Gottscheds Komödientheorie


Von den speziell auf die Komödie anzuwendenden Regeln sollen die bei Gottsched spezifischen im folgenden kurz zusammengestellt werden.


Materiales Repertoire


„Die Comödie ist nichts anders, als eine Nachahmung einer lasterhaften Handlung, die durch ihr lächerliches Wesen den Zuschauer belustigen, aber auch zugleich erbauen kann. […] Es ist also wohl zu merken, daß weder das Lasterhafte noch das Lächerliche für sich allein, in die Comödie gehöret; sondern beydes zusammen, wenn es in einer Handlung verbunden angetroffen wird. Vieles läuft wider die Tugend, ist aber mehr strafbar und widerlich, oder gar abscheulich, als lächerlich. Vieles ist auch lächerlich; wie zum Exempel die Harlekinspossen der Italiener: aber darum ist es doch nicht lasterhaft.“ Ich setze dieses Zitat an den Anfang der Erörterung des materialen Repertoire, nicht der Theorie der Komik, weil es den Autor schon bei der Auswahl des Materials zu einem Neuansatz zwingt: die Repertoires bisheriger Komödien können nicht unbesehen übernommen werden. Das Material muß so beschaffen sein, daß der Bürgerliche daran Gelegenheit findet, Partei zu nehmen. Dazu wird Gleichzeitigkeit verlangt: „Die Comoedie wird auch hauptsächlich dadurch nutzbar, daß man die Schwachheiten seines Volkes und seiner Zeiten, nicht aber die Fehler der alten Griechen und Römer vorstellt, die kein Mensch mehr begeht.“ Gottsched nimmt es in diesem Punkt so genau, daß er sogar die Molière-Nachfolge für nicht tunlich hält, weil die französischen Sitten „vor fünfzig Jahren“ jetzt in Deutschland, aber auch in Frankreich ebensowenig bekannt seien als die römischen. (vgl. Lichtenstein, Erich: Gottscheds Ausgabe von Bayles Dictionnaire, Ein Beitrag zur Geschichte der Aufklärung, Heidelberg 1915, S.110.)

Gottsched ein Bestreben nach Aktualität nachsagen zu wollen, wäre nun aber auch nicht das richtige Wort. Das meiste an den herausgegriffenen Verhältnissen und Charakteren hat seiner Meinung nach sein typisches Wesen von der unveränderlichen Natur, und nur die Akzidentien können sich ändern. „Man muß die Natur und Art der Menschen zu beobachten wissen, jedem Alter, jedem Stande, jedem Geschlechte, und jedem Volke solche Neigungen und Gemüthsarten geben, als wir von ihnen gewohnt sind. Kömmt ja einmal etwas außerordentliches vor; z.B. daß etwa ein Alter nicht geizig, ein Junger nicht verschwenderisch […] ist: so muß der Zuschauer vorbereitet werden, […] welches durch Erzählung der Umstände geschieht, die dazu etwas beygetragen haben.“ Material ist also nicht die unmittelbare Anschauung (insofern ist diese Komödie nicht „naturalistisch“), sondern die philosophische. Man kombiniert verschiedene in der Wirklichkeit denkbare Möglichkeiten auf der Grundlage einer begrifflichen Einteilung, also wieder einmal deduktiv. „Im Zeitalter des Rationalismus versteht man unter 'Charakter' eine Mischung einzelner Eigenschaften oder Leidenschaften […]“ — das ist die Affektenlehre. Ihre Anwendung in der Fiktion: „[…] eine Reihe von Möglichkeiten, die sich bei einer Eigenschaft ergeben, werden auf einen Menschen übertragen.“ (s. Gertrud Gelderblom, Die Charaktertypen Theophrasts, Labruyères, Gellerts und Rabeners, in: Germanisch- romanische Monatsschrift, XIV, 1926, S.1.) Hierin aber besteht für die damalige Zeit der Unterschied zwischen hoher und niederer Komik, zwischen literarischer Komödie und Schauspielertheater. Die Verhältnisse waren schon beim Übergang von der Mittleren zur Neueren Komödie der Griechen ähnlich gewesen; Gottsched mochte eben deshalb etwas Überzeitliches darin erblicken. Die Charakterskizzen des Theophrast, der auf Aristoteles zurückging, beeinflußten damals die Komödienproduktion des ihm persönlich bekannten Menander. Dagegen wurde Labruyère zur Nachfolge Theophrasts durch die zeitgenössische Molière'sche Komödie angeregt, als er sein Werk schrieb: „Les caractères ou les moeurs de ce siècle“. Obwohl er also eher induktiv vorging, und obwohl Gottsched die Sitten dieses Zeitalters bereits als überholt ansah, hatten doch die Gottschedianer nichts dagegen, daß die betreffenden Charaktertypen, durch die Moralischen Wochenschriften vermittelt, das Grundrepertoire der Komödienfiguren abgaben. Der grundsätzliche Unterschied zum früheren Klassizismus, daß nämlich zwischen politischer Klugheit und Moral in der Bewertung der Charakterzüge kein Unterschied mehr gemacht wurde, hat sich auf die Auswahl des Repertoire jedenfalls nicht ausgewirkt.

Zur Ständeklausel gibt es noch zu sagen, daß sie von Gottsched gerade nicht sehr engherzig betont wird. Nicht nur, daß „zur Noth Barons, Marquis und Grafen“ auftreten dürfen, insofern sie sich ins Leben der Städte mischen; die Gründe für die Beschränkung auf Bürger werden auch historisch relativiert. Aristophanes als „republikanischer Kopf“ habe es sich einfach erlaubt, den Xerxes lächerlich zu machen; in der Gegenwart lasse Derartiges der Respekt vor hohen Standespersonen nicht zu. Wenn man gesehen hat, wie Gottsched sich sonst bemüht, alle Forderungen auf einfache naturgesetzliehe Gegebenheiten zurückzuführen, wird das gezwungen Opportunistische dieser Vorschrift erst deutlich.

Auch wenn Plautus seinen „Amphitryon“ und Boursault seinen „Esope de la Cour“ eine Tragikomödie bzw. eine Comédie Héroique betitelten, so hätten sie‘s nach Gottscheds Meinung ruhig bei der Bezeichnung Komödie belassen können. (Eine andere Frage ist, ob Gottsched bereit gewesen wäre, solche Stücke als korrekte Vertreter der Gattung Komödie anzuerkennen.) Seine Verbeugung vor der Ständeklausel einerseits und andrerseits der vorsichtige Versuch, sie umzuformulieren im Hinblick auf eine noch unscharf gesehene Klasse von „Stadtbewohnern“, haben möglicherweise den gleichen Grund: die Komödie zu einer Schule der guten Sitten und des guten Tons, der „höflichen Konversation“ zu machen, indem man ihr gesellschaftliches und sprachliches Niveau so weit anhebt, als angesichts der Tradition noch möglich ist. Warum aber überhaupt noch diese Tradition der Schilderungen von städtischen Sitten, wenn man sich ohnehin nach oben orientiert? Weil Gottsched nicht daran interessiert ist, Hofleute und Politici zu erziehen, sondern tugendhafte Privatpersonen. Die sollen freilich Benimm vorgeführt kriegen. „Wer die Lebensart eines höheren Standes als des bürgerlichen nicht kennen gelernt und keine anderen Sitten gesehen, als die auf Schulen und Universitäten im Schwange gehen, der wird sich vergebens bemühen, die feine Art des Umgangs und Scherzes zu erreichen, die im Destouches herrscht.“ (s. Vorrede zum VI. Bd. der "Schaubühne", zit. nach: Friedrich Braitmaier, Geschichte der poetischen Theorie und Kritik von den Diskursen der Maler bis auf Lessing, Erster Teil, Frauenfeld 1888, S.136.) Braitmaier wundert sich, daß Gottsched unter diesem Gesichtspunkt den Moliére in manchen Stücken tadeln kann, seine Frau Gottschedin aber lobt; das hängt jedoch mit den jeweils ins Auge gefaßten Repertoires, nicht mit der Ausführung zusammen, und überdies mit der verschiedenen Ausbildung der entsprechenden Soziolekte.


Ästhetische Ordnungen


Ausgehend von den beiden Grundsätzen der Nachahmung, des komischen Zweckes der Gattung, und von dem neu ins Auge gefaßten Repertoire stellt sich die Regel ein:

„[…] das Lächerliche der Komödien muß mehr aus den Sachen, als Worten entstehen.“ Dies hat sofort dramaturgische Konsequenzen: „Der lustige Kommentator der komischen Konflikte wurde ausgespart und der Dramatiker dadurch gezwungen, eine sehr gründliche und exakt motivierte Vertiefung der gesellschaftlichen Konflikte im Lustspiel vorzunehmen.“ (s. Rieck, Werner: Die Theorie des deutschen Lustspiels in der Periode von 1688 bis 1736, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Pädagogischen Hochschule Potsdam, 9, 1965, 1, S.33.) Gottsched erwähnt zwar die Möglichkeit, einfache Fabeln zu bauen; davon ist jedoch bald nicht mehr die Rede, und er macht zur Minimalforderung, daß die Fabel eine „Entdeckung“ oder doch einen Glückswechsel (eine Katastrophe) haben müsse. Die Kunst liege darin, den Knoten der Handlung zu schürzen. Vor dem Beispiel der Italiener wird gewarnt: sie gebrauchen zu viele Verkleidungen. (Das läuft nämlich auf eine Technik hinaus, mit der man auf Motivierungen verzichten kann.) Auch die ewigen Liebesgeschichten kommen Gottsched als Verwicklung zu stereotyp vor, und er meint, eine Komödie könne sich auch wohl ohne Heirat endigen.

Im Idealfall enthält die Handlung nur eine Fabel. Molière kommt hier als Gegenbeispiel zum Theatre italien, wo alles „vielfach und buntscheckigt“ sei, ausnahmsweise gut weg. Gottsched ist selber außerstande, als er ein Beispiel für eine Komödienfabel gibt, etwas zu finden, was fünf Akte ausfüllt, und verfällt daher wieder auf die alte Lösung, „etliche Zwischenfabeln“ dazu zu dichten, um noch mehr Personen und deren Reaktionen auf die Hauptfabel unterzubringen.

Um die Aufmerksamkeit nicht von der Fabel als derjenigen ästhetischen Ordnung abzulenken, die mit dem Prinzip der Dichtung am engsten zu tun hat, fordert der rationalistische Poetologe „Einheit des Ortes“: man geht hier hinter die technischen Möglichkeiten der zeitgenössischen Bühne zurück, indem man verlangt, daß die Szene von Anfang bis Ende den gleichen Schauplatz präsentieren solle. Es gilt sogar als Abweichung von der Regel, wenn bei Holberg einige Auftritte vor, einige in den Häusern vorgehen (was doch mithilfe des Mittelvorhangs ohne eigentlichen Szenenwechsel zu machen war). „Die Verzierungen der Schaubühne stellen den Ort vor, wo die ganze Fabel gespielet wird. Gemeiniglich ist es ein Bürgerhaus, oder eine Gasse der Stadt, da man an beyden Seiten verschiedene Häuser sieht.“ Das ist wieder eine von den Sturheiten, die an Gottscheds Theorie erst um 1742 aufgetreten sind.

Auch die Beanstandungen an Molière werden in der dritten Auflage der „Critischen Dichtkunst“ erweitert. Dies geschieht etwa zu der gleichen Zeit, in der sowohl die ältere, noch nicht strikt rationalistische, als auch die neuere, nicht mehr strikt rationalistische Dramenpraxis des Auslands in verstärktem Maße rezipiert wird und auch deutsche Autoren erstmalig in größerer Zahl mit dem Anspruch auftreten, literarisches Theater zu machen. Man muß überhaupt in Frage stellen, ob es strikt rationalistische Dichtung anderswo als in der Theorie einiger weniger Literaturpäpste gegeben habe, und ob auch das nur einen kurzen Augenblick gedauert habe. Sobald die Produktion hierzulande richtig begann, mußte sich Gottsched schon gegen Aufweichungen zur Wehr setzen.

Für Gottsched und seinen Kreis stellte die größte dramatische Autorität ein Buch von 1657 dar: Hédelin d'Aubignac, La pratique du théatre. (vgl. Waniek, Gustav: Gottsched und die deutsche Literatur seiner Zeit, Leipzig 1897, S.185.) Man sollte sich allerdings hüten, in dieser Erstarrung und Beharrung auf den berüchtigten drei „Einheiten“ das Wesentliche an Gottscheds Theorie zu sehen. Es war nur die didaktische Konsequenz der Nachahmungstheorie: ohne Betonung der Fabel als den hauptsächlichen, beinah einzigen Gegenstand der Poiesis hätte dies bei dem herrschenden Bühnengeschmack leicht wieder verloren gehen können — meinte jedenfalls Gottsched. Eine andere Vorschrift, die über Boileau auf Hédelin zurückgeht, konnte allerdings für die deutsche Bühne als fortschrittlich gelten: die „liaison des scènes“. D.h. Wenn eine Person innerhalb eines Aktes auftritt, so muß sie eine andere bereits auf der Bühne vorfinden, mit der sie zu reden hat; und wenn eine Person abtritt, so muß sie noch eine andere zurücklassen. Gottsched begründet das damit, daß sonst der Zusammenhang der Zwischenfabeln mit der Hauptfabel zu leicht verloren gehen könne.

Eine ähnliche Verknappung der ästhetischen Struktur zur Herausarbeitung des Grundprinzips strebt Gottsched auch bei der Typisierung der Figuren an: Ein Hauptlaster soll, wie die Fabel, so auch den Typ regieren. Er weist damit auf eine Entwicklungsstufe zurück, die primitiver ist als der Molière'sche, von Labruyère noch weiter ausgebaute Charaktertyp. Schon die Typen der Commedia dell'arte waren aus mehreren Eigenschaften zusammengesetzt. (vgl. Walter Hinck, Das deutsche Lustspiel des 17. und 18.Jahrhunderts und die italienische Komödie, Stuttgart 1965, S.174 f.) In der Praxis mußte jedoch die Theatertradition stärker wirken als Gottscheds Vorschrift, da kaum jemals eine ästhetische Struktur für sich allein in acht genommen wird, sondern Variationen des gesamten ästhetischen Zustands, der gerade in Mode ist, erstrebt werden. So bilden, ohne bewußte Anknüpfung, noch die Charaktertypen der literarischen Komödie des 18.Jahrhunderts in gewisser Hinsicht Nachfolgeerscheinungen der Rollenfächer, wie sie zuerst in der Commedia dell'arte ausgebildet worden waren. Das sieht man schon an der Zahl der Komödianten, die eine Schauspielergesellschaft in der Regel beschäftigen konnte: es waren zwölf, gemäß der Anzahl der bis dahin ausgebildeten Rollenfächer. Daß auch Gottsched diese Zahl erwähnt, geht zwar nicht direkt auf die italienische Praxis zurück, aber wohl indirekt über eine „ordre de la Dauphiné“ von 1684. (vgl. Bernhard Diebold, Das Rollenfach im deutschen Theaterbetrieb des 18.Jahrhunderts, Leipzig und Hamburg 1913, S.39.)

Das Verhältnis von semantisch determinierten zu ästhetisch determinierten Strukturen verschiebt sich, wie man für Gottsched generell feststellen kann, zugunsten der ersteren. Das bedeutet eine Abkehr von dem selbstverständlichen traditionellen Wechselbezug von gattungsgemäßen „Formen“ und „Inhalten“, bei denen diese Unterscheidung aus lauter Konvention schon fast hinfällig geworden war. Man kann wohl darin ein Indiz sehen, daß es wirklich neue „Inhalte“ gebe, wenn sie so betont werden müssen. Aufschlußreich ist hierfür Gottscheds Kritik an Molière. Zunächst hat er gegen dessen „Inhalte“ einzuwenden, „daß er oft das Laster gar zu angenehm, die Tugend aber gar zu störrisch, unartig und lächerlich gemacht hat. Die Galanterie junger Leute hat immer den Vorzug vor der sorgfältigen Aufsicht der guten Aeltern; […]“ ja, er läßt sogar die Laster einen „glücklichen Ausgang gewinnen“! Diese eher skeptische Ausrichtung nach dem "Politischen", den Mangel an Optimismus bei der "Naturnachahmung", kann Gottsched nicht hingehen lassen. Darüber hinaus seien von Molières Stücken die wenigsten regelmäßig. Viele seiner Komödien seien nur Farcen und Possenspiele. Andererseits erreiche seine „poetische Schreibart“ nicht die „Einfalt der Natur“ wie etwa bei Terenz. Mit Plautus, den er auch nicht recht leiden kann, stellt er Molière auf eine Stufe. Das geht gegen die „Form“, die sich vordrängt, sowie überhaupt gegen das Spielerische, nicht absichtlich Zweckmäßige.

Während der Poet nicht das Laster zur Tugend erheben soll (und wenn‘s auch bloß zur Klugheit wäre), darf er auch die Tugend nicht als Laster erscheinen lassen. „Es ist ein ganz ander Werk mit der satirischen Poesie. Diese ist die Frucht einer gründlichen Sittenlehre […] Die wahre Satire greift also nicht unschuldige, sondern schuldige Leute an: ja sie strafet das Böse an sich, ohne die Personen, die es an sich haben, zu nennen, oder auf eine anzügliche Art zu beschimpfen.“

Wenn man die Fabeltheorie auf die bereits vorhandene Gattung der Komödie anwendet, so gelangt man zum satirischen Ansatz. Er wird zum Wirken gebracht mittels der Komik; aber jede sonstige Komik, die nicht aus der satirischen Absicht stammt und auf eine Fabel bezogen ist, soll künftig wegfallen. „Terenz hat seine Comödien ohne eine lustige Person lächerlich genug zu machen gewußt: das neue französische Theater hat gleichfalls bisher keinen Harlekin nöthig gehabt, die Zuschauer zu belustigen, obgleich Molière darinn ein böses Exempel gegeben hatte. […] und ein Poet setzet sich wirklich in Verdacht, als verstünde er sein Handwerk, das ist, die Satire nicht; wenn er ohne die Beyhilfe eines unflätigen Possenreißers, nichts Lustiges auf die Schaubühne bringen kann.“

Eine Bestimmung der Komik, die nicht bloß einschränkend wäre, gibt Gottsched nicht, was um so bemerklicher ist, als ja Satire nicht immer komisch ist. Sie ermöglicht allenfalls zwei Arten der Komik: die eine ist die Unzulänglichkeits-, oder allgemeiner, Kontrastkomik. Ihre damalige Theorie geht auf Thomas Hobbes zurück, der den Aspekt der Überlegenheit des Lachenden herausstellt. Diese kann jedoch, nach Hobbes, durchaus eine scheinbare Überlegenheit sein; gerade derjenige, der am wenigsten eigene Vorzüge hat, schmeichelt sich am meisten, wenn er auf eine Deformation bei anderen blickt — mit anderen Worten, wer sich hinreißen läßt zu lachen, hat einen Minderwertigkeitskomplex oder ist sogar minderwertig. (vgl. Thomas Hobbes, Leviathan, Bd.I, London 1651, Kapitel VI, S.40.-zit. nach: Paul Mallory Haberland, The Development of Comic Theory in Germany During the Eighteenth Century, Göppinger Arbeiten zur Germanistik, Göppingen 1971, S.38.) In der Tat vermied man damals in der „guten Gesellschaft“ das Lachen, weil es als vulgär galt. Man lächelte höchstens.

Hat Gottsched sich in diesem Punkte ausnahmsweise nicht nach den „feinen Leuten“ gerichtet? Wohl kaum. Man muß eine Art „Komik des überlegenen Spiels“ ansetzen, insofern sie mit der Satire in Einklang gebracht werden kann. Um eine solche Vereinbarkeit steht es jedoch schlecht, wenn man nicht die Komik zum Pol des „Anmutig-Geistreichen“ verschiebt, was die damalige Zeit „Witz“ nannte. Statt der „lustigen Rede“ des Hanswurst der pointierte Dialog. Es läuft mehr auf eine besondere Art der Wahrnehmung und deren überraschende Formulierung als auf rhetorische Kunststücke über den ewig gleichen Themen hinaus. Reime? Sie sind völlig überflüssig, ja störend, denn der Zuschauer soll in seinem Mitdenken nicht durch die Erwägung gestört werden, daß er nicht aktuellen Handlungen zusieht, aktuellen Reden zuhört, sondern daß alles schon arrangiert ist. Er würde sich nicht in die Debatte einbezogen fühlen, die da abläuft. Er würde weniger darauf achten, was, als wie es gebracht wird. Von daher halte ich es als verfehlt, Gottscheds Theorie als eine des „Illusionstheaters“ etwa der Brechtschen entgegenzusetzen. Wenn man so will: die Verfremdung besteht hier im bewußten Traditionsbruch im Hinblick auf das Komische. Andererseits hat Verfremdung immer etwas „Witziges“.

Während er zwar keine Neuigkeiten zu verkünden, sondern an beständige Wahrheiten zu erinnern glaubte, hat Gottsched doch auf dem Gebiet der Komödie seine Theorie als eine der Vorbedingungen aufgefaßt, unter denen in Deutschland eine eigenständige Produktion erst beginnen könne. Die zweite Vorbedingung ist angeblich die Förderung von oben: „Es kömmt nur darauf an, daß unsre große Herren sich endlich einen Geschmack von deutschen Schauspielen beybringen lassen: denn so lange sie nur in ausländische Sachen verliebt sind, so lange ist nicht viel zu hoffen.“ Trotz Gottscheds Bemühungen blieb jedoch die Anteilnahme der Höfe an der deutschen Literatur in der nächsten Zeit gering. Andrerseits aber kam es von 1740 bis nach 1750 zu einem geradezu eruptiven Anwachsen der Komödienproduktion nach Gottscheds Regeln; weitaus die meisten dieser Stücke wurden in Leipzig gedruckt oder aufgeführt; die Autoren, die fast alle um 1720 geboren waren, gehörten meist dem Kreis der Studenten Gottscheds an.

Es ist dennoch statt der höfischen keine bloß akademische Literaturbewegung daraus geworden. Zum Teil wurden die äußeren Bedingungen für diese Abweichung schon angeführt. Es bleiben noch ein paar Worte zu den rein literarischen Einflüssen zu sagen. Durch die Rezeption von Holbergs Lustspielen in den 1740er Jahren gelangen wieder Formen und Repertoires des Théatre italien und Molières zur Kenntnis. Man verdammte die Praxis der Wanderbühnen, aber konnte sich nicht so unbedingt von deren Auswirkungen auf das bereits literarisierte Theater des Auslands freihalten. Gottsched selbst, als er eine Beispielfabel zur Verdeutlichung eines moralischen Satzes konstruiert, gerät unversehens ins Repertoire der „Lazzi“. So schlich sich in die Praxis ein, was der Theorie nicht entsprach. Dabei ist jedoch die Kommunikationssituation zu bedenken, in der die Übereinkunft, was von der Komödie zu erwarten sei, nicht augenblicks und von Grund auf zu verändern war. Wenn man nicht die Gattung aufgeben wollte, hatte man sich in vielem damit zu begnügen, das bereits Gebräuchliche in neue Strukturzusammenhänge zu stellen.

Nicht nur vom Alten jedoch kamen Anstöße, welche die Theorie Gottscheds auf die Dauer zersetzten. Abgesehen von der Veränderung der Kommunikationssituation, des Publikums selbst, wirkten auch neueste literarische Beispiele der Unverbrüchlichkeit der Regeln entgegen. Gerade Gottsched hatte von den neueren Franzosen immer Destouches hervorgehoben; dabei waren er und seine Zeitgenossen, die Gottsched weniger schätzte, schon dabei, die Ausnahme zur Regel zu machen: die Comédie larmoyante, so tolerant sich Gottsched ihr gegenüber auch erwies, ist nicht nach seinem Geiste. Von 1750 an mußte er sogar noch erleben, daß die Zauberspiele von Frankreich aus wieder in Mode kamen.