Modell des aufklärerischen Sprachgebrauchs


Die im vorigen Abschnitt erwähnten philosophischen Theorien werden gemeinhin "aufklärerisch" genannt. Ohne im Einzelnen ihren historischen Stellenwert und ihre gegenseitige Bedingtheit zu untersuchen, müßte es möglich sein, aus den betrachteten Aussagen Kriterien abzuleiten, die es erlauben, das "Aufklärerische" an beliebigen Texten nach ihrem Muster wiederzuerkennen. Sie bestehen in der Möglichkeit wiederholbarer Zuordnungen von Wörtern innerhalb von Kontexten, wobei vorausgesetzt wird, daß alle aufklärerischen Texte eines nicht zu großen Zeitabschnitts einem von anderen Texten unterscheidbaren Sprachgebrauch folgen. Es muß betont werden, daß die Funktion eines Kontext-Modells in unserer Untersuchung nur eine heuristische sein kann. Es ist nicht Zwischenergebnis, sondern Orientierungsrahmen für den Beginn.

"Gut", "tugendhaft", „rechtlich" "vernünftig" und "natürlich“ oder andere Wörter eines damaligen Textes, die mit den hier aufgeführten in der Weise von Übersetzungen zusammenhängen, stehen miteinander in der einen oder anderen der bereits klassifizierten logischen Beziehungen.

"Welt“ hat eine derartige Beziehung zu "Natur"; "Gott" steht dazu entweder im Gegensatz oder tritt in derartigen Kontexten nicht auf. In anderen, wo es auftritt, kommen auch "Offenbarung" oder "Sünden“ vor. "Natur" wiederum hat Beziehungen zu "Mensch" sowie zu "Ordnung", dessen Bedeutungsvariante von "vernünftig“ festgelegt wird; "Vernunft", "Verstand“, "Tugend", "Erkenntnis" einerseits sowie "Affekt", "Laster", "Herrschaft" andererseits sind in irgendeiner Weise diesen untergeordnet. Auch "Erfahrung" und "Nutzen" können zu den letztgenannten Wörtern in Beziehung treten. "Gesetz", "Recht" und "Staat" erwarte ich in der Umgebung von "Ordnung (natürlich)" zu finden, wozu "Eigentum" und "Besitz" passen würden. Die Art der Beziehungen könnte manchmal nicht explizit logisch herauszulösen sein; am Beispiel "Ordnung (vernünftig)" sieht man, daß derartige "Schlüsselwörter", vielleicht sogar im Gewand anderer Wortklassen, in assoziativer Weise an der Festlegung von Bedeutungsvarianten oder zumindest des aktuellen Sinnes beteiligt sein könnten und dadurch auch "aufklärerisch“ funktionieren würden.

Wir wollen diejenigen Texte "aufklärerisch" oder "der Aufklärung zugehörig" nennen, in denen der Sinn durch solche Beziehungen mitbestimmt wird. In historischer Hinsicht nennen wir "Aufklärung" den Prozeß der Vermittlung zwischen aufklärerischem Sprachgebrauch und den Handlungsschemata unter seinen jeweiligen Bedeutungen.

Es wird aufgefallen sein, daß bisher keine Aussagen deutscher Theoretiker herangezogen wurden, um die europäische Aufklärung auf den Begriff zu bringen. Da ich an Detailbeobachtungen deutschen Sprachgebrauchs interessiert bin, um gegebenenfalls festzustellen, ob er aufklärerisch ist, wäre sonst ein Zirkelschluß entstanden.