Christian Wolff
Auch Christian Wolff entstammte einer weniger bemittelten Bürgerfamilie. Er wurde als Sohn eines Gerbers 1679 in Breslau geboren. Der Vater hatte zwar die Lateinschule bis in die Prima besucht, mußte aber dann wegen seiner Mittellosigkeit seinen Studienweg beenden und den genannten Handwerksberuf ergreifen. Er bildete seinen Sohn, den er durch ein Gelübde dem Predigtamt gewidmet hatte, eine zeitlang selbst aus. Christian Wolff fügte sich dem Willen seines Vaters anscheinend gerne; „selbst sein Eifer für die Mathematik, den er übrigens durch privaten Fleiß befriedigen mußte, ging aus dem Streben hervor, für die Theologie eine untrügliche Methode zu gewinnen […] 1706 wurde er in Halle als Professor angestellt, aber nicht als Professor der Theologie, wie er es noch 1709 erstrebte, sondern der Mathematik und der Naturwissenschaften. Nur sehr zögernd begann er über Philosophie zu lesen.“ (zit. nach Martens, S.177.) 1720 legte er mit seinen „Vernünfftigen Gedancken von der Menschen Thun und Laßen“ ein System der Ethik vor, das nach herkömmlicher Weise als eine der Disziplinen der praktischen Philosophie auftrat. Zusammen mit Politik und Ökonomik steht diese Ethik nach Art der aristotelischen Schulphilosophie, die Wolff noch zur Richtlinie nahm, dem theoretischen Teil des Systems, der Metaphysik, gegenüber. Aus dieser geht allerdings die von Wolff neu gefaßte Theorie vom Gesetz der Natur in die praktische Philosophie ein. (vgl. Hans M.Wolff, S.119 und Manfred Riedel, Christian Wolff's 'Emendation' der praktischen Philosophie, in: Das Problem der Sprache, Achter deutscher Kongress für Philosophie, Hg. Hans-Georg Gadamer, München 1967, S.208 f. und S.215.)
In deduktiver Weise leitet Christian Wolff vernünftige Gedanken vom Tun und Lassen der Menschen von deren höchstem Gut ab, und deshalb lohnt es sich für uns, die Betrachtung seines Sprachgebrauchs ebenfalls dort zu beginnen.
„Weil die gröste Vollkommenheit GOtt eigenthümlich ist [!] und keiner Creatur mitgetheilet [!] werden kan […], kan der Mensch demnach nicht mehr erhalten, als daß er von einer besondern Vollkommenheit zu einer andern fortschreitet, und die Unvollkommenheiten immer mehr vermeidet. Und dieses ist das höchste Gut, welches er erhalten kan […], daß also das höchste Gut des Menschen oder seine Seeligkeit mit Recht durch einen ungehinderten Fortgang zu grösseren Vollkommenheiten erkläret wird“.
Der lediglich polar-konträre Gegensatz "Vollkommenheit (Kreatur)" und "Unvollkommenheit", oder, wie ich interpretiere, die Möglichkeit, zu dem Adjektiv "vollkommen" einen Komparativ zu bilden, ist eine sprachliche Gewaltmaßnahme. Aufgrund derer kann Wolff in seinen Argumenten zur praktischen Philosophie noch weiter gehen als Thomasius, der eingeräumt haben wollte, man müsse sich in der Sittenlehre der Erörterung über die Wege zur künftigen Glückseligkeit enthalten. Thomasius geht nämlich davon aus, daß der Mensch deswegen nie in sittlicher Hinsicht vollkommen genannt werden könne. Dagegen führt Wolff einen Sprachgebrauch ein, der es erlaubt, sittliches Handeln ohne religiöse Motivation, ohne Gnadeneinwirkung, als vollkommen zu bezeichnen, wenn man nur dabei nicht vergißt, daß es auch eine höhere Vollkommenheit gebe. Diese ist in der Weise Gott "eigentümlich", daß sie nicht einmal "mitgeteilt" werden kann. Konsequentermaßen ist der Mensch auf seine eigenen Möglichkeiten verwiesen, und sein höchstes Gut, seine Seligkeit, ist von dieser Welt: der "Fortgang", oder wie wir sagen würden, der Fortschritt.
„Solcher gestalt würde ein jeder so viel Vollkommenheit erreichen, als nur immer möglich ist und darinnen immer weiter fortschreiten. Da nun hierinnen die Seeligkeit des Menschen bestehet, die er auf dieser Erden erreichen kan (§.44), diese aber mit einer beständigen Freude verknüpft ist (§.1), darinnen die Glückseeligkeit bestehet (§.52); so erhellet hieraus, daß die Menschen als denn glückseelig neben einander leben, wenn sie einander aufrichtig als sich selbst lieben.“
„Wo man unverhindert fortschreitet von einer Vollkommenheit zur andern da erwächset ein beständiges Vergnügen (§.49.), und darff man sich nicht befürchten, daß es in ein Mißvergnügen ausschläget (§ 50.). Solchergestalt behält das Vergnügen oder die Lust beständig die Oberhand, und ist demnach hier eine fortdaurende Freude […]“
Das Wort "Vergnügen" erhält dadurch, daß es per definitionem mit "Lust" gleichgesetzt wird, einen Sinn, der die Entwicklung zu seiner heutigen Bedeutung einleitet, während hier die Bedeutung "Zufriedenheit" im weiteren Kontext noch eine Rolle spielt. Es ist zu zeigen, daß Wolff mit überkommenen Wörtern oft in der Weise sprachregelnd verfährt, daß er ihnen einen neuen Oberbegriff zuordnet und damit einen neuen Sinn verleiht. „Der Zustand einer beständigen Freude machet die Glückseeligkeit aus.“ Das Wort "Zustand" ist ein solcher terminologisch eindeutiger Oberbegriff, ein "Kunstwort", wie die Zeitgenossen sagten. Mithilfe solcher Termini wie "Zustand", "Gut", "Sache", "Fertigkeit" u .a. lassen sich logische Verknüpfungen zwischen den entlegensten Bereichen herstellen, je nachdem, wie diese sich unter sie subsumieren lassen. Sie selbst werden letztendlich auf das "Gesetz der Natur" bezogen, das den transzendenten Gott zum Urheber hat — aber das ist auch schon beinahe dessen einzige Funktion:
„Da nun das Gesetze der Natur unsere und unseres Zustandes Vollkommenheit erfordert […]; so muß der Mensch […] zur letzten Absicht aller seiner freyen Handlungen die Vollkommenheit seines innerlichen und äußerlichen Zustandes machen […]“
Bereits hier ist zu sehen, daß für Askese im Sinne einer von außen unbeeinflußten, freiwilligen Zurückhaltung gegenüber irdischen Gütern kein Platz in diesem Denken mehr ist.
„Die Fertigkeit seine Handlungen nach dem Gesetze der Natur einzurichten ist es, was wir die Tugend zu nennen pflegen. Hingegen das Laster ist eine Fertigkeit dem Gesetze der Natur zuwieder zu handeln.“
Nach Beobachtungen, die Paul Piur auf den Seiten 89 und 100 bis 102 mitteilt, sind bei Wolff Unterbegriffe zur Tugend unter anderen "Ehrliebe", "Großmut" und "Demut", Unterbegriffe zu "Laster" hingegen "Ehrgeiz", "Hochmut" und "Niederträchtigkeit". Schon hier muß der Leser sich darüber klar sein, daß man Fertigkeiten ja schließlich erwerben kann! Anders könnte man nicht von Vollkommenheit zu Vollkommenheit schreiten. Es fragt sich nur, ob diese Fertigkeiten in der gleichen Weise innere Güter darstellen wie bei Hoffmann und ob sich Aussagen finden lassen, die auf Besitzhandlungsschemata in Bezug auf "Tugend" und "Laster" hindeuten.
„Was der Mensch durch seine eigene Kräffte erlangen kan, das hat er nicht nöthig von einem anderen zu fordern. Derowegen sind wir nicht verbunden ihm dazu zu verhelffen. […] Allein wenn er etwas, dazu ihn das Gesetze der Natur verbindet, nicht in seiner Gewalt hat, hingegen es stehet in unserer Gewalt; so sind wir verbunden ihm dazu zu verhelffen. Z.E. Wenn einer entweder unvermögend ist zu arbeiten, oder nicht Gelegenheit findet so viel zu arbeiten, daß er dadurch seinen Leib nach Nothdurfft versorgen könte, und ich finde mich in dem Stande ihm nöthigen Unterhalt zu verschaffen, oder auch nur zum Theil dazu zu verhelffen: so bin ich verbunden dasselbe zu thun. Er kan alsdenn dergleichen von mir fordern.“
Ein Teil des Gesetzes der Natur ist die "Notdurft" — wir würden sagen: das Bedürfnis —, ein anderer offensichtlich die moralische Verpflichtung, eine tugendhafte Fertigkeit auszuüben. Man ist dazu "verbunden", jemandem zu helfen, den seinerseits das Gesetz der Natur verbindet. Man muß etwas in seiner "Gewalt" haben, um diesen Verbindlichkeiten nachzukommen, und man muß "imstande sein"; daß damit nicht nur Vollkommenheiten des äußeren, sondern auch des inneren Zustandes gehören, sieht man daran, daß der andere die Wohltat unter bestimmten Umständen "fordern" kann: So lange dieser Anspruch nicht auf andere Gesetze gegründet ist als auf das der "Natur", gehört dazu beim Wohltäter die "Fertigkeit", seine Handlungen nach eben diesem Naturgesetz einzurichten, und das ist bekanntlich "Tugend". Nun fehlt uns nur noch der Beweis, daß "imstande sein" dem "In-der-Gewalt-Haben" und dieses dem "Besitzen" gleichkommt, um ein Beispiel ausgeprägten Besitzdenkens vor uns zu sehen. Leider läßt sich nur das letztere belegen.
„Was wir demnach zur Nothdurfft und Bequemlichkeit des Lebens brauchen, muß entweder gemeinschafftlich, oder eigenthümlich seyn. Denn es behält entweder ein jeder so viel Gewalt dazu als der andere es zu seinem Nutzen anzuwenden, und als bleibet es gemeinschafftlich (§.888); oder es bekommt nur einer Gewalt darüber es in seinen Nutzen zu verwenden […]“
„Da es nun nöthig ist, daß unter den Menschen das Eigenthum eingeführet wird (§.890), zu dem aber, was eigenthümlich ist, niemand keine Gewalt hat als der Besitzer (§ 889. 891); so muß niemand wieder des Besitzers Willen das seinige zu seinem Nutzen anwenden, vielweniger dasselbe heimlich oder mit Gewalt wegnehmen, noch ihn das seinige nach seinem Gutbefinden zu gebrauchen hindern.“
Mit dieser Ausschließlichkeit des Besitzens bei gleichzeitiger freier Verfügung erreicht Wolff in der Theorie das bürgerliche Modell und Locke's Eigentumsbegriff. Während aber John Locke ein naturrechtliches Vertragsmodell fingiert, das in der Lage ist, die Grundmechanismen der bürgerlichen Gesellschaft und der kapitalistischen Ökonomie darzulegen, stellt das Entsprechende bei Wolff ein utopisches Modell dar, den genauen Gegenentwurf zur „freien Marktwirtschaft“, wonach doch die zeitgenössische Entwicklung tendierte, und erklärt damit die Praxis höchstens ex negativo:
„Wenn ein jeder Mensch den andern aufrichtig liebete, wie sich selbst; so würde auch ein jeder des andern Wohlfahrt willig befördern (§.777). So bald einer einen Mangel hätte, würden andere, die vermögend wären ihm abzuhelffen, solches willig thun (§.770). Und solcher gestalt könten die Menschen ihre Güter gemein haben. Keiner würde mehr davon begehren als ihm nöthig wäre, und ein jeder so viel arbeiten, als in seinen Kräfften stünde. (§.583.523). Ein jeder würde dem andern umsonst dienen, wenn er es nöthig hätte (§.770). Es wäre nur nöthig Anstalten zu machen, wie das durch gemeinen Fleiß zu gemeiner Notdurfft erworbene verwahret und beqvem ausgeführt würde: ingleichen wie man bald in Kundschafft käme, was einem fehlete. Leute demnach, die in einer Gemeinschafft der Güter mit einander leben wolten, müsten alle vernünfftig seyn, und sowohl sich selbst als auch andere aufrichtig lieben. Da nun aber nicht möglich ist, daß alle Menschen von der Art sind; sondern es leider! die Erfahrung bezeiget, wie viele den Lastern ergeben sind, so daß einige nur verschwenden und nichts erwerben; andere sich über andere erheben und mehr als sie seyn wollen, noch andere nur Schaden zu thun trachten, und was dergleichen mehr ist; so gehet es auch nicht an, daß sie die Güter […] mit einander gemein haben. Und gehet dieses um so viel weniger an, je grösser die Menge der Menschen ist, die an einem Orte leben, und je grösseren Überfluß die Menschen in ihrer Lebens-Art haben“.
Wolff folgt in seiner deduktiven Methode dem Rationalismus des Descartes. Aber nicht nur darin. Seine Theorie gehört zu jener ersten Phase der Aufklärung, in der man nicht den historischen Fortschritt der Menschheit, sondern das Fortschreiten, den "Fortgang" des individuellen Menschen, im Auge hatte. Deswegen kann für Wolff die eigentlich naturrechtliche Gütergemeinschaft nur in einer Gesellschaft von weitestgehend vollkommenen Tugendbolden Wirklichkeit werden. Am ehesten entspricht diesem Konzept noch eine weltabgeschiedene Gruppe weniger Sozial-Experimentatoren, wie sie zur Zeit des Frühsozialismus stellenweise zu vorübergehender Existenz gelangte. Auch auf das Verhältnis von Johann Gottfried Schnabels „Insel Felsenburg“ zu „Robinson Crusoe“ kann hier verwiesen werden.
Die Folgerung „Weil die Menschen den Lastern ergeben sind, darum muß es Eigentum geben“ bringt nun schon auf deutlichere Weise den Bereich der Besitzverhältnisse mit dem der zwischenmenschlichen Moral in Verbindung, freilich nicht so, daß das eine versehentlich für das andere genommen werden könnte. Und doch öffnet diese Verbindung einer einseitigen Verabsolutierung des Privateigentums Tür und Tor.
„Hierbey ist wohl zu mercken, daß der Mensch mit seinem Vermögen nicht allein ihm selbst, sondern auch andern helffen kan: […] Derowegen wenn wir gleich einen Überfluß für uns haben; so ist uns deswegen das zeitliche Vermögen nicht unnütze. Wir können es anwenden zum Nutzen anderer, […] Der Mensch findet allzeit Gelegenheit mit seinem Vermögen gutes zu stifften, wenn er es vor sich nicht brauchet. Und also ist das Geld vor sich allzeit gut.“
Das ging aber schnell! Erst ist nur von dem Teil des Vermögens entschuldigend die Rede, der zur Hilfe für andere verwendet wird, nein: werden kann; — ob das jederzeit auch getan wird, darf man bezweifeln, auch wenn der Mensch dazu "verbunden ist" —, und schließlich ist das Geld „allezeit“ gut! Man findet ja, wenn man nur will, noch häufiger als zum Nutzen anderer solche Gelegenheiten, bei denen man es selber braucht. Übrigens besteht ein Gegensatz zwischen "gut" und "unnütz", der darauf schließen läßt, was nützlich sei, sei darum schon gut. Im Zuge solcher Sinngebung wäre es absurd, den Erwerb zu bereuen und sich daher anzuschicken, Guttaten zu verrichten; man erwirbt ja gerade dazu — oder gibt es vor –, damit man "Gutes stiften" kann. Vermögen ist ein Tugendpotential: Das ist nicht abzuleugnen, und der Philosoph ist wohl berechtigt, seinen Mit-Bürgerlichen derart wünschenswerte Verhaltensweisen vor Augen zu stellen. Umgekehrt wird Besitzdenken daraus.
„Wer mehr von zeitlichem Vermögen besitzet, als zu seiner Nothdurfft, zu seinem Wohlstande und aufbesorgenden Nothfall erfordert wird; der hat einen Überfluß. Überfluß aber an zeitlichem Vermögen ist dasjenige, welches wir Reichthum zu nennen pflegen.“
„Wer von zeitlichem Vermögen so viel besitzet, als nicht allein die gegenwärtige Nothdurfft, sondern auch der Wohlstand und ein besorglicher Nothfall erfordert, aber nichts darüber; von dem saget man, daß er sein reichliches Auskommen habe. Wer von zeitlichem Vermögen nur so viel besitzet, als die gegenwärtige Nothdurfft erfordert, nicht aber dem Wohlstande ein Gnügen thun kan, noch auf einen Nothfall versorget ist; der hat sein nöthiges Auskommen. Wer aber von zeitlichem Vermögen nicht so viel vor sich bringen kan, als die gegenwärtige Nothdurfft erfordert; der ist dürfftig und arm.“
Hier definiert sich Wolff eine vierfache Abstufung der Vermögensverhältnisse von reich zu arm zurecht, die jedenfalls besser geeignet sein mußte, einen Unterschied zwischen den Menschen zu machen und seinen eigenen Standort in der Gesellschaft zu bestimmen als die ständische Gliederung, sobald es arme Grafen und reiche Kaufleute gab. Die Verbindung mit dem Tugendpotential ließ jene Standesunterschiede geradezu als unmoralisch erscheinen, die Einteilung nach Vermögen jedoch als naturgemäß. Die würdelose Vorstellung vom miserabel lebenden reichen Geizhals aus dem Bürgertum wird im gleichen Zuge überwunden:
„Weil der Mensch das zeitliche Vermögen nicht brauchet als daß er seinen Leib, wie es die Nothdurfft und der Wohlstand erfordert, versorgen, anderen in ihrer Noth aushelffen, ihm und anderen eine vergnügte Stunde machen, und was zu Erlernung der Wissenschafften und Künste nöthig ist, verschaffen kan (§ 517); so hat er auch nach dem zeitlichen Vermögen nicht vor sich zu streben, sondern in so weit es ein Mittel ist diese Absichten zu erreichen. […] Geld und Gut ist dazu da, daß es gebraucht wird.“
Etwas ähnliches empfahl schon Thomasius, aber als Gegenteil zum Besitzen. Das fiele Wolff nicht ein. Bei ihm heißt besitzen ja nicht, auf seinem Geldsack zu sitzen und aufzupassen, daß nur ja nichts durch die Finger rinnt; besitzen heißt hier so viel wie "über etwas verfügen können", wenn wir unseren Sprachgebrauch ins Spiel bringen. Der kultivierte Bürgerliche muß freilich mehr denn je zu seiner Verfügung haben, also darf es keine moralischen Schranken geben, die den Erwerb behindern.
„Unterdessen da der Mensch seinen Zustand so vollkommen machen sol als nur immer möglich ist, auch das Geld allzeit genutzet werden kan, wo nicht von uns, doch von anderen, denen wir damit dienen (§517); so ist auch ein jeder verbunden so viel von zeitlichem Vermögen vor sich zu bringen, als in seinen Kräfften stehet, und es die Umstände leiden, darein er gesetzet worden, wenn er nur dadurch weder sich umb sein Leben, Gesundheit und Vergnügen bringet, noch andern dadurch Eintrag thut […] Und demnach thun diejenigen unrecht, welche entweder ablassen zu erwerben, weil sie schon genung zu haben vermeinen, oder auch das erworbene unnöthig verschwenden, weil sie sich einbilden zu viel zu haben.“
Daraus folgt, daß dennoch für den wie auch immer kultivierten bürgerlichen Menschen das Erwerben Hauptsache, Künste sowie Wissenschaften dagegen Nebensache bleiben müssen, sofern sich damit kein Vermögen machen läßt. Man fragt sich unwillkürlich, wie der nicht allzu gut besoldete Christian Wolff seine eigene Arbeit eingeschätzt habe. Aber dabei kamen wohl die ihm "von Natur" auferlegten Umstände in Betracht.
Auch von der letzten Überlegung her führt ein logischer Weg zum Besitzdenken, wenn nämlich geistige Güter nach ihrem Nutzen für das materielle Fortschreiten bewertet werden. Nur hat Wolff solche Gedankengänge nicht explizit mitgeteilt. Es ist überhaupt zu beobachten, daß dieser im Ausdruck so penible Philosoph Verwechslungen unterscheidbarer Bereiche vermeidet; daß er sie dennoch vermittelt, bildet vor dem Hintergrund der Sprachverwendung bei Talander eine große Verführung für den durchschnittlichen Zeitgenossen, alle möglichen Bereiche mit Besitzsprache zu überziehen.