L'Avare


Was die Wanderbühnen aus dem Thema des Besitzens machten, ist sprachlich leider nicht mehr zu greifen. Es wäre denkbar, daß das Rollenfach des Pantalone zusammen mit aktueller Bezugnahme manches zur Wirkung kommen ließ, was auch im Rahmen dieser Arbeit von Bedeutung wäre. Wir müssen den Umweg über das französische Theater nehmen, weil uns nur von dort aus dem 17.Jahrhundert Belege für entsprechende Komik und Satire vorliegen, die nicht mehr in der Welttheateridee aufgehen, und zwar solche Belege, die nachmals auch in Deutschland Einfluß ausgeübt haben auf die Entwicklung eines bürgerlichen und literarischen Theaters. Es trifft sich gut, daß Molière den alten Plautus-Stoff adaptiert hat. Wieder entzieht sich unserer Kenntnis, was daraus auf den deutschen Bühnen unmittelbar geworden ist.

Die erste getreue Textübersetzung ist in einem Deutsch abgefaßt, das von Schauspielern kaum so gesprochen werden konnte; diese Ausgabe wurde ja auch zum Zweck des Französischlernens veranstaltet. Man kann aber daran sehen, wie in der damaligen deutschen Umgebung das Stück vom Geizigen verstanden wurde. Uns interessiert erstens der Komödientypus, der für die Deutschen ungewöhnlich war, aber später vorbildlich werden sollte; zweitens betrachten wir die sprachlichen Mittel, die einem galanten Nürnberger zur Verfügung standen, um das Komische an Molière's Darstellung nachzuzeichnen.

Der erste deutsche Nachdruck in französischer Sprache hatte den Titel: „Histrio gallicus comicosatyricus, sine exemplo: ou Les Comédies de Monsieur de Molière, Comedien incomparable du Roy de France. Divisées en Trois Tomes. Edition nouvelle. Enrichié de Figures en taille-douce. A Nuremberg, chez Jean Daniel Tauber, Libraire, 1695.“ Die dazugehörige Übersetzung, von der mir die Auflage von 1700 zugänglich war, nimmt vielleicht im Titel nicht so sehr Bezug auf vorangegangene Auflagen desgleichen Textes, sondern auf die unvollkommene Übersetzung von 1670 in der Frankfurter „Schaubühne Englischer und Französischer Comödianten“, wenn es heißt: „[…] Die Weltberühmten Lust-Comödien/ Des Unvergleichlichen Königlich-Frantzösischen Comödiantens/ Herrn von Moliere/ Wieder aufs Neue/ und nach den Molierischen Genio, gantz accurat in das Teutsche übersetzt: Mit Kupffern gezieret/ und also gedruckt/ Daß sie in Frantzösischer und Teutscher Sprach nebeneinander stehend/ oder in einer jeden besonder/ können eingebunden werden. […] Nürnberg […] 1700.“ Ich werde auch gegebenenfalls zum sprachlichen Vergleich die Auflage heranziehen: „Des Herrn von Moliere Schertz-und Ernsthaffte Comoedien, Auf vieler Verlangen/ Wieder aufs neue zum drittenmal ins Teutsche übersetzt […] Nürnberg und Altdorff […] 1721.“

Was hat Moliere zunächst einmal an den Besitzhandlungen geändert, die er bei Plautus vorfand? Wenn rein antiquarisches, humanistisches Interesse im Spiel gewesen wäre, hätte er wohl das meiste so stehen lassen. Aber da hat schon einmal Harpagon die 10 000 Taler selbst im Garten vergraben. Er zankt mit seinen Kindern, daß sie ihm so viel Unkosten verursachen, oder ihn sogar bestehlen. In der Tat muß sich Cleanthes das Geld für seine persönlichen Bedürfnisse beschaffen. Der anonyme Geldleiher des Cleanthes stellt im voraus Bedingungen: notarielle Ausfertigung einer Obligation; überhöhter Zins; ein Fünftel des Wertes nicht in bar, sondern in altem Hausrat und seltsamem Gerümpel. Und es ist Harpagon selbst, der den Wucherer macht. Frosina erbittet von Harpagon für ihre Kupplerinnendienste Geld, und zwar, um damit einen Prozeß zu gewinnen. — Man sieht, es wird viel mehr Geschäftliches repräsentiert.

Die Personen sind aktiv ins Erwerbsleben verstrickt. — Was von Harpagon erzählt wird: Er bricht um Neujahr Zank mit seinen Dienstboten vom Zaun, so daß sie ihm davongehen vor Ende des Dienstjahres und er ihnen den Lohn nicht zahlen muß. Er läßt seine Pferde halb verhungern, so daß sie die Kutsche nicht bis zum Markt ziehen können. Er hat nachts Hafer aus dem Stall gestohlen und, weil er sich nicht verraten wollte, vom Kutscher Prügel bezogen. — Das ist wesentlich konkreter als die phantastischen Erzählungen von Euklios Sparsamkeit. Es hat Methode. — Harpagon hält seine Diener an Kleidung sehr kurz. Manche Diener haben mehrere Funktionen, für die man eigentlich verschiedene Leute bräuchte. Valeri, als Oberaufseher, visiert alle Haushaltsrechnungen aufs schärfste. — Es ist ein ganzer Apparat von Dienstleistungen entwickelt, die aber zur geschlossenen Hauswirtschaft gehören. — Harpagon läßt einen Kommissar den Diebstahl untersuchen. — Öffentliche Dienstleistungen gibt es also auch, die sind aber nicht sehr effektiv. — Bezeichnend für den kriminellen Einschlag mancher Besitzhandlungen, die aber nicht gerichtlich relevant werden, ist die Erpressung, die Cleanthes mit dem Geldkästchen treibt, um von seinem Vater die Heiratserlaubnis zu bekommen.

Auch bei der sozialen Einordnung der Personen hat Moliere aktualisiert und zum Exempel gesteigert: Sein Harpagon ist ein reicher Bürger. In II, 2 wird ihm sogar von seinem Sohn vorgeworfen, er verunehre seinen Stand durch seine Art von Handelschaft; es muß sich also mindestens um einen Patrizier, wenn nicht um einen Angehörigen der noblesse de robe handeln. Der Rahmen seiner Haushaltung ist mit Garten, Kutsche, Pferden, mehreren Bedienten und einem Majordomus recht weit gespannt, wenn er auch karg lebt, unter seinen Verhältnissen. — Herr Anshelm entspricht im Hinblick auf seine Besitzhandlungen und seine Stellung in der Liebesintrige dem Megadorus. Hier wird er außerdem als nobilitierter Doktor oder gelehrter Adliger eingeführt. Er ist in der Tat eine glanzvolle Gestalt und dem Harpagon an Reichtum wohl ebenbürtig. — Die Söhne und Töchter sind auch hier finanziell völlig von ihren Vätern abhängig. Solange sie diese nicht beerben, können sie keine anderen als Kreditgeschäfte tätigen, wobei der Kredit des Vaters den Ausschlag gibt. Wenn sie einen Beruf ergreifen, so heißt das, dienstbar zu werden. Und dazu sind sie sich als künftige Hausvorstände normalerweise zu gut. — Die Angehörigen geringerer bürgerlicher Schichten wie Meister Simon, Frosina und der Kommissar, können ebenso wie die Hausangestellten für ihre Dienste Geld fordern. Die Hausangestellten allerdings können geprügelt werden. Ob man immer Geld bekommt, hängt davon ab, wie die Dienste gefallen. Anscheinend ist das Maß der Entlohnung nicht die aufgewendete Zeit und Mühe, sondern der Erfolg. Äußerste soziale Unsicherheit. Eigentlich gilt dies auch für die Höheren: Verarmte Großbürger, wie Valeri, Mariana und ihre Mutter, verlieren die soziale Stellung, die sie innegehabt haben, jedenfalls, was ihre Heiratschancen angeht. Nur deshalb erscheint die Liebe zwischen beiden jungen Paaren unordentlich in den Augen der Älteren und von daher bedroht.

Sprachliches Ausgangsrepertoire:

I, 1: Die typischen Floskeln der galanten Schreibart, wie sie auch Talander in den Briefen an und von Frauenzimmer vorführt. Inhaltlich einiges politisches Pläneschmieden; stilistisch ziemlich hypotaktisch oder zumindest die länger gereihte Abart des Seneca-Stils; Vokabular aus der mittleren Stilschicht, mit einigen Metaphern und Tropen aus der höheren; Vorliebe für feststehende, konventionelle Epitheta. Ausrutscher: „Die Durchtriebenste sind stets an Seiten der Fuchsschwäntzerey grosse Schepssen/ und es ist hier nichts so unbesonnen und lächerlich/ das man nicht in sich zu fressen/ verursache/“ Wie man sieht, geht diese Sprache mit den Kasusendungen anders um als die spätere, nach der Sprachgeschichte und Analogie berichtigte Gottschedische.

I, 2: Dem Übersetzer steht auch die kurze Seneca-Schreibart zu Gebote. (Im Text von 1700 ist der Stil überhaupt etwas parataktischer, nicht ganz so vertrackt und nominal.)

I, 3: Gerade die Hauptperson redet den niedersten Stil: kurz angebunden, ohne Figuren, primitiv grammatisch und voller Schimpfwörter und unhöflicher Direktheiten. Aber ganz so roh redet er bloß mit Dienern.

Affektbetonte Sprache verwendet Frage, Ausrufe, abgebrochene Sätze, Anreden. Es gibt da aber immer noch die zwei Stilschichten zu unterscheiden. Und so durchs ganze Stück.

Besitzdenken, das sich ohne satirische Funktion im Text findet, und ohne daß es in die ästhetische Struktur verknüpft ist:

1,2 (Cleanthes) „[…] daß wir unsere Treu/ ohne derjenigen Einwilligung/ von welchen wir das Leben haben/ nicht verpfänden sollen/[…]“ — dies erinnert an die Überschneidung der Sinnbezirke bei Talander.

11, 4: Frosina „[…] daß der Himmel meines gleichens Personen/ kein ander Einkommen gegeben/ als die geheime Practiquen und Embsigkeit“ — das kann noch als Metapher, oder schon als Besitzdenken aufgefaßt werden.

111, 4: „Mein Gott/ alle die weißkopffigten Porsch sind annehmlich/ und bringen ihre Waaren recht wohl an; aber der meiste Theil ist blutarm/ es ist für euch besser/ einen altverlebten Mann zu nehmen/ der euch viel Vermögens zubringt. Ich bekenne euch/ daß die Sinne/ bey deme/ was ich saget ihre Rechnung so gut nicht finden […] aber […] sein Tod glaubt mir/ wird euch bald in den Stand setzen/ dar innen einen annehmlichern zu nehmen/ welcher alles wieder hereinbringen wird. — Mariana. Mein GOtt/ Frosina/ das ist ein seltzamer Handel […]“ Die ausgearbeitete Metapher wird von Mariana mit dem rechten Namen genannt. Daß aber der Handel möglich ist, wiewohl er seltsam erscheint, deutet auf einen Beginn des Besitzdenkens. Hier funktioniert es aber vielleicht doch nur im satirischen Kontext einer Sittenschilderung.

Es ist auch schon möglich zu sagen: „Ja Madam/ das Glück sie zu besitzen/ ist nach meinen Bedüncken/ das schönste von allen Glücken […]“ (III, 7). Das klingt schon wolffianisch.

Die Sprache des Geizigen selbst verrät an einem hervorzuhebenden Beispiel, daß für ihn das Besitzdenken in der von uns erwarteten Weise eben nicht gilt, da er an den konkreten materiellen, nicht an irgendwelchen anderen Werten orientiert ist:

11, 5 (Frosina) „Verzeihet mir. Ist das nicht etwas handgreiffliches/ nemlich euch zum Heyrath-Gut eine grosse Mässigkeit zuzubringen; die angeerbte grosse Liebe/ zu einen einfältigen Schmuck/ und die Erlangung eines unergründlichen Hasses zu den Spiel? — Harpagon. Das ist ein Gespött/ wann man mir ihren Braut-Schatz von lauter solchen Unkosten/ welche sie nicht machen wird/ bestimmen will. Ich werde keine Quittung über das/ was ich nicht empfange/ geben/ sondern ich muß zuvor etwas in die Hand bekommen.“

Das Thema des Stückes ist die Tyrannei eines vom Geiz besessenen Hausherrn über Kinder und Gesinde, die Verkehrung des vernünftigen Laufs der Dinge durch die libidinöse Besetzung des Geldes. Nebenthema ist die richtige Partnerwahl. Es ist enger mit dem Hauptthema verbunden als bei Plautus, weil der Geizige selber als potentieller Ehepartner auftritt.

Typisierung der Personen:

Harpagon ist ein von Haupt-und Nebenaffekten charakterisierter Typ eines Lasterhaften bzw. Narren, der kaum je hochkomische, sondern sehr drastische Züge bekommt. Allein die Vielfalt der Situationen, in der sich sein einschichtiger Charakter von stets dem gleichen Antrieb beherrscht zeigt, macht ihn zu etwas Besonderem vor den anderen Rollen. — Cleanthes und Valeri, die beiden jugendlichen Liebhaber, sind immerhin unterschiedlich mit Nebenaffekten ausgestattet, was ihnen eine beträchtliche Individualität verleiht. Gegenüber Schwierigkeiten reagiert Cleanthes cholerisch, rasch, tatkräftig; Valeri eher melancholisch, ausweichend, listig. Gerade der entspricht dem plautinischen Liebhaber. — Elise und Mariana erscheinen demgegenüber ziemlich blaß. — Anshelm: pere noble. — Frosina: Kupplerin, aber nicht ohne Vernunft und Güte für unglücklich Liebende. — La Flesche: listiger Diener. Spielt die Rolle des diebischen Dieners bei Plautus. Wird aber, um das Anstößige zu mildern (wie Molière auch die sexuelle Anstößigkeit weggelassen hat), zu einem eigentlich tugendhaften, mehr „erzieherischen“ Dieb gemacht. Er handelt gemäß dem locus communis, daß übergroßer Geiz die Diebe anzieht, ja erst Diebe macht. Die Schuld fällt also auf Harpagon zurück. — Meister Jacob: er ist der lustige Diener mit tolpatschigem Einschlag. Seine Offenherzigkeit, die gegen das Decorum verstößt, bringt ihm Schläge; seine Lügnerei bringt große Gefahr für die positiven Protagonisten, aber weil er eine gewissermaßen gerechte Rache vollzogen hat, wird ihm verziehen. Gerecht war seine Rache auch nur gegen den angenommenen, nicht den wirklichen Charakter des Valeri. — Es gibt also in diesem Stück nur eine einzige moralisch negativ bewertete Figur, alle andern sind zu entschuldigen, auch nach strengeren Maßstäben, je nach Maßgabe ihres Standes und ihrer Umstände. Sie verstoßen höchstens gegen die Klugheit. Derjenige aber, der nicht zu entschuldigen ist, bleibt im Unterschied zu Euklio unheilbar. — Die restlichen Personen sind übrigens lediglich Chargen, die nicht charakterisiert sind.

Fabel:

Die Fabel ist im Vergleich mit der plautinischen um eine andere Vorgeschichte erweitert, um die skandalöse Verführung und Schwangerschaft zu vermeiden; ferner ist aus den „Captivi“ des Plautus der Schiffbruch und die Verstreuung einer Familie in die Vorgeschichte übernommen; die Enthüllung dieser Sachverhalte führt am Ende den Glückswechsel herbei. Molière kannte ja keinen Schluß der fragmentarisch überlieferten „Aulularia“ und verfügte nicht über das philologische Rüstzeug, ihn zu rekonstruieren. Das Paar jugendlicher Verliebter ist verdoppelt, entsprechend auch die Anzahl der unpassenden, weil alten Ehebewerber. Daß Molière den einen davon den Geizhals selber sein läßt, ist die einschneidendste Veränderung, weil dadurch die Charakterkomik noch enger mit der eigentlichen Fabel verbunden wird. Auch daß das eine Geschwisterpaar den Harpagon zum Vater hat, bedeutet einen Eingriff in dieser Richtung. Die eigentliche Fabel hat jedoch mehr mit Liebes- als mit Besitzhandlungen zu tun. Die Katastasis besteht hier in der Aufdeckung des Verhältnisses zwischen Cleantes und Mariana, sowie der Verdächtigung Valeris als Dieb. Der Diebstahl selbst erscheint bereits als Bedingung der Katastrophe, weil man weiß, daß Cleantes damit ein Druckmittel in die Hand bekommt.

Besitz in komischen Situationen:

I, 3 entspricht I, 1 bei Plautus. Hier werden die Prügel allerdings nur rudimentär verabreicht; es handelt sich vielmehr um Schimpfreden. Bei der Leibesvisitation parallel zu Aulularia IV, 4 entfällt (wenigstens in diesem Text) der Gag, daß Harpagon sich auch noch die „dritte Hand“ weisen ließe, ob La Flesche nichts Gestohlenes darin habe.

I, 4: Komische Unzulänglichkeit einer Lüge: Harpagon, der sich in einem Selbstgespräch von seinen Kindern belauscht glaubt, beteuert, er habe davon gesprochen, daß er kein Geld besitze. Dadurch verrät er sich beinahe im Übereifer.

I, 5: Sprachkomik im Dialog und Ironie: Harpagon betont immer wieder, daß Herr Anshelm Elise ohne Brautschatz zu nehmen willens sei, und Valeri greift dies scheinbar auf, macht es zum Zentrum seiner ironischen Argumentation und enthüllt dadurch die Absurdität. Hohe Komik wird aus niederer.

II, 1: Komische Aufgipfelung des Unangebrachten: Die Bedingungen für das Geldleihen, die La Flesche seinem Herrn überbringt, kommen als immer unverschämterer Wucher heraus, und die jedesmalige Reaktion des Cleantes wird immer heftiger, die Beschwichtigung des Dieners immer ironischer.

II, 2: Komische Aufdeckung von Peinlichkeiten: In den Rollen des halsabschneiderischen Wucherers und des leichtsinnigen Verschwenders, die sich gegenseitig das Wasser abgraben, stehen sich plötzlich Vater und Sohn gegenüber und brechen in Beschimpfungen aus.

II, 5: Närrische Reden: Frosina lügt über Marianas Sparsamkeit das Blaue vom Himmel herunter oder übertreibt doch sehr stark. Harpagon geht darauf ein, aber es ist ihm noch nicht genug.

II, 5: Hochkomisches Widerspiel zweier Affekte: Frosina hat leichtes Spiel, Harpagons Eitelkeit zu schmeicheln, aber es gelingt ihr nicht, aus dieser Schmeichelei einen Vorteil zu schlagen — der Geiz ist stärker, auch bei mehrmaligem Anlauf.

III,1: Kontrastkomik: Anläßlich von Hochzeitsvorbereitungen, die seinem Haushalt und Stand entsprechend recht großzügig ausfallen müßten, erweist sich die ganze Filzigkeit Harpagons. Die Dienstboten werden zu allen möglichen Ersparnissen angehalten. (vgl. Plautus, I, 2 u. II, 2.) Valeri übernimmt ironischerweise diese Haltung und untermauert sie mit scheinvernünftigen Argumenten. Hochkomisch, wie der biedere Meister Jacob dadurch ins Unrecht gesetzt wird und Harpagon in Entzücken gerät. Aufgipfelung dieser Komik, wenn sich herausstellt, welcher Tierquälerei sich Harpagon durch Ersparnis am Futter seiner Pferde schuldig macht. Schließlich noch eine komische Rede, die gänzlich den Rest Decorum zerstört: Meister Jacob erzählt seinem Herrn auf dessen Verlangen, welche grotesken Geschichten über seinen Geiz in Umlauf sind. Dies entspricht etwa Plautus II, 4.

III, 7: Komik des Kontrasts von Schein und Wirklichkeit, mit schelmenhaftem Einschlag: Cleantes hat, um seine Geliebte als zukünftige Schwiegermutter scheinbar würdig zu bewillkommnen, das absichtliche Versäumnis seines Vaters wettgemacht und einen Imbiß bereitgestellt. Ist dieser schon deshalb erbittert, ohne es zeigen zu dürfen, so wird dies aufs höchste gesteigert, als sein Sohn ihm einen wertvollen Ring vom Finger zieht und ihn scheinbar im Namen seines Vaters seiner Geliebten verehrt. Da es Harpagon nicht völlig gelingt, gute Miene zum bösen Spiel zu machen, deutet Cleantes seinen Unwillen so, als sei er beleidigt, weil Marians den Ring nicht gleich annehmen will! Diese Situation muß wohl ihrer Komplexität und szenischen Breite wegen hochkomisch genannt werden.

III, 9: Komik der fixen Idee: Harpagon ist von einem Diener versehentlich umgerannt worden. Er meint gleich, der sei von seinen Schuldnern bestochen, ihm den Hals zu brechen.

IV, 7: Entspricht Plautus IV, 8. Gesteigert erscheint die Liebe zum Geld und die Todessehnsucht wegen seines Verlustes in Harpagons Monolog. Niedrigkomischer Lazzo, daß er sich selbst als Dieb beim Arm ergreift, weil er nicht mehr weiß, wer und wo er ist.

V, 1: Komische Übertreibung: Harpagon, gefragt, wen er verdächtige, antwortet: „Jederman! und ich will/ daß ihr die Stadt und die Vorstädte arrestiret.“

V, 2: Niedrigkomische Verwechslung aufgrund der fixen Idee: Meister Jacob ruft im Auftreten hinter die Szene, wie er ein Spanferkel zurichten lassen will; Harpagon meint, er spreche von den Strafen, die dem Dieb gebühren.

V, 3: Entspricht Plautus IV, 10. Das Mißverständnis ist allerdings sehr in die Länge gezogen. Vielleicht liegt die Ursache hierfür darin, daß stärker auf Besitzhandlungen angespielt wird; wird nicht dadurch, daß der Ehekontrakt unterschrieben ist, eine Mitgift erschlichen? Oder gar eine Erbschaft? Bemerkenswert ist weiterhin, daß von der "Ehre" viel die Rede ist, einem Gesichtspunkt, der bei Plautus völlig fehlt.

V, 6: Wiederholungskomik: Harpagon, der in der allgemeinen Wiedersehens- und Vermählungsfreude an nichts als sein Geldkästchen denkt, bringt durch seine armselige Schnorrerei den großzügigen Herrn Anshelm dazu, ihm nacheinander das Geld für die Hochzeiten, für ein neues Gewand und für den Gerichtsschreiber zu versprechen. Dies ist eine Steigerung der bei Plautus vorkommenden Großzügigkeit des Megadorus.

Satire:

Was nicht sein sollte (nur in Bezug auf Besitz):

-Daß man seine Kinder bei Lebzeiten zu kurz hält, sonst zwingt man sie zum Schuldenmachen, wenn sie reputierlich leben wollen, oder man bringt sie sogar dazu, des Erbes wegen den Tod des Vaters herbeizuwünschen.

-Daß man andere Leute mit dem Verdacht beleidigt, sie wollten einen bestehlen, denn dadurch könnte man sie erst recht auf den Gedanken bringen.

-Daß man immer seine Armut beteuert, weil sich das bald abnutzt und nicht mehr recht geglaubt wird, wenn es mit dem Hauswesen nicht sichtlich bergab geht.

-Daß man bei einer Verheiratung mehr auf das Geld als auf die Neigung sieht, weil die Eheleute sonst ein Leben lang unglücklich werden können.

-Daß man in dringende Geldnot gerät, weil man sonst beim Entleihen alle Bedingungen akzeptieren muß.

-Daß man Wuchergeschäfte treibt, weil man sich dadurch verunehrt.

-Daß man sich für eine Gefälligkeit von niederen Personen nur durch Worte und nicht auch materiell erkenntlich zeigt, denn so kann es geschehen, daß sie das nächste Mal die Gegenseite unterstützen.

-Daß man seine Dienstboten zu kurz hält, denn mit verwahrlosten Leuten legt man keine Ehre ein.

-Daß man beim Festefeiern spart, denn dadurch legt man erst recht keine Ehre ein, wie es bei solchen Gelegenheiten vonnöten wäre.

-Daß man den gesamten Haushalt aufs äußerste einschränkt, denn so wird man bei allen Leuten zum Gespött.

-Daß man die Notlage eines Mädchens ausnützt, um ihr als vermögender Freier zu erscheinen, selbst wenn man für sie zu alt ist: bestenfalls wird sie sich nach dem Tod des Ehemanns sehnen, um einen jüngeren zu heiraten. Oder man wird zum Hahnrei.

-Daß man sich über einen Diebstahl zu sehr erregt, sonst leidet die Gerechtigkeit, und es kommt auch Schadenfreude auf.

-Daß man nicht allezeit an sein Geld denken soll, weil einem sonst im Guten wie im Schlechten manches Wichtigere entgeht.

Was sonst noch an satirischen Aussagen in Dialog und Fabel liegt, läßt sich auf zwei Sätze reduzieren:

Gleich und gleich gesellt sich gern (von Liebenden); und: alles zur schicklichen Zeit und am rechten Ort (von Bedienten und Herren). Es geht also um Klugheit und Schicklichkeit.


Besitzdenken als Teil der ästhetischen Ordnung auf Szenen-Ebene:

II, 4 (La Flesche über Harpagon): „Es ist kein Dienst/ welcher seine Erkänntnuß/ biß zur Eröffnung der Hände treibet. Vom Lob/ von der Hochachtung/ von der Wolgewogenheit in Worten/ und von der Freundschafft/ so viel als euch belieben wird; allein vom Geld/ da ist Niemand daheim.“ Die Fassung von 1721 verdeutlicht noch: „[…] allein mit dem Geld ist kein Handel.“ Scherzrede.

III, 2 (Valeri): „Als ich wohl sehen kan/ Meister Jacob/ so bezahlt man eure Offenhertzigkeit schlecht.“ Streit zwischen dem Politicus und dem treuen Diener alter Sorte, der später auch einmal politisch lügen will, was aber komisch herauskommt.

Das Mißverständnis in V, 3 funktioniert wie bei Plautus, und an der Sprache läßt sich hier belegen, daß Valeri unter einem „Schatz“ (oder in der Fassung von 1721, „Reichthum“) die Tochter Harpagons verstehen kann, „ohne Zweiffel der kostbarste den ihr habt“, während Harpagon sein Kästchen im Sinn hat.

In V, 4 erreicht die widernatürliche Narrheit des Geizigen einen Höhepunkt. Elise: „Ja mein Vatter/ das ist derjenige/ welcher mich aus der grossen Wassers-Gefahr/ darein ich eures Wissens gerathen/ errettet hat/ und welchen ihr das Leben/ von eben derselben Tochter schuldig seyd/ weil… — Harpagon. Alles dieses ist nichts/ und wäre es für mich viel besser/ wann er dich hätte ersauffen lassen/ als zu thun/ was er gethan hat.“ Impliziert ist bereits eine natürliche Ordnung der Werte, in der das Leben der Tochter höher taxiert wird als 10 000 Taler. Aber diese Ordnung ist noch leicht zu gefährden und kann nicht so emphatisch behauptet werden wie später, wo es Väter wie Harpagon einfach nicht mehr gibt.

Zusammenfassend gesagt: In der Molièrischen Komödie ist von bürgerlichen Tugenden im Zusammenhang mit dem Besitzen kaum die Rede, um so mehr von einem Bürgerlaster, das den Patrizier daran hindert, sich so aristokratisch zu benehmen, wie er es eigentlich erstrebt. Daß die galanten Jungen auf großem Fuße leben wollen, wenn das Geld schon mal da ist, wird auch positiv gesehen. Die Konzentration der Fabel auf die Charakterkomik hat nicht gehindert, eine romantische Liebesgeschichte mit dem ganzen Hintergrund von Schiffbruch und wiedergefundenen Angehörigen unterzubringen; auch das entspricht eher dem höfischen Geschmack der „curieusen“ Romanleser. Die Sprache der deutschenÜbersetzer kennt das Besitzdenken; es erscheint in dieser Umgebung als semantischer Ausrutscher, wo es nicht zur satirischen Entlarvung einer Person dient.