August Bohse (Talander)


August Bohse (1661-1742) stammte aus einer mittelsituierten Bürgerfamilie zu Halle, „wo sein Vater D. Gottfr. Bohse Beysitzer des Schöppenstuhles war. Er studierte auf der Schule seiner Vaterstadt, zu Leipzig und Jena, wurde Hofmeister bey einem Herrn von Resler, ging wieder nach Leipzig, 1685 nach Hamburg, wo er drey Jahre lang jungen vornehmen Leuten Vorlesungen hielt, verfügte sich darauf nach Dresden, und that hier zwey Jahr desgleichen, kehrte zu seinem Vater nach Hause zurück, und setzte gleiche Bemühung fort.“ — Man hat ihn auf eine Anstellung ganz schön warten lassen. — „Nach seines Vaters Tode wandte er sich wieder nach Leipzig, und las über die Redekunst, wurde bey Herzog Joh. Adolph zu Sachsen-Weissenfels Secretair, wobey seine meiste Arbeit in Verfertigung der Singespiele bestand, welche bey Hofe aufgeführt wurden. […] 1700 kam er wieder nach Jena, ward Doctor der Rechte, und setzte seine Vorlesungen fort. Endlich wurde er als Professor auf die Ritteracademie zu Liegniz berufen, wo er auch gestorben ist.“ (s. Adelung, Fortsetzung und Ergänzungen zu […] Jöchers allgemeinen Gelehrten-Lexico, Bd.l.)

Angesichts dieses Lebenslaufes mag man eher danach fragen, welchen Soziolekt Bohse nicht gekannt und beherrscht habe, als danach, für welchen sein Pseudonym „Talander“ repräsentativ steht. Immerhin wird er von Wendland als einer der ersten und am meisten typischen Stilisten der galanten Epoche angeführt. In dieser Hinsicht also verspricht sein Briefsteller von 1709 ein lohnender Untersuchungsgegenstand zu werden, um so mehr, als es sich bei diesem umfänglichen Werk bereits um Bohses drittes derartiges Unternehmen handelt.

In seiner Brieftheorie unterscheidet Talander zwei Bereiche von Ursachen, aus denen, bzw. Zwecken, zu denen Briefe geschrieben werden: einerseits die "Höflichkeit", die zu den sogenannten "Gebührbriefen" führt, wobei "Gebühr" mit "Wohlstand" und "decorum" synonym ist — dieser Bereich bezieht sich auf die "Sittenlehre"; andererseits die "Notwendigkeit" und die "Schuldigkeit", aus denen "Geschäftsbriefe" geschrieben werden — dem Bereich des "Geschäfts" liegen teilweise die menschlichen Bedürfnisse zugrunde. „Die Bitt-Schreiben seynd eine Art der Geschäfft-Briefe/ welche so weit um sich greiffet/ als sich die menschliche Bedürffnis erstrecket.“ Dieser Unterscheidung zweier Bereiche entspricht die Aufteilung von Talanders Briefsteller in einen ersten Teil mit Höflichkeitsbriefen und einen zweiten Teil mit Geschäftsbriefen.

Wenden wir uns zuerst den einzelnen Spielarten der "Höflichkeit" zu. In einem "Anerbietungsschreiben" heißt es:

„Die viele Güte und Höflichkeit/ die ich nunmehr in das dritte Jahr unserer Bekanntschafft von ihnen genossen/ erfodert endlich von mir ein Zeugniß der würcklichen Vergeltung […]“, und daher vermittelt der Schreiber seinem Briefpartner eine Stelle als Hofmeister.

„Die Dancksagung vor genossene Höflichkeit und Wohlthaten ist eine so nöthige sache/ daß/ wer selbige vergißt/ des Guten/ so an ihn gewendet worden/ sich unwürdig machet/ und so leicht nicht wieder von dem Freunde oder patrone/ den er durch solche Grobheit unterlassenen Erkäntniß beleydiget/ einige zu gewarten hat.“

Die Höflichkeit wird also mit "Erkenntnis", oder nach heutigem Sprachgebrauch, "Erkenntlichkeit" erwidert, wenn sie mit Wohltaten verknüpft war; dabei zählt "Danksagung" aber auch „Anerbietung seines bereitesten Willens/ Dienste und Gefälligkeit“. Befindet man sich aber in der Lage, substantielle Gegenleistungen zu bieten, so heißt das "Vergeltung".

An eine Gleichwertigkeit der Leistungen ist freilich nicht gedacht; auch kann "Vergeltung" mit Verzögerung eintreten: „Sie seynd biß anhero durch den Mangel der würcklichen Vergeltung so vieler mir erzeigten Wohlthaten im geringsten nicht abgehalten worden/ in ihrer Gütigkeit gegen mich fortzufahren.“ Doch obwohl Substantive konvers verwendet werden, die dem Bereich der Höflichkeit mit allen deren Bedeutungen zugehören, kann man nicht übersehen, daß der Sinn oftmals auf Geld bezogen ist. Hier ein Beispiel für familiäre Beziehungen, aus dem Dankschreiben eines Sohnes an den Vater wegen eines Wechsels:

„Wie ich mit kindlichem Danck die grosse Liebe erkenne/ welche derselbe durch abermahlige Sendung eines guten Wechsels zu fernerem Behuf meines Studierens mir erwiesen: also will mit allen Kräfften dahin streben/ selbigen dermaßen anzulegen/ daß der Herr Vater mit meinem Haushalten soll zufrieden seyn.“

Hier sind zwei Ebenen des Austausches zu erkennen: Dank gegen Liebe, gutes Haushalten gegen Geld. Bis jetzt erscheint daran nichts auf Verkennen der tatsächlichen Situation hinauszulaufen, wie das nach unserer Definition beim Besitzdenken der Fall sein müßte.

Im folgenden sind einige Beispiele für die "Notwendigkeit" und "Schuldigkeit" des geschäftlichen Bereichs aufzuführen.

„Obligationes seynd Rechts-beständige Verschreibungen/ dadurch wir uns zur notwendigen Zahlung und Abtrag einer Schuld verbinden/ auch darinnen eine gewisse Zeit/ Art und Weise setzen/ wie wir unsern Gläubiger vergnügen wollen.“

Zu beachten sind hier vor allem die vom heutigen Sprachgebrauch abweichenden Bedeutungen von "verbinden" und "vergnügen", die wohl, nach den Begleitwörtern zu schließen, mit "verpflichten" respektive "zufriedenstellen" wiederzugeben wären. Sie haben hier ganz den Anschein rechtlich eindeutiger Termini.

Ein Vater verfaßt ein Bittschreiben an einen Kaufmann, um seinen Sohn bei ihm in die Lehre zu geben:

„Wegen der Lehr-Jahre und anderer Nothdurfft wolte mich so dann gerne vergleichen/ wie es etwan gefodert würde und der Billigkeit gemäß wäre. Auch wird mein Sohn an gebührender Treue und Fleiß/ auch Gehorsam und Ehrerbietung gegen seinen Herrn die Schuldigkeit gantz gerne meiner ihm eingebundenen Vermahnung nach beobachten/ […]“

Den Notwendigkeiten der einen Partei und ihrer daraus entspringenden Bitte steht die Forderung der anderen Partei gegenüber, und es kommt zum Vergleich, wenn diese der Billigkeit gemäß ist. Da es um ein Dienstverhältnis geht, möchte man meinen, hier werde bereits in der Art eines Lohnarbeits-Vertrages das Verhalten des Jungen (Treue, Fleiß, Gehorsam, Ehrerbietung) dem Lehrherrn verkauft; es läuft aber noch ganz anders: die "Schuldigkeit" des Lehrlings entsteht nicht aus einem etwaigen Lohn, sondern aus seiner Stellung als Auszubildender, und dafür hat der Vater noch Lehrgeld zu zahlen. Der Kaufmann:

„[…] und bitte um selbige Zeit nur den Knaben selbst mir zuzusenden/ will ihn so dann schon versorgen: Zumahl/ wenn wegen der Lehr-Zeit etwan ein 100. Reichsthaler nicht angesehen wird.“

Hier hat das "Nichtachten" des Geldes, das bei Thomasius als Zeichen politischer Klugheit galt, in der Form von "nicht ansehen" den eingeschränkten Sinn von "zahlen" angenommen. Man fragt sich, ob Talanders galanter Kaufmann um der angestrebten Zierlichkeit des Ausdrucks willen so schreibt, oder ob die Kaufleute sich damals in Wirklichkeit so ausdrückten. Sollte metonymischer Gebrauch vorliegen, so könnte immerhin auch die Sprache der Predigt zum Vorbild gedient haben.

Zu den Geschäftsbriefen gehört auch das Empfehlungsschreiben.

„[…] iedoch muß auch/ die Recommendation sonderlich, nicht mehr versprechen/ oder den Recommandirten mehr heraus streichen/ als seine Qualitäten verdienen; denn/ wo es hernach nicht also befunden wird/ als es versprochen worden/ so verliehret der/ welcher geschrieben/ seinen Credit; […]“

Ob die Bedeutung des Fremdworts "Qualität" einfach die seiner deutschen Entsprechung "Eigenschaft" ist, oder ob sie bereits eingeschränkt ist auf geschäftlich nutzbare Eigenschaften einer Ware? In diesem Fall könnte man von Besitzdenken reden; der Sachverhalt, daß da einer seine Arbeitskraft zu Markte trägt, gibt den passenden Anlaß ab. Allerdings wäre solche Redeweise erst dann in der eingangs beschriebenen Weise endemisch, wenn sie sich auch auf andere als im Erwerbsleben notwendige Eigenschaften erstreckte. Bei "Kredit" weiß man wieder nicht genau, ob "Glaubwürdigkeit" gemeint ist — der Satz würde dann Sinn ergeben — oder ob die Bedeutung auf "Möglichkeit, Geld zu entleihen" eingeschränkt ist wie heute. Noch weitere Wörter stehen in diesem Zwielicht zwischen geschäftlichem und auf die Höflichkeit bezogenem Sinn, vermutlich, weil ihr Bedeutungsumfang damals einfach noch größer war. So heißt in der Antwort auf ein Abschiedsschreiben:

„Von vieler Güte/ die er von mir genossen zu haben vermeynet/ und deßwegen er so grossen Danck abzustatten beliebet/ wolle mein hochwerthester Freund nichts gedencken: es ist nicht mehr geschehen/ als was meine Schuldigkeit erfodert hat; und wäre mein Wundsch/ daß nur mein Vermögen jederzeit meinen Willen secundiren wollen.“

Das in unseren Augen zwielichtige Wort ist "Vermögen", dessen Sinn hier wahrscheinlich "Möglichkeit, etwas zu unternehmen" ist. Aber auch "Schuldigkeit" begegnet in diesem Höflichkeitsschreiben, das doch angeblich auf den geschäftlichen Bereich beschränkt sein sollte. Darin kann eine höfliche Untertreibung liegen, etwa derart: „Was ich Ihnen erwiesen habe, hätte jeder Geschäftsmann getan; es war ja gar nicht so selbstlos“, oder es liegt eine Übertragung vom einen auf den anderen Bereich vor, die, wenn es sich nicht um Geldgeschenke handelte, des Besitzdenkens verdächtig wäre. Daraus wäre zu schließen: In der Praxis des Briefeschreibens begegnet dasjenige verhältnismäßig vermischt, was die Theorie auseinanderhalten will. Die galante Sprache stellt für die verschiedensten Briefe immer wieder die gleichen Wörter bereit. Das Unterschiedliche an den „Formuln“, die Talander mitliefert, beschränkt sich demnach auf die Anrede unterschiedlicher Personen, auf Briefschlüsse und Transitiones. Tendenziell bliebe nur ein einziger Bereich übrig: der des Briefeschreibens und aller menschlicher Beziehungen, die dadurch geschaffen werden. Ursache solcher Vermengung wäre wohl die Tatsache, daß oft genug in "Gebührbriefen" auch Geldangelegenheiten erörtert werden müssen. Es ist wohl nötig, sich klar zu machen, auf welche praktischen Zwecke des Briefschreibens einzugehen Talander hier nicht umhin konnte.

In welcher sozialen Schicht siedelt Talander die „Verfasser“ der meisten seiner Musterbriefe an? In seiner eigenen. Gewiß, es stehen Briefe fürstlicher Personen an andere fürstliche Personen, Briefe geistlicher Würdenträger, von Notaren aufgesetzte Schriftstücke und Geschäftsbriefe von Kaufleuten in diesem Briefsteller. Die meisten Musterbriefe jedoch sind konzipiert für „Seinesgleichen“, junge Leute ohne Familie und festes Einkommen, überwiegend Studenten, die noch etwas in der Welt werden wollen; die Antwortbriefe stammen von Leuten, die ihnen dazu behilflich sein können, nämlich von Eltern, „Patronen“, „Frauenzimmern“ und „Ihresgleichen“. Schon die von Talander eingeführte Rubrik „Seinesgleichen“ gibt ja deutlich zu erkennen, auf welche Leser der Briefsteller vor allem abzielt; wären es „Standespersonen“, Bürger der obersten Schichten oder in Diensten anderer schreibende Kanzlisten, so erübrigte sich die davon unterschiedene Rubrik „Patrone“. „Seinesgleichen“ — das ist außerdem ein Hinweis darauf, daß sich diese jungen Leute als Angehörige der gleichen sozialen Gruppe gegenseitig identifizieren können; es geht in diesen Briefen oft um Anstellungen im Dienste eines Hofes oder einer Stadtverwaltung; wir gehen wohl nicht fehl, wenn wir diese soziale Gruppe für eine derjenigen halten, die später in der bürgerlichen Klasse aufgehen.

Die in den Geschäftsbriefen sich darstellenden wirtschaftlichen Verhältnisse wären als Finanz-und Handelskapitalismus zu beschreiben. Von industrieller Produktion, von Lohnarbeit und dergleichen ist nirgendwo deutlich die Rede. In den Gebühr- und Höflichkeitsschreiben kommen zuweilen Entlehnungen kleinerer Geldsummen „unter guten Freunden“ vor, nicht etwa zwischen Firmen oder Bankinstituten; da geht es ohne Zinsen ab, wenn auch nicht immer ohne Pfänder. "Bürgerlich" und zugleich "kapitalistisch" kann weder das eine noch das andere Wirtschaften genannt werden. An dieser Praxis scheint jedoch eines neu und bemerkenswert zu sein: Geschäft und Höflichkeit treten nicht getrennt auf. Der galante Stilist erstreckt seinen Briefstil, und damit ganz bestimmte Wörter, auch auf Geschäftsbriefe. Auf der anderen Seite lassen sich Freundschaft und Geldangelegenheiten auch nicht immer trennen, wenngleich diese Fälle nicht als Geschäfte betrachtet werden — in der Theorie. Es sieht damit etwa so aus:

„Ich bin gar nicht mit ihm zufrieden/ daß er ein so schlechtes Vertrauen zu mir hat. Denn ich höre/ daß er von einigen importunen Schuldleuten incommodiret wird/ und weil sein Wechsel über die Zeit aussenbleibet/ von selbigen viel Verdruß ausstehen muß. […] Er muß gewiß zu meinem Beystande ein schlechtes Hertze haben. Damit er aber meiner Aufrichtigkeit ein besseres Zeugniß empfänget: so biethe ihm hiermit so viel an/ als er zur Befriedigung seiner Gläubiger von nöthen hat.“

Im Antwortschreiben:

„Ich verspreche nicht nur danckbare Erstattung/ so bald daß meine Gelder von Hause ankommen/ sondern wo ich auch noch ausser diesem ihm angenehme Gegendienste zu bezeugen geschickt/ soll er mich dazu jedesmahl bereit und willig finden: […]“

Der Student, dessen Geldverlegenheit es ihm zur Notwendigkeit gemacht hat, "Vertrauen" in die Hilfe eines Kommilitonen zu setzen, ist geradezu bedauerlich: Hat er im geschäftlichen Bereich schon "Schuldigkeiten" zu beobachten, so lädt ihm der wohlmeinende Helfer noch dazu Verpflichtungen im Bereich der Höflichkeit auf, die nicht weniger bindend erscheinen und mit "Gegendienst" nur zu deutlich bezeichnet werden. Die Praxis läuft in beiden Bereichen auf Austausch von Verbindlichkeiten hinaus. Was aber bringt Talander dazu, in der Theorie noch eine Unterscheidung zu treffen? Kommt ihm hier noch die alte Stiltrennungslehre dazwischen? Bei einem Galanten wäre das möglich. Es können aber noch weiter reichende Ursachen dahinterstehen.

Eine Trennung der Freundschafts- und Gebührbriefe von den Geschäftsbriefen hat für den Benutzer dieses Briefstellers nur dann einen Sinn, wenn man eine Privatsphäre von der Öffentlichkeit abtrennen will — und kann. Nicht eine ständische Differenzierung ist hierbei entscheidend (die gibt es für beide Arten von Briefen); die Trennung findet auch nicht deswegen statt, weil die Geschäftsbriefe Zwecken folgen müßten — denen entsprechen bei den Gebührbriefen die Anlässe. Der Effekt der Trennung wäre also ein bürgerlicher; daß dabei aber noch das ständische, ja höfische Decorum teilhat, zeigt an, daß Talanders Text in einem Übergang befindlich ist.

Freilich begegnen in den Musterbriefen eine ganze Reihe von Wörtern, deren Auftreten fast gänzlich auf den geschäftlichen Bereich begrenzt ist, wie "Zins", "Vorschuß", "Pfand", "Kapital", "Zahlung", "Termin", "entrichten", "erhalten", "verlieren". In der Hauptsache handelt es sich um termini technici aus dem Handel, die in der betreffenden Funktion eine lange Zeit überdauert haben. Andere sind typisch für Gebührbriefe, wie "Liebe", "Gnade", "Gewogenheit“, "Aufwartung", "Andenken", "Aufrichtigkeit", "Vertrauen", "Neigung", "Freundschaft", "Scham", "Vergessenheit", "Nachlässigkeit", "galant". Man wird sie wohl als termini technici der bürgerlichen Privatsphäre, bzw. des höfischen Umgangs, kennzeichnen, wenn man nach ihrer Analogie zum erstgenannten Bereich auf der Suche ist. Daraus könnte man schließen: Gewisse Bürger übernehmen als Verhaltensnorm neben oder anstatt der christlichen Ethik eine "Höflichkeit". Dabei ist es nun bemerkenswert, daß fast nur solche Wörter auch bei Thomasius auftreten, die hier ausschließlich im Bereich der Höflichkeit zu finden sind.

Das Verhältnis zum christlichen Sprachgebrauch bliebe noch näher zu betrachten. In Talanders Anweisung zu Kondolenzschreiben heißt es:

„Zuförderst aber muß man den Lesenden zu Annehmung unserer Trost-Gründe durch den Beyfall vorbereiten/ daß er allerdinges Ursache habe wegen des erlittenen Verlusts sich zu betrüben: […] daß der Schade groß und wichtig […] und viele Vortheile und Vergnügung entzogen worden. […] Daß alle zeitlichen Güter uns nur von dem Höchsten geliehen/ nicht aber eigenthümlich gegeben wären. […] Daß GOtt uns schon allhier auch versorgen/ und zur Beförderung unseres zeitlichen Glücks Patronen erwecken würde/ […]“

"Verlust" und "Schade" könnten auch in Geschäftsbriefen stehen. Hier: Es ist ein Mensch gestorben; das ist der Schade. Noch deutlicher wird der sprachliche Vorgang, weil Talander scheinbar auf die Güterordnung eingeht, wie wir sie von Carpzov-Leiser und Francke kennen. Sehen wir einmal davon ab, daß hier "eigentümlich" erscheint, das wir aufgrund seines Auftretens in einem Geschäftsbrief sonst zum entsprechenden Bereich gerechnet hätten; es wird ja gerade gesagt, hier sei etwas nicht zu eigen, sondern geliehen, und das dürfte traditionelle Redeweise sein. Aber so weit sind Lutheraner und Pietisten nicht gegangen, nahe Angehörige unter die zeitlichen Güter zu zählen; für Leiser sind seine Kinder ein Schatz, der sich von Zeitlichem dadurch unterscheidet, daß er sie mit in den Himmel nehmen kann. In Wirklichkeit löst sich dieser Sprachgebrauch also vom christlichen.

Eine weitere scheinbare Übereinstimmung, die sich bei näherem Hinsehen auflöst, kann man beobachten unter der Voraussetzung, daß "sich genügen lassen". "sich begnügen lassen" und "vergnügt sein" für dieselbe Bedeutung stehen, insofern sie nämlich mit denselben zeitlichen Gütern verbunden sein können. In einem Geschäftsschreiben steht:

„Ergehet dannenhero an meinen hochgeehrten Patron mein gantz dienstliches Bitten/ auf ein Mittel bedacht zu seyn/ wie ich von diesem bösen Zahler meinen Vorschuß wieder bekommen möchte: Ich verspreche dafür alles/ was von Zinsen kan heraus gebracht werden/ vor meines Patrons Bemühung/ und bin vergnügt/ wenn ich nur das Capital erhalte“.

Für diesen Gläubiger ist es ersichtlich kein Gewinn, wenn er sich mit dem bloßen Kapital begnügt; der Gewinn, nämlich die Zinsen, geht an den mächtigen Patron, der hier anstelle eines Gerichts angerufen wird. Ohne Gottseligkeit, von der hier keine Spur zu finden ist, ist es eben eher ein Verlust.

Ein weiteres Beispiel für "vergnügt sein" aus einem Gebührbrief:

„Seynd sie damit vergnügt/ daß ich Mademoisellen mit einem galanten und wohl qvalifizirten Liebsten bezahle/ so weiß ich Rath/ meiner Schuld los zu werden: […]“

Im Antwortschreiben:

„Doch ich spühre wohl/ er will durch eine überflüssige Erkäntniß uns in seine Schuld setzen/ und dannenhero träget er mir aller seiner Beschreibung nach eine ganz vorthelhaffte Partie zu heyrathen an“.

Was ist das nun: eine detailliert ausgearbeitete Metapher, auf die „die Antwortende“ spielerisch eingeht, oder eine bereits etablierte Redeweise? "Schuld", wie etwa auch "Willfahrung", "Güte", "Fleiß", ist ja ein Wort, dessen Bedeutungsumfang auf beide Bereiche ausgedehnt werden konnte, fast ohne daß es auffiel, sobald es ein Decorum mit ähnlich verbindlichen Regeln wie denen des Geschäftslebens zu beachten gab.

Was, abgesehen von den gemeinsamen Wörtern, die zitierten Gebühr- und Geschäftsbriefe verbindet, ist die soziale Stellung der Schreibenden und der meisten Adressaten: sie sind "Freunde" oder zumindest "Ihresgleichen“. Die neuen Umgangsformen können sich innerhalb einer ständischen Gesellschaft vorerst nur unter "Seinesgleichen" durchsetzen; insofern ist der beobachtete gesellschaftliche Prozeß nicht von allgemeiner Art, sondern partikulär, das „Bewußtsein“ Bohses subjektiv irregeleitet, doch seiner objektiven Situation gerecht. Die Irreführung läge in der Orientierung an einer dem Hofleben entstammenden differenzierenden Galanterie, die seine sprachliche Praxis jedoch Lügen straft. Nun zweifle ich aber nicht, daß sich die Beispiele der Bedeutungsübertragung beliebig vermehren lassen, bis schließlich nur noch ein durchgehender Zeichenvorrat übrigbleibt, der einer der zwischenmenschlichen Beziehungen wäre. Dafür steht bei Thomasius, aber eben auch bei Talander, das Wort "Konversation"; über "Besuchungs-Schreiben" heißt es etwa:

„Denn sie entspringen nicht aus denen Geschäfften/ sondern aus einem blossen Wohlwollen/ freundlicher Zuneigung und Erinnerung ehemals gepflogener guter Conversation und genossenen Güte; auch aus dem Verlangen durch gute Correspondenz ein gutes Vernehmen zu erhalten; Wenn man seines gleichen schreibet.“

Man konnte aber vorhin beobachten, wie genau das „Do ut des“ funktioniert. Was mich bis jetzt davon abgehalten hat, "Besitzdenken" dazu zu sagen, ist das Bedenken: können wir den Bereich des Geschäfts einfach in einen der Besitzverhältnisse umdeuten? Wir können das nur unter der Bedingung, daß zu jener Zeit die objektive Möglichkeit vorhanden ist, Geschäfte zu treiben, sobald man Güter irgendwelcher Art besitzt. Anders ausgedrückt: Die Güter, die ein Mensch besitzen kann, sind als Waren, als Tauschobjekte verfügbar. Für gewisse zeitliche Güter galt das von jeher. Bei Bohse stehen aber schöne Beispiele für den Warencharakter von Dingen, die bislang noch nicht einmal als Güter galten: „Ehe ich in so gar üblen Credit bey ihm kamen will/ als mich meine bißherige Nachläßigkeit in Schreiben gesetzet/ ehe will ich keinen Post-Tag/ noch ausserordentliche Gelegenheit/ lassen vorbey gehen/ da ich nicht ihn mit meinen Briefen besuche/ […]“ Vorbild ist wohl anfangs die Prestige-Börse des Hofes; doch die im Hinblick darauf angestrebte Unterscheidung materieller und immaterieller Tauschobjekte, als die Bohses angestrebte Trennung der Bereiche erscheint, war nicht mehr durchzuhalten. Deshalb werden wir zwar angesichts der Partikularität des so Verstandenen hier nicht von einem klassischen Fall der "Besitzsprache" sprechen wollen, aber wir mögen diesen Befund immerhin als Beispiel nehmen, wie das "Besitzdenken" seinen Anfang nehmen konnte.