Captatio benevolentiae,


oder: Wie man sich ganz klein macht, um vielleicht doch für etwas größer befunden zu werden


Eine Dissertation aus dem Jahre 1980 aufzuwärmen, also: lesbarer zu machen, was aus lauter Beflissenheit so mit wissenschaftlichem Apparat überladen war, daß es schmerzt — wen soll das interessieren? Zumal dem Werk keine Öffentlichkeitswirkung beschieden war. Wie auch selten geschieht. Der Erlanger Amerikanist Hans-Joachim Lang nahm Dissertationen grundsätzlich nicht ernst, war aber doch so streng, daß nur mein Freund Fritz Fleischmann bei ihm mit „summa cum laude“ abschloß. Und ich brachte es bei meinem Doktorvater Ulrich Fülleborn nur bis „magna“. Das lag freilich daran, daß der Zweitgutachter das Opus erst einmal zurückwies, aus gutem Grund: Hatte ich mich doch unterfangen, eine Art von sprachwissenschaftlicher Eigenentwicklung meinen Interpretationen zugrundezulegen, die der professionelle Linguist kopfschüttelnd als gleichzeitig verstiegen als auch unwissenschaftlich erkennen mußte. Wie das kam?

Wir jungen Leute damals bildeten uns ein, wir müßten die Germanistik, die Anglistik, eigentlich alle erläuternde Arbeit an Texten, vom Kopf auf die Füße stellen. Der bisherige terminologische Wildwuchs, das subjektive, zu wenig den gesellschaftlichen Hintergrund, die Rezeptionsbedingungen und deren Geschichte berücksichtigende „textimmanente“ Verfahren wollten wir in eine saubere und universell nachvollziehbare Textwissenschaft verwandeln; gerade wir in Erlangen, wo sich die Logiker Paul Lorenzen und Wilhelm Kamlah gerade abmühten, eine „intersubjektiv“ funktionierende Wissenschaftssprache zu entwickeln. Es war, nachträglich betrachtet, durchaus zu befürchten, daß den Geisteswissenschaften auf diesem Wege der Geist ausgetrieben werde. Auch dafür meine ich Abbitte tun zu sollen.

Ein großes Andererseits: Nach wie vor ist an der Fortschreibung der Geisteswissenschaften weniger ein Fortschritt als ein Wechsel von Moden zu erkennen. Das ereignet sich nicht einmal gleichzeitig oder durchgängig, wie beispielsweise schon ein Blick in die Beiträge zum Jahrbuch des Freien deutschen Hochstifts zeigt. Fundierte, aber kühn in eigenständiger Manier abgefaßte Artikel stehen neben ungeheuer bemühten und ängstlichen Abhandlungen, in denen die Herkunft der landläufigsten Gedanken per Fußnote aus irgendeinem anderen Werk oder gleich mehreren nachzuweisen versucht wird. Könnte man, sollte man da nicht — etwa erst einmal ein Schema voranstellen, an dem zu erkennen wäre, wie die Auffindung eines der Betrachtung würdigen Gegenstandes, wie seine Einordnung, wie seine Erschließung angegangen wurde?

Das habe ich seit 1973 ausprobiert. Einige Zettel solcher Entwürfe sind noch erhalten.











…und so weiter. Solche Schemata müßten wahrscheinlich sogar dreidimensional angelegt sein. Mindestens.

Immerhin gelang mir damals, für mich selbst (denn in die Veröffentlichung ging diese Ortsbestimmung nicht ein) die Abfolge meiner Gedanken zu disziplinieren. Es sollte dann im Text der Dissertation so aussehen, als habe sich, vom gestellten Thema ausgehend, ein dazu passendes Untersuchungsgebiet gleichsam von selbst eingestellt, und als habe sich daraus auch mit einer gewissen Zwangsläufigkeit eine Methode ergeben. In Wirklichkeit hatte ich schon zum Zweck meiner Staatsexamens-Zulassungarbeit von 1972 das Lieblingsthema meines Lieblingsprofessors Fülleborn auf ein Gebiet anzuwenden versucht, von dem ich vermutete, daß es von daher seinen geschichtlichen Ausgang genommen haben könnte. Das Besitzdenken! Eine bürgerliche Entstellung seelischer und geistiger Haltungen, die alles, gerade auch Nicht-Finanzielles, so ansieht, als könnte man damit ein Konto einrichten. Bürgerlich — aber wann wird das Bürgertum so bürgerlich? Könnte es mit der Aufklärungsperiode zusammenhängen? Wo zeigt es sich in der Literatur zuerst? Müßte es nicht vorher schon in anderen Texten nachweisbar sein? Und so verfiel ich auf Erbauungsschriften, Leipzig, Gottsched, Komödien. Das lesbarer gestaltete Schema dazu: