Leipziger Sprachgebrauch zu Anfang des 18.Jahrhunderts


Die verschiedenen Soziolekte innerhalb des Untersuchungsgebietes


Im Hinblick auf Syntax, Wortbestand und gewisse „ästhetische“ Kriterien wie Rhythmus und Metaphorik unterscheidet man verschiedene Stile innerhalb einer Sprache; regionale Besonderheiten werden als Dialekte voneinander unterschieden; berufsspezifische und sonstige sozial spezifische Spracheigentümlichkeiten können als „Schichten“ innerhalb der Sprache beschrieben werden. Unser methodischer Zugriff müßte imstande sein, den „Leipziger Sprachgebrauch um 1730“ zu beschreiben.

Der Terminus „Soziolekt“ soll hier gebraucht werden für Deckungsbereiche individueller Sprachverwendungen, die mit der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe einhergehen.


Der Meißnische Dialekt

Johann Hübner schreibt 1701: „Die deutsche Sprache ist bißhero sonderlich in Sachsen/ in Francken/ in Schlesien/ und im Brandenburgischen excoliret worden“. (s. Kurtze Fragen aus der Oratoria, Zu Erleichterung der Information abgefasset von M. Johann Hübnern, Rect. Gymn. Martisb. […] Leipzig […] 1701.) Wenn Hübner aufgrund regionaler Eigentümlichkeiten vier Texte einander gegenüberstellt, so handelt es sich eher um verschiedene ortsübliche Schreibtraditionen als um gesprochene Dialekte. Nichtsdestoweniger wird in dieser Zeit häufig die „meißnische Mund-Art“ zur Nachahmung empfohlen. Darunter ist nun keineswegs der in Meißen übliche Dialekt zu verstehen. Diese „Mundart“ ist zumindest auch „in Leipzig/ Dreßden/ und Halle gebräuchlich“. (s. Johann Jänichen, Anleitung zur poetischen Elocution, Halle 1706, S.69. Zit. nach: Wendland, Ulrich: Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache, Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprachreformbestrebungen vor Gottsched, Leipzig 1930.) Die vielfachen Empfehlungen zum Gebrauch des meißnischen Dialektes beziehen sich vielmehr auf die Schreibweise der Meißener Kanzlei. „Ich bescheide mich zwar gern/ daß in Meißen corrupt genug geredet wird […] dem aber ungeachtet/ bedienet man sich dennoch im Schreiben des rechten Meisnischen Dialecti/ wie solcher eigentlich seyn/ geredt/ und geschrieben werden soll […]“. Man spricht auch vom Meißnischen „Idiomate“ und „stylo“, welcher an allen Höfen und „Cantzelleyen“ üblich sei. Daß es dennoch nicht selbstverständlich war, sich von Dialektgebiet zu Dialektgebiet verständigen zu können, und daß auch die Schriftsprache eine überregionale Angelegenheit erst werden mußte, bezeugt unter anderen Christian Weise: „Die Wörter müssen ohne Zweiffel dergestalt beschaffen seyn/ daß sie nicht allein von den Deutschen verstanden/ sondern auch von andern gebraucht werden“. (s. Christian Weise, Curiöse Gedancken von Deutschen Versen/ Welcher gestalt Ein Studierender in dem galantesten Theile der Beredsamkeit was anständiges und practicables finden sol/ […] o.0. 2. Aufl. 1693, S.127. Zit. nach: Kaiser, Kåre: Mundart und Schriftsprache, Versuch einer Wesensbestimmung in der Zeit zwischen Leibniz und Gottsched, Leipzig 1930.) Weise meint hier eine größte gemeinsame Menge des Wortschatzes, der nicht nur passiv, sondern auch aktiv überall in Deutschland in Gebrauch sein solle. Dabei denkt er jedoch noch nicht an eine mundartlich nur gering beeinflußte Redeweise, die als Gemeinsprache im Unterschied zum bloßen Dialekt in weiteren Gebrauch kommen könnte. Er stellt die Redeweisen des mündlichen Umgangs einer ausschließlich schriftlichen Sprache gegenüber.

Dies erscheint typisch für eine Zeit, in der man sich nicht im klaren war, wie man eine besondere Sprachform schaffen solle, die über allen Dialekten stünde. Das Problem war zuerst bemerkt worden im Hinblick auf Reinheit oder Unreinheit von Reimen. Es ist vor allem der Wirksamkeit Johann Christoph Gottscheds zuzuschreiben, daß schließlich das „Meißnische Idiom“ sich als Vorbild durchsetzte. In den Statuten, die sich die Leipziger „Deutsche Gesellschaft“ unter seinem Vorsitz 1727 gab, war zwar die Rede von einer hochdeutschen Sprache, die auch von den Provinzialismen des Obersächsischen frei sein solle und in ganz Deutschland verstanden werden könne. Letztlich propagierte Gottsched aber doch wieder das Meißnische als die „Mundart“, die dem „Hochdeutschen“ am nächsten stehe, und zwar aus geographischen und literarhistorischen Gründen. Dabei meinte er allerdings das „gehobene Meißnische“, wie man es in guter Gesellschaft offenbar damals schon sprach. Um die Mitte des 18.Jahrhunderts hat man sogar, als man anfing, Dialektwörterbücher zu schreiben, die „Mundart des Pöbels“ bzw. die „schlechteste Mundart des gewöhnlichen Mannes“ vermieden und sich stattdessen nach der „Umgangssprache“ gerichtet, nämlich nach der von Provinzialismen durchsetzten gesprochenen Gemeinsprache des gelehrten Mannes. Aus schriftlichen Quellen können wir also nicht unmittelbar Aufschluß erhalten, wie der Dialekt „Obersächsisch“ zur damaligen Zeit gesprochen wurde; das vorbildliche Meißnische ist, wie gesagt, vorwiegend eine Schriftsprache, deren schriftlicher Gebrauch auf bestimmte bürgerliche Berufsgruppen eingeschränkt war und deren mündlicher Gebrauch allem Anschein nach nur in Kreisen erstrebt wurde, die zur „guten Gesellschaft“ zählten oder gezählt werden wollten. Es ist aber vor allem eine grammatische und phonetische Norm, der hier nachgeeifert wird. Es ist kaum zu erwarten, daß eine Bedeutungsveränderung zu den dialektalen Eigentümlichkeiten gezählt wurde, die als provinziell verpönt und deshalb nicht in die Schriftsprache aufgenommen wurden. Damit fällt der Dialekt als Untersuchungsgegenstand aus. Doch immerhin ist die Wichtigkeit des Leipziger Raumes für sprachliche Prozesse, die später für ganz Deutschland wichtig werden, durch die Sonderstellung seines Dialekts einmal mehr erhärtet.


Die traditionelle „Drei-Stil-Lehre“ bewertet vorbürgerliche Soziolekte

Der Kanzleistil, auch der meißnische, unterscheidet sich von anderen Erscheinungsformen der Schriftsprache in der Syntax und ferner durch ein spezielles Repertoire von Wörtern und Redewendungen. Seine hauptsächliche syntaktische Eigentümlichkeit besteht im lateinisch beeinflußten Periodenbau, wobei die verschiedenen Teile des Satzes zusammengehalten werden, indem man sie mit den Gliedern der Verbalphrase des Hauptverbs gleichsam umwickelt. Dies hat häufigen Gebrauch von Konjunktionen zur Folge. Gleichfalls sehr häufig werden rhetorische Figuren, z.B. Periphrase und Variation, verwendet. Unter den lexikalischen Eigentümlichkeiten fallen die zahlreichen Fremdwörter und fremdsprachigen Redewendungen auf. Des weiteren wird die Sprachverwendung im Kanzleistil von lexikalischen und redensartlichen Schemata des Deutschen bestimmt, die mit dem sozialen Anwendungsbereich dieses Stils in Zusammenhang stehen. Er begegnet nämlich in der Sprache der Urkunden. Insofern hängen manche seiner lexikalischen Eigenheiten von dem Zeremonialwesen bei Hofe ab, allerdings oft von einem bereits überholten Zeremoniell. Mit der Zeit differenzierte sich die Sprache der „curia“, der Verwaltung, von der Sprache der eigentlichen höfischen Repräsentationssphäre, der „aula“. Eine Reihe von Schriftstellern wie Hübner, die mittels Stillehrbüchern, Poetiken und ähnlichen Veröffentlichungen Einfluß auf die Regelung der deutschen Sprache ausüben wollten, und die man nach ihrem vornehmlichsten Schlagwort als "galante" bezeichnet, empfahlen den Kanzlei- oder, wie sie auch sagten, „Kurialstil“, obwohl sie gleichfalls dafür eintraten, daß die Syntax keinen fremdsprachigen Modellen folgen solle. Daraus ist meines Erachtens zu folgern, daß ihnen das Wesen jener Differenzierung noch verborgen geblieben war. Was bei Hofe in gesprochener Rede verwendet werden konnte, war nicht der syntaktisch übermäßig komplizierte schriftliche Kanzleistil. Es ist von daher verständlicher, daß die galanten Schriftsteller den Kanzleistil nur empfahlen, insoweit er schriftlicher Niederschlag des höfischen Redestils ist. Benjamin Neukirch (1665-1729) tadelt z.B. am Kanzleistil die vielen Konjunktionen, die mit dessen syntaktischer Schwerfälligkeit zusammenhängen. Gerade Neukirch war derjenige, dessen Wirken das Wort "galant" erst zur Devise einer bestimmten Kulturreform und speziell zur Parole eines sprachlichen Erneuerungsprogramms werden ließ.

Die beiden Städte, in denen sich tatsächlich eine galante literarische Bewegung erkennen läßt, sind merkwürdigerweise Hamburg und Leipzig — und nicht etwa Residenzstädte. Beziehungen zum Hof waren freilich vorhanden, aber sie waren etwas einseitig: die des Dieners zum Herrn. Es handelte sich bei den literarischen Exponenten der galanten Epoche nicht um Mitglieder der Hofgesellschaft selbst, sondern allenfalls um höhere Beamte, die mit dem Hof verwaltungstechnisch zu tun hatten, oder um Schulmeister, die ihre Aufgabe darin sahen, ebensolche Beamte auszubilden.

In der Rhetorik werden seit der Antike, namentlich nach Cicero, ein hoher, ein mittlerer, und ein niederer Stil unterschieden. Noch bei Hübner begegnen diese Stilschichten als Stylus Magnificus, Stylus Mediocris und Stylus Humilis. „Der Stylus Magnificus oder Sublimis hat hohe Worte/ und wird auch in hohen Dingen gebraucht. Exempel findet man in denen sogenannten Panegyricis, dergleichen dann und wann heraus kommen“. (s. J.Hübner, Kurtze Fragen aus der Oratoria, S.279.) Was hier "hoch" genannt wird, ist über die soziale Funktion des „Fürstenlobs“ eindeutig auf die gesellschaftliche Spitzenschicht bezogen. „Der Stylus Humilis oder Tenuis hat niedrige Worte/ und wird auch in niedrigen Dingen gebraucht. Exempel findet man in den Epistolis familiaribus, und gemeinen Disputationibus. Der Stylus Aequabilis [vorher hieß er Mediocris] hält die Mittelstrasse/ und gehet nicht zu hoch und nicht zu niedrig. Dergleichen findet man insgemein in wohl-gemachten Programmatibus“. (s. Hübner, a.a.O., S.280.) Akademische Programmschriften werden also, wohl wegen der Sorgfalt und Förmlichkeit, mit denen sie abgefaßt sind, zum mittleren Stil gerechnet, während sich die Sprache der Disputationen zusammen mit Privatbriefen in die niederste Kategorie einstufen lassen muß.

Halten wir fest, daß ein Berufsstand, der später in der bürgerlichen Klasse aufgeht, seinen (vorerst noch lateinischen) Soziolekt am unteren Ende der Bewertungsskala vorfindet. Der niedere Stil sei zum Lehren da, der hohe zum Aufreizen und Überzeugen, während der mittlere Stil das Vergnügen des Lesers beabsichtige, faßt Blackall im Anschluß an Cicero zusammen. (vgl. Blackall, Eric Albert: Die Entwicklung des Deutschen zur Literatursprache 1700-1775, Stuttgart 1966.) An welcherlei Vergnügen mag Hübner gedacht haben, als er Programmschriften hier unterbrachte? An den Werbe-Effekt? Es gibt aber noch eine andere traditionelle Unterscheidung von Stilarten, die teilweise quer durch die bisher erwähnten Schichten geht. Das ist die Unterscheidung eines mehr an Cicero und eines mehr an Seneca orientierten Stilideals. Hübner erwähnt diese Unterscheidung als seine fünfte „Distinction“. Der Stylus Analyticus, der etwa mit dem übereinstimmt, was Blackall Ciceronianismus nennt, wird dem Stylus Syntheticus, auch Brevis, Sententiosus oder Concinnus, entgegengesetzt, wofür Hübner die Vorbilder Curtius und Seneca nennt. Dabei läßt sich der Seneca-Stil noch einmal unterteilen: in eine „lose Manier“, bei der kurze Sätze mithilfe nicht zu umständlicher Verknüpfungen zu längeren gemacht werden, und eine „kurze Manier“, bei der die kurzen Sätze ohne syntaktische Verklammerung gereiht werden. Es hängt nicht zuletzt mit der sozialen Funktion der „Kürze“ oder „Länge" zusammen, daß sich die Einteilung der Stilschichten mit der Zeit verschiebt.

In seinem Briefsteller von 1691 schreibt bereits Christian Weise von vier statt von den bisher bekannten drei Stilen. Dabei entspricht der „politische oder gewöhnliche“ Stil dem niedern, doch gerade dafür soll die verwickelte Sprache der Hofkanzlei das Vorbild sein. Er hat also etwas gemerkt. Ein nächsthöherer Stil ist der „sententiöse“, der eine kurze Manier des Seneca-Stils darstellt. Der hohe Stil ist der ciceronianische in voller Ausprägung. Die vierte, überschüssige Kategorie begreift den poetischen Stil in sich, der sich durch Metrum, Reime, oder besonders reichen „ornatus“ auszeichnet. Ist schon diese Abtrennung nicht auf herkömmliche Art in die soziale Hierarchie zu übersetzen, so gerät Weise auch bezüglich der Anwendungsbereiche der anderen Stillagen in Widersprüche zur Cicero-Tradition. Was ist denn am Kanzleistil niedrig? Nicht, daß er zur Lehre bestimmt sei, sondern, daß er „gewöhnlich“ und „politisch“ sei. Es bleibt außer acht, nach welcher höheren lateinischen Stilschicht dieser Stil ursprünglich ausgebildet wurde, und daß die kuriale Praxis mit einer höheren sozialen Klassifikation einhergehen müßte. Nur weil es bereits viele Bürger gab, für die dieser Stil in allen geschäftlichen Angelegenheiten oder „politischen“ Obliegenheiten ihres öffentlichen Amtes notwendig war, konnte er gewöhnlich genannt werden. Weise kann nicht wie Hübner die sprachliche Form der Privatbriefe als niederste Stilschicht angeben, vermutlich, weil er in Schwierigkeiten käme, deren rhetorische Armut einen eigenen Stil zu nennen. Er teilt sie gleichwohl dem mittleren Stil zu, den er dann aber nicht mehr ciceronianisch, sondern nur im Rückgriff auf die Seneca-Tradition beschreiben kann.

Auch Hübner kann, wie wir gesehen haben, zur Kategorie eines mittleren Stils keine rechten Beispiele angeben. Für Weise ist der Anwendungsbereich der mittleren Stilschicht sogar exklusiver als derjenige der Festrede oder Poesie, aber in zwei unvereinbaren sozialen Hinsichten: „Der kurtze Stylus scheinet etwas hoffärtig, als wenn man sich die Mühe nicht nehmen wolte, viel Worte zu machen. Denn eben also werden die fürstlichen Befehle concipirt, welche sich aller Weitläufftigkeit enthalten. Sonsten hat er nirgends statt, als bey guten Freunden und Correspondenten, welche nicht Complimentirens wegen, sondern in nöthigen Verrichtungen zu schreiben haben“. (s. Chr.Weise, Politische Nachricht von sorgfältigen Briefen, 1701, S.233 f.. Zit. nach: Hans Sperber, Zur Sprachgeschichte des 18.Jahrhunderts, in: Zeitschrift für deutsche Philologie Nr.54, 1929.) Privatbriefen im allgemeinen sententiöse Ausdrucksweise zuzuschreiben und sie zusammen mit den von höherer Gewalt gesprochenen Machtworten in derselben Stillage unterzubringen, kann nur eine Verlegenheitslösung genannt werden.

Weise ist sich sehr wohl im klaren, was an den drei genera dicendi der Cicero-Tradition rüttelt: „Der weitläufftige Stylus schickt sich am besten vor müssige Leute, und weil er sich in allerhand unnöthigen Dingen und Circumstantien auffzuhalten pfleget, so macht er occupaten Personen einigen Verdruß, und setzt den Concipienten in die Suspicion einiger unverschämter Freymüthigkeit“. Immer schon wurden Geschäftsbriefe geschrieben, aber der Versuch, sie rhetorisch zu klassifizieren, führt auf neuartige Probleme. Weise, der seine Anleitung nicht mehr bloß für die müßigen Leute schreibt, die an einem Brief lange feilen, sieht sich auch mit der bereits vorhandenen Praxis solcher Leute konfrontiert, die keine Zeremonien und Komplimente gelernt haben und für die Zeit Geld ist. „Vor allem in Kaufmannskreisen scheint das Streben nach Zeitersparnis dazu geführt zu haben, daß man die Höflichkeitsformeln zwar nicht wegließ, aber doch zu beschränken suchte“. (s. Sperber, a.a.O., S.95. — Er bezieht sich hier auf eine Beobachtung, die schon Harsdörffer gemacht hatte; vgl. Teutscher Secretarius, II, 729.) Weise scheint aber von da aus den Maßstab der praktischen Effektivität auf die gesamte Rhetorik ausgedehnt zu haben. Er unterscheidet verschiedene Stilschichten überhaupt nur noch im Hinblick auf ihr Pragma, was bisher allein dem genus tenue und seiner Funktion des „probare“ ausschließlich angemessen war. So werden die drei klassischen Stilschichten von ihm, aber noch in höherem Maße von Hübner, in entsprechend mehrere Stilarten, je nach ihren Aufgaben, aufgeteilt. Einer jeden wird eine Auswahl von sogenannten „Realia“ zugemessen, die als Material für Topik, Metaphorik und Ornatus bereitstehen. Ziel ist die rationale Beherrschung der Sprache zur Durchsetzung der eigenen Interessen. Das höfische Menschenideal dieser Zeit, der „Galanthomme“, kann „politisch“ wirksam sein, ohne ein Ethos zu haben. (vgl. zu den letzten 5 Sätzen: Diethelm Brüggemann, Die sächsische Komödie, Studien zum Sprachstil, Köln 1970, 5.161 ff. Brüggemann meint, auch ein Pathos müsse der Galanthomme nicht haben. Er muß sich aber zum wenigsten bei gegebenem Anlaß solcher rhetorischer Stilmittel bedienen können, die traditionellerweise als pathetisch gelten.)

Dieses Menschenideal propagierte Weise in seiner beruflichen Tätigkeit als Pädagoge bei der adligen und zum gehobenen Bürgertum gehörigen, vornehmlich zum Staatsdienst bestimmten Jugend. Diese noch nicht bürgerlichen Gesellschaftsschichten nehmen das Wort „politisch“ zur Bezeichnung der Verhaltenskunst in staatsbürgerlichen Angelegenheiten und der Fähigkeit zur Selbstkontrolle; es hat aber auch von Anfang an den Gefühlswert „verschlagen“ und „skrupellos“. Ein „politicus“ ist eben in vielen Fällen ein adeliger Habenichts oder ein sozialer Aufsteiger, der Karriere macht. Die schon im 16. Jahrhundert gestifteten Fürstenschulen, die gleichermaßen Adligen wie auch begabten Bürgersöhnen offenstanden, waren hierbei oft die erste Station, aber auch städtische Lateinschulen wie die, an denen Leute wie Weise und Hübner Rektoren waren. (vgl. F. Andrew Brown, On Education: John Locke, Christian Wolff and the Moral Weeklies, in: University of California Publications in Modern Philology, Jahrgang 36, Heft 5, 1952.) Sie versahen ihre Zöglinge mit einer Sprache, die sie in allen Sätteln gerecht sein ließ. Dies war jedoch vorerst nicht dadurch zu erreichen, daß man die Stile im Hinblick auf ihre sozialen Funktionen einander angeglichen hätte. Die galanten Bestrebungen liefen gerade auf das Gegenteil hinaus.


Eine weitere zugrundegelegte Schrift:


Glinz, Hans: Linguistische Grundbegriffe und Methodenüberblick, Bad Homburg vor der Höhe 1970.