an einem Übergangsphänomen ist zu ersehen, wie eine bereits umgangssprachlich mögliche Ausdrucksweise in ästhetischem Kontext so ausgespielt werden kann, als handle es sich um eine rhetorische Form, die früher einmal innovativ war. Es hängt ganz vom Rezipienten ab, ob er diese ästhetische Überformung überhaupt noch als solche erkennt. Sie wird jedenfalls Zitatcharakter annehmen.

III, 6: Herr Zankmann. „[…] daß demselben an quaestionirten Wiederklägers eigenthümlichen Jungfer Braut, ganz kein Recht, weder in re noch ad rem, oder sonst irgend sonst einige Servitus zustehe; vielmehr Wiederkläger in dem ruhigen Besitz des iuris sponsaliorum vel quasi zu schützen, […]“ Der Sachverhalt des Besitzdenkens ist hier zwar keinesfalls erfüllt, da es sich um längst ursächlich zwingende Rechts-und Gesellschaftsverhältnisse handelt, die eine derartige Zeichenverknüpfung vorschreiben; es erscheint nichtsdestoweniger bedeutsam, daß eine derartige Vermengung der Sinnbezirke durch komische Bloßstellung auf mimischem Wege satirisch negiert wird. Man sollte meinen, es bestünde ein Interesse, Privat- und Geschäftssphäre so weit wie möglich zu trennen! Der Ausgang der Fabel argumentiert aber weniger gegen geordnete Rechtsverhältnisse im Privatleben als gegen Rechtsverdrehungen, die wegen undurchsichtiger Prozeßpraktiken möglich geworden sind.

6. „Testament“

I,1: Fräulein Amalie. „[…] Wer reich ist, der ist allein klug. — Fräulein Caroline. Wie? Was sagst du? — Fräulein Amalie. Ja, ja! wer reich ist, und andere Leute glücklich machen kann, vor dem muß sich alles schmiegen und bücken. — Fräulein Caroline. Andere Leute glücklich machen kann? Je! wer ist denn hier im Hause wohl glücklicher, die Frau Muhme, oder wir? — Fräulein Amalie. Unfehlbar sie! denn sie hat das Geld, worauf wir alle hoffen. — Fräulein Caroline spöttisch. Du darfst eben nicht wir sagen. Es giebt noch Leute im Hause, die auch ohne dieß Testament zufrieden seyn können.“ Besitzdenken Typ I wird hier von Caroline abgelehnt. Dies geschieht im Widerspruch zum Ausgang der Fabel. Mir scheint, es wird auch lediglich das Austauschverhältnis von „glücklich machen können“ zu „schmiegen“ bzw. „bücken“ von der Ablehnung betroffen, was wiederum aus Macpherson zu erklären wäre. Caroline argumentiert ideologisch wie Hoffmann, Amalie eigentlich situationsangemessen — aber eben nicht tugendhaft. Dies macht die Tugend zu einem geeigneteren Konversionspartner des Geldes als die Kriecherei und leitet dadurch über zu Besitzdenken des Typs III.

I, 5: Doctor Hippokras. „Ach! gnädige Frau, es giebt leider solche verdammte Menschen im Lande, die den jungen Leuten, welche nur einige Hoffnung zu einem Vermögen haben, durch Vorschuß eine Gelegenheit zu allen Lastern geben.“ Besitzdenken Typ I. Es scheint überhaupt, daß die Komödie gewisse moralische Implikationen des Geschäftslebens und Privatbesitzes thematisiere. Bis jetzt ist von einer erfreulichen Auswirkung des Besitzes noch nicht die Rede gewesen.

II, 4: Herr von Kreuzweg. „[…] wenn die Belohnungen allemal nach den innern Verdiensten ausgetheilet würden; so möchte die Frau Oberstinn wohl einen Unterschied unter zwoen Schwestern machen, deren Herzen mit sehr ungleichen Empfindungen gegen sie erfüllet sind. [Könnte Typ I sein, aber nicht bloß aufs Decorum, sondern durchaus auf die Moral bezogen.] […] Fräulein Caroline. […] Denkt sie aber anders: so werde ich doch allezeit den Trost haben [anstatt der Erbschaft], daß ich es besser um sie verdienet habe; und das ist mir genug. [Typ III. Ideologisch finde ich hier, daß die Bereitschaft zum Verzicht von dem Gedanken an geistige Güter gefördert wird, obwohl solche Güter in den geschilderten Umständen keinen Tauschwert haben — es sei denn, sie würden, wie es später auch geschieht, in Geld umgesetzt; und damit fiele wieder der Verzicht dahin.] — Herr von Kreuzweg. Ich versichere, daß ich dieses von Herzen wünschte, und daß es mir leid seyn sollte, wenn der Fräulein Schwester großes Vermögen, Ihnen gnädiges Fräulein ein Herz entziehen sollte, das Dieselben aufs vollkommenste verehret. [Man sieht schon: mit dem Tauschwert geistiger Güter ist es, jedenfalls bei Herrn von Kreuzweg, nicht weit her. Was er sagt, ist viel zu offensichtlich widersprüchlich, paßt nicht einmal zum Besitzdenken, um noch als Ideologie aufgefaßt zu werden; es ist eine blanke Lüge zu behaupten, man müsse ein Herz, das einen anderen Menschen „aufs vollkommenste“ verehrt, diesem Menschen verweigern, weil es nur gegen Vermögen und nicht gegen dieses Menschen geistige Güter ausgetauscht werden dürfe. Dieses Herz muß man sich doch wohl selbst als „geistiges Gut“ vorstellen! Entsprechend antwortet die Partnerin:] — Fräulein Caroline. Ich weis nicht, was Sie damit sagen wollen. Ich weis aber wohl, daß da mir der Eigennutz an meiner eigenen Schwester verhaßt ist; ich ihn noch viel weniger bey andern Personen leiden kann.“

II, 7: Frau von Tiefenbach sucht nach Gründen, die ihre zweite Heirat entschuldigen sollen. Sie tue es nicht aus Temperament, sagt sie, und ziert sich dabei. „Allein wer reich ist, der kann solche Fehler nicht an sich haben.“ Die im Besitzdenken Typ I mögliche Subjunktion „wenn einer reich ist, dann kann er Gutes tun“ wird unzulässigerweise verallgemeinert, ohne den Fall, Gutes zu tun, ohne reich zu sein, zu berücksichtigen; außerdem wird ein kontradiktorischer Gegensatz von "Fehler haben" und "Gutes tun" vorausgesetzt, was nach der Lehre von den verschiedenen Graden der Vollkommenheit falsch ist. Es ist klar: die Autorin meint hier gerade das Gegenteil und gibt im Zusammenhang der komischen Aktion diese Meinung der Lächerlichkeit preis, um das Besitzdenken Typ I satirisch zu treffen. Wieder einmal.

III, 5: Fräulein Caroline. „Sie zweifeln an meiner Redlichkeit, weil ich meines Geschwisters Bestes geredet: würden Sie mir aber mehr trauen, wenn ich mein Geschwister verleumdet hätte? — Frau von Tiefenbach sieht sie an und lächelt. Caroline, du hast ein vortrefflich Naturell, in der Welt arm zu bleiben.“ Die Redlichkeit, ein Gut der Seele, wird hier geradezu als Unterbegriff zur Armut gesetzt. Abgesehen davon, daß die Oberstin in Sachen Carolines ganz anders denkt als in ihren eigenen (im vorigen Beispiel), so liegt hier auch eine Ideologie nach Hoffmanns Muster vor. Der Ausgang straft sie Lügen, aber gerade daran erkennt man, daß die materielle Belohnung der Tugend ein keineswegs übliches, sondern wünschenswertes und deshalb propagiertes Geschehen ist. Für die Gottschedin ist die Welt, in der man mit einem guten Naturell arm bleibt, immer noch die gleiche wie für den bürgerlichen Politikus; aber sie entwirft schon eine bessere Ordnung der Dinge, in der man auch im Geschäftsleben und in der Öffentlichkeit mit den Tugenden der Intimsphäre reüssieren könne. Vielleicht ist es gerade deswegen bedeutsam, daß die Personen der Komödie aus dem Land- und Amtsadel genommen sind. Denen schwebt kein Glück im Winkel vor, sondern die Erfüllung administrativer Aufgaben für ganze Landstriche.

IV, 5: Herr von Wagehals. „[…] Die Wahrheit zu sagen, ich brauche zwar hauptsächlich Geld: aber ich sähe doch auch gern, daß meine künftige Frau Verstand hätte.“ Besitzdenken Typ II wird durch das Verhalten des Herrn von Wagehals zumindest zum Teil kritisiert. Was er Verstand nennt, ist nämlich nichts anderes als das Vermögen, ihn unwiderstehlich zu finden. Er ist ein rechter Narr, weil er seine Interessen unverblümt ausspricht. Von Decorum hat er keine Ahnung, und lasterhaft ist er auch, wie man später erfährt. Er glaubt auch an kein Jenseits. Es ist, als hätte die Aufklärung vor ihren Konsequenzen Angst bekommen. Das unverhüllte Macht-und Besitzstreben, das sich der Sprache des Besitzdenkens mit Selbstverständlichkeit bedient, ist wohl das Übelste, was sich die Satire der Gottschedin träumen läßt. Zum Glück wird es dadurch abgemildert, daß ja jeder so etwas durchschaut und Gegenmaßnahmen treffen kann, solange dieser Menschentyp noch nicht die Oberhand gewonnen hat. Worauf das aber im Krieg hinausläuft, davon ist in dieser Szene sehr wohl die Rede. Diese Szene könnte überhaupt von de Sade sein.

V, 2: Herr von Ziegendorf. „Ich weis nicht, wie heute zu Tage die Welt ist. Auch dasjenige sogar, was die Leute gern haben, und was ihnen gefällt, das soll man nicht mehr so gerade heraus sagen. […] — Fräulein Amalie. Ja die heutige Welt ist nun einmal feiner geworden. — Herr von Ziegendorf. Und darum seyd ihr lieben Leute doch noch kein Haar besser daran, als wir. Es kömmt doch endlich alles darauf hinaus, daß ihr einen Mann oder eine Frau kriegt: und das geschah zu meiner Zeit auch; aber wir kamen viel kürzer zu unserm Zwecke.“ Man könnte meinen, der Landrat nehme eine ähnliche Position ein wie der tolle Hauptmann. Wie er dartut, ist seine Offenheit aber darauf gerichtet, Dialogverhemmungen vorzubeugen, wie sie in der so fein gewordenen Welt möglich sind. Hinsichtlich der Notwendigkeit materieller Besitztümer und gesellschaftlich institutionalisierter Beziehungen zwischen Menschen hat sich aber nichts geändert. Diese Feststellung kann ich nicht ideologisch nennen, eher das Gegenteil.

7. „Hypochondrist“

II, 3: Herr Gotthard. „Aber, lieber Ernst, warum bist du nun schwermüthig? Es fehlt dir ja in der Welt an nichts. Du mußt dir nur immer was Gutes vorstellen, und wenn du es auch gleich nicht hast. — Ernst Gotthard. Und ich stelle mir gerade immer was Böses vor: was mir oft gar nicht einmal zustoßen kann. Darüber vergesse ich nun alles Gute, was ich wirklich besitze, oder doch haben könnte.“ Ich würde eigentlich hier kein Besitzdenken vermuten, das nicht handfeste Anlässe habe, wenn nicht der Situationskontext eine leichte Bedeutungsverschiebung ergäbe, wenigstens für das, was Ernst Gotthard sagt. Er hat nämlich Bedenken getragen, ob er nicht versehentlich seinen Vater durch eine Gebärde beleidigt haben könnte. Dadurch gerät "Gutes" und "Böses" in den Sinnbezirk der Moral, obwohl der Vater ursprünglich von ganz anderem gesprochen hatte. Also Besitzdenken Typ II. Ganz deutlich ist es jedoch nicht.

V, 5: Ernst Gotthard. „[…] Sollte es nicht dem Himmel und Ihnen gefallen, mir die Last so vieler martervollen Stunden, durch den Besitz ihrer reizenden Person nunmehr mit unverrückter Zufriedenheit zu vergelten?“ Ein galanter Heiratsantrag nach Besitzdenken Typ II. Klingt in der sonstigen sprachlichen Umgebung des Stückes recht formell und geschraubt, markiert aber passend den Höhepunkt des Glückswechsels.

8. „Unempfindlicher“

I, 1: „Sie weis es selber schon, wie sehr der Hochmuth itzt/ Mit Lastern seiner Art das Frauenvolk besitzt.“ Konventionen der Verssprache (Reim, Allegorie) führen in dieser Komödie zum Erscheinen des Wortes "besitzen" in obsoletem Gebrauch: Man besitzt nicht etwa das Laster des Hochmuts, sondern wird vom Hochmut besessen.

II, 4: Lottchen erbost sich über die Zumutung, Herrn Morgenschein zu heiraten: „Nein, mein Gesicht ist noch wohl etwas bessers werth,/ Und sie, Herr Vater, thun auch heute ganz verkehrt.“ Besitzdenken Typ III bzw. Typ II. Da Morgenschein und Friedlieb tatsächlich lächerlich gemacht werden, scheint es der Wirklichkeit zu entsprechen, daß eine Jungfer ihre Ansprüche auf einen Gatten je nach Schönheit hinaufschrauben kann. Das Geld Morgenscheins gilt dabei interessanterweise weniger als der Adel Schimmerreichs, und das wäre ideologisch; den Ausschlag gibt aber die Sachlage, daß Morgenschein alt und Schimmerreich jung und schön ist, wie das bei Komödien schon immer so gehandhabt wurde. Hier liegt weniger bürgerliches Klassenbewußtsein vor als die dauerhafte ästhetische Konvention populären Schauspielertheaters, der (schlechten) Verse unerachtet.

III, 6: Morgenschein. „Wie, soll ich sie nicht haben? — Frau Friedliebinn. — Nein, List und Eigennutz sind ihre besten Gaben,/ Gepriesner Dorfpatron; sie hat bereits ihr Theil. […] Ja, Lottchen hat ihr Theil, ich hab es schon gesagt;/ Sie nimmt sich einen Mann, den nicht der Geldgeiz plagt.“ Besitzdenken Typ II bezeichnet Lottchens Eigenschaften; mittels Besitzdenken Typ I, aber auf sehr ungalante Weise, wird zu verstehen gegeben, daß diese nicht zum Tausch stehen gegen die Eigenschaften des Geldgeizes und der Bäuerlichkeit.

IV, 1: Huldreich. „[…] Sie nur allein, Madam, sind mir bloß lieb und werth;/ Der Henker hole mich! das heißt sich gnug erklärt./ — Frau Friedliebinn. Ich seh zwar nicht, worzu mir dieß Geständniß nützet;/ Doch man ist froh, wenn man ein Herz allein besitzet.“ Im Situationskontext der unerlaubten, wenn auch nicht unbedingt sündhaften Beziehung zwischen beiden nimmt das Besitzdenken Typ II eine satirische Wirkung gegen das galante Wesen an. Hierin dürfte auch die Beziehung zu der satirischen Hauptabsicht der Komödie zu suchen sein. Ein weiteres Beispiel:

IV, 2: Freyberg. „[…] Noch mehr, ihr Lottchen hat auch sonsten schöne Gaben,/ Wenn sie mein Obrister nun zu Gesichte kriegt:/ So hoff ich, daß es sich mit leichter Mühe fügt,/ Daß seine Gunst mich hebt. Denn glauben Sies, ich sehnet Mich gar verteufelt sehr, nach einem Capitaine./ Und oftmals hilft die Frau in solchen Sachen viel.“ Das ist noch toller als das Verhalten des von Wagehals in „Testament“. Huldreich sagt dementsprechend „bey Seite. — Der Wagehals ist toll; er weis nicht, was er will.“ — Ein Beispiel für Besitzdenken Typ III, das nicht komisch oder satirisch eingesetzt wird, aber vielleicht vom Reimzwang herbeigeführt ist: Huldreich. „Ey, ey! mein Herr, was ist das für ein schlecht Bezeigen?/ Allein ich seh, es ist die Grobheit Ihnen eigen.“

9. „Witzling“

1: Herr Reinhard. „Ey, was sagt sie, Jungfer Lottchen! der junge Vielwitz sollte abgeschmackt seyn? Sein Vater ist ein so reicher Mann! ich wollte ihm wohl mein ganzes Vermögen creditiren. — Jungfer Lottchen lacht sehr. Der Reichthum hilft so wenig für Thorheit, als das Alter.“ Es geht wieder gegen Besitzdenken Typ I, und zwar vorerst ohne Komik, und wenn Jungfer Lottchen noch so sehr lacht. Übrigens scheint die gesellschaftliche Implikation der Satire gegen die Patrizier und oberen Ränge des Bürgerstandes zu zielen, denn bisher war tatsächlich Reichtum eine Voraussetzung der echten Gelehrsamkeit gewesen. Man mußte den Wissenschaftsbegriff erst ändern, bevor sie Allgemeingut der Bürgerlichen werden konnte. Dadurch gerieten die „Pedanten“ älteren Schlages ins Feuer der Kritik. Ob wohl der „Witzling“ eine neue Abart des Pedanten darstellt, die in ihrer Eigenart von der Autorin noch nicht begriffen wurde?

8: Jungfer Lottchen. „Nun das hätte ich mir von Ihnen nicht vermuthet, Herr Vielwitz. Für alle Höflichkeit und Ehre, die Ihnen in unserm Hause wiederfahren ist; ja ich sage mehr: für alles das Gute, was der alte Herr Reinhart, wie ich gewisse Proben davon habe, mit Ihnen noch im Sinne gehabt hat, dafür schreiben Sie Ihrem Vater so verächtlich von ihm? [Besitzdenken Typ I, allerdings mehr auf Moral als auf Decorum bezogen, wie sich anschließend zeigt.] Gesetzt, daß er auch so wenig Vernunft und Witz hätte, als Sie schreiben: so hat er doch ein redliches Herz, und dieß macht allemal ein besser Glück in der Welt, als der größte Witz; wenn er mit einem bösartigen, hochmüthigen und undankbaren Herzen verknüpft ist.“ Besitzdenken Typ III. Güter der Seele werden gegeneinander abgerechnet. Nur dadurch entsteht die vernichtende satirische Wirkung, daß aufgrund solcher Vorstellungen vom Seelenleben eine an sich belanglose Dummheit eines instabilen jugendlichen Charakters als lebensentscheidendes Defizit an Moral erscheint. Und so geht es weiter:

Jungfer Lottchen. „[…] Was ihn belanget! so versichere ich Sie, daß seine empfindlichste Rache an Ihnen, der Verlust seiner Freundschaft ist, die er Ihnen bisher ohnedieß nur aus Ehrfurcht gegen seinen Vater bewiesen hat. Die witzigen Köpfe hier in der Stadt […] die werden sich unfehlbar selbst rächen, und Ihnen gleiches mit gleichem vergelten.“ Worin die christliche Moral vollständig von der Moral des Besitzdenkens abgelöst wird. Ideologisch ist das im Hinblick auf die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht; es läßt im Gegenteil die lutherischen Rudimente der Weltanschauung dieser Kreise als Ideologie erscheinen.