Fabeln
1. „Heirat“: Fräulein Philippine liebt Herrn von Zierfeld; dieser ist aber wegen einer Familienfehde ihren Eltern zuwider. Sie soll trotz des von Ahnenstolzischen Dünkels den reichen Kaufmannssohn Willibald heiraten, der wegen des gesellschaftlichen Prestige um sie angehalten hat. Herr Willibald ist etwas konsterniert, daß er trotz seiner Großzügigkeit nur Herabsetzungen erfährt. Er betrifft Fräulein Philippine in einer verfänglichen Situation mit einem Gärtnerknecht. Zunächst läßt er sich beschwichtigen. Der Ehevertrag, den ihm der Schwiegervater zumutet, stimmt ihn wieder bedenklich. Das Fräulein Amalia versucht, ihm die Heirat auszureden, ohne dabei sich selber empfehlen zu wollen. Als er Philippine wieder mit dem Gärtner erwischt, ist seine Geduld zuende. Es stellt sich heraus, daß der Gärtner in Wirklichkeit Herr von Zierfeld ist. Die Liebenden müssen zusammengegeben werden; Herr Willibald ist wieder frei.
Moral: Gleich und gleich gesellt sich gern.
2. „Müßiggänger“: Fortunat hat an einem Tag drei wichtige Geschäfte zu besorgen: einen Prozeß zu führen, bei einem Minister wegen einer Sekretärsstelle vorzusprechen und ein Mädchen zu hofieren, damit sie in eine Verlobung willigt. Seine Mutter, die ihm einen Beginn des selbständigen bürgerlichen Lebens schaffen will, hat alle drei Gelegenheiten eingefädelt. Andererseits stellt sich heraus, daß sie ihren Jungen aus erster Ehe verzogen hat, denn er beherrscht mit ihrer Billigung alle möglichen Galanterien, nur das nicht, was er soll. Erziehungsversuche von seiten ihres zweiten Mannes können dabei nichts fruchten. Der Tag vergeht in einem Wirbel von Konfusionen, und alles wird versäumt: erst die Sekretärsstelle, dann der Prozeß, dann die Verlobung. Das Mädchen wendet sich Fortunats geschickterem Konkurrenten zu. Trotz guten Willens und sympathischen Auftretens bleibt Fortunat ohne Fortune. (Es ist eben nicht mehr die Zeit für märchenhafte Unbefangenheit, die sich auf ein Wunschhütlein verläßt.)
Moral: Erst die Arbeit, dann das Vergnügen.
Hier findet übrigens keine Katastrophe statt. Der Schluß erscheint etwa von der Mitte ab unvermeidlich.
3. „Austern“: Herr Liebegern hat vor, die beiden Töchter eines Weinschenken in ihrem eigenen Hause mit Austern auf seine Rechnung zu bewirten, aber heimlich, weil seine Absichten auf lange Sicht amourös sind und weil er seinen und der Mädchen Ruf schonen will. Sein Diener soll den Liebesboten abgeben. Unterdessen finden drei Studenten, Liebegerns Freunde, einen Teil der Austern, eignen sie sich an, weil Liebegern nicht verraten will, daß er sie bestellt hat, und beginnen in seiner Gegenwart zu schmausen. Schließlich kommt es noch zu dem Rendezvous, aber kaum hat man zu dritt begonnen, die Austern zu essen, wird Liebegern von zwei anderen Freunden heimgesucht, und das Mahl wird eines zu fünft. Liebegerns aufgestauter Zorn entlädt sich auf seinen Diener, der ihm die Leute nicht rechtzeitig wieder ausgeladen hat. Eine der Jungfern weiß aber ein noch besseres Mittel, der allgemeinen Frustration beizukommen: man unterschiebt den verdorbenen Rest der Austern einem knickrigen Studenten, der sich ebenfalls in eine der Mädchen verguckt hat, und weidet sich an seinem Nassauern und seinem Ekel, als er erfährt, was er gegessen hat.
Die Fabel ist höchstens nach psychologischen Gesichtspunkten zu gliedern. Moral: keine. Oder höchstens: Unrecht Gut, unrechte Liebe gedeihen nicht.
4. „Hausfranzösin“: Herrn Germanns Frau hat ihm bei ihrem Tode das Versprechen abgenommen, die Kinder von einer Mamsell auf französische Art erziehen zu lassen. Diese Haushälterin hat auch einem alten französischen Offizier Zugang zum Haus verschafft, und beide haben bewerkstelligt, daß Herr Germann seinen noch ziemlich jungen Sohn nach Paris eine Kavaliersreise machen läßt. Er willigt um so lieber ein, als der Junge auf unbemerkte Weise von der Hausfranzösin getrennt werden muß, bei der er noch immer schläft. Eine Gegenpartei, die älteste Tochter, sowie der Bruder und der Neffe des Hausherrn, weisen auf die überhöhten Kosten und das Unsinnige an den französischen Gebräuchen hin. Aber noch haben die Franzosen das große Wort. Als aber Herr Germann Verdacht gegen sie zu schöpfen scheint, verständigen sie sich untereinander und sind auf einmal verschwunden. Germann benachrichtigt seine Angehörigen, daß es sich nach einer neu eingegangenen Nachricht um Betrüger handle. Sie haben das jüngste Töchterchen mitgenommen, als Pfand für die Einlösung eines offenen Wechsels. Am Schluß stellt sich aber heraus, daß das Kind sich befreien konnte, und daß Aussicht besteht, die Verbrecher zu ergreifen.
Moral: Bleibe im Lande und nähre dich redlich!
5. „Bock“: Der alte Richter Zankmann ist im Kopfe unrichtig geworden und erledigt alle häuslichen Angelegenheiten nach der Prozeßordnung. Unterstützt wird er dabei von einem alten Sachwalter, der sich mithilfe der Verselbständigung juristischer Formalien zu einer bestimmenden Position im Hause aufgeschwungen hat. Herr Zierlich, der die Tochter Susanne liebt, kommt von einer Reise zurück und spricht im Hause ein. Er muß erfahren, daß der Sachwalter Scheinklug Susanna heiraten will und Zankmanns Einwilligung schon hat. Zierlichs Bock, den er zum Schutz seiner Pferde gegen Ratten hält, richtet in Scheinklugs Zimmer Schaden an, was zu einer Klage vor dem Hausgericht führt. Mit Hilfe des Sohnes von Herrn Zankmann zieht sich Zierlich aber aus der Affäre und gewinnt Susanna, indem er gegen Scheinklugs Usurpation Widerklage erhebt. Außerdem fällt Scheinklug am Ende einer außergerichtlichen Intrige zum Opfer.
Moral: Prozessieren heißt Vexieren.
6. „Testament“: Frau von Tiefenborn, eine reiche Witwe, hat zwei Nichten und einen Neffen an Kindes Statt aufgezogen. Zwei davon können es kaum mehr erwarten, bis sie stirbt, und versuchen, in ihrem Testament so günstig wie möglich bedacht zu werden. Der einen Nichte, Fräulein Caroline, ist es allerdings egal, da sie sich gut aufgehoben glaubt und nicht um den Preis einer Interessenheirat ein selbständiges Leben beginnen möchte. Die „alte Dame“ ist knapp über 40 Jahre alt und möchte noch einmal heiraten. Das hält sie allerdings geheim, stellt sich krank, um die Reaktionen ihrer Schützlinge zu beobachten, und als sie merkt, daß zwei davon sie kränker haben wollen, als sie ist, damit sie endlich das Testament macht, beschließt sie, den Eclat herbeizuführen. Intrige und Gegenintrige wechseln ab, die Katastrophe besteht im Diktat des Testaments vor versammelter Verwandtschaft und im gleichzeitigen Verlöbnis. Die Erbschleicher gehen leer aus, Caroline erhält eine anständige Versorgung.
Moral: Ehrlich währt am längsten.
7. „Hypochondrist“: Ernst Gotthard, der Sohn eines begüterten Lederhändlers, ist von seiner Studienzeit mit dem Hypochondrischen Übel behaftet heimgekehrt, und weder die Ärzte, noch eigene und fremde Vernunft können ihm helfen. Sein Vater hat den Plan gefaßt, ihn mit einem lustigen Mädchen zu verheiraten, weil er gehört hat, daß das helfen soll. Ernst Gotthard selber weiß davon noch nichts. Die junge Dame kommt in Begleitung ihres Vaters an. Zunächst scheint der Fall hoffnungslos. Allein gelassen, kommen die beiden sich immerhin näher, so daß sie sogar miteinander tanzen und singen und Ernst Gotthard ein Hutband zum Geschenk annimmt. Der Rückschlag ist um so fürchterlicher: als er das Hutband nicht wiederfindet, gerät er so in Verzweiflung, daß er sich aufhängen will. Die Katastrophe gerät aber doch noch zum Guten, weil sich herausstellt, daß er zu seinem Selbstmordversuch gerade das Hutband genommen hat. Die jungen Leute kriegen sich.
Moral: Es sei ein gesunder Geist in einem gesunden Körper.
8. „Unempfindlicher“: Herr Friedlieb hat ein zänkisches Weib, das ihm dazu noch Hörner aufsetzt und in allem ihren Willen haben muß, aber er läßt sich alles gefallen. Seine Tochter will er Herrn Morgenschein zur Frau geben, aber seine Frau hat vor, sie einem ihrer Galans anzuhängen. Die Tochter selbst hat wiederum eigene Pläne. In der Konfrontation der Parteien gibt es immer wieder Gelegenheit, Friedliebs ungeheure Langmut zu bestaunen, während in seinem Hauswesen alles drunter und drüber geht. Auch die Diener intrigieren mit und nehmen sich überhaupt allerhand heraus. Die Verwicklungen werden zunehmend komplizierter, bis durch eine List auf einmal der von Lottchen geliebte mittellose Herr von Schimmerreich sich zum Bräutigam macht, was um so leichter geht, als sich die Mitbewerber inzwischen ins Patt manövriert haben. Also siegt die Liebe, gegen die Tyrannei — aber auch gegen die Vernunft. Dem Friedliebschen Hause geschieht dadurch Schaden, aber das bekümmert nur Frau Friedliebin, die jetzt einsehen muß, daß sie trotz ihrer tyrannischen Art nicht den Hausvorstand ersetzen kann, wenn es der Mann an dieser Qualität fehlen läßt.
Moral: Ein Mann muß sein Hauswesen in Zucht halten, wenn er auch nichts Unbilliges verlangen soll.
9. „Witzling“: Herr Reinhart hat die Vormundschaft über Jungfer Lottchen, an die von ihrem verstorbenen Vater her eine Bedingung geknüpft ist: Sie erhält nur dann vor ihrer Mündigkeit das Erbe, wenn sie einen Mann von Herrn Reinharts Wahl ehelicht. Der ist auf den jungen Vielwitz, Sohn eines Geschäftsfreundes, verfallen. Lottchen mag ihn nicht, weil er so angibt. Und wirklich stellt sich der junge Vielwitz im Gespräch mit Studienkollegen als besserwisserisches Ekel heraus. Schließlich ergibt sich, daß er die Briefumschläge von drei Briefen verwechselt hat, die nun an die falschen Adressaten gegangen sind, und dadurch wird sein wahres Wesen offenbar. Hiermit ist seines Bleibens nicht länger und die Gefahr für Lottchen vorbei.
Moral: Hochmut kommt vor dem Fall.
Allenfalls bei „Bock“, „Unempfindlicher“ und „Hausfranzösin“ kann zwischen Haupt- und Nebenfabeln unterschieden werden. Bei den ersten beiden besteht kein direkter personeller Zusammenhang zwischen der konventionellen Liebeshandlung, deren Stationen den Dramenaufbau abgeben, und der jeweiligen Hauptgestalt, an deren Verhalten die Moral expliziert wird. Beim dritten ist es die verbrecherische Nebenfabel, deren Aufbau und Scheitern dem Stück zu Protasis und Glückswechsel verhilft, während die belehrende Hauptfabel die Hauptgestalten beinahe gänzlich passiv läßt. Aber immer haben wir einen moralischen Satz zugrundeliegen sehen, den sich der damalige Zuschauer oder Leser leicht herauslösen konnte, etwa in der Form jener heute etwas spießbürgerlich anmutenden Sprüche, die ich aufgeschrieben habe.