Themen neben der Fabel


In „Heirat“ werden Handlungsschemata einander gegenübergestellt, deren Bezeichnungen zueinander komplementär sind: Armut-Reichtum; Krankheit-Gesundheit; Albernheit-Vernunft; Unmoral des Geschlechtslebens-Ehemoral; Vornehmheit-solide Lebensumstände; Eleganz in allen Lagen-Angemessenheit des Betragens. Die ersteren Prädikatoren werden dem Adel zugesprochen, die letzteren dem Bürgertum. Wenn man nun noch erfährt, daß die von Ahnenstolzische Familie einen ausgeprägten Standesdünkel besitzt — was wäre das entsprechende Verhalten bei Herrn Willibald? Ohne Zweifel bürgerliches Klassenbewußtsein. Es ist noch nicht vorhanden, aber gegen Ende des Stückes kommt es in Sicht.

In „Müßiggänger“ findet man außer traditionellen Themata wie Hausregiment und Erziehungsmängeln auch spezifisch neuartige: Um das Verhältnis von Lebensstandard und Leistung geht es da (nicht mehr um standesgemäßen Aufwand); um die Einsicht „Zeit ist Geld“; und um Zuverlässigkeit in geschäftlichen Obliegenheiten. Es bereitet mir gewisse Schwierigkeiten, mir von diesen heute universell gültigen Wertsetzungen vorzustellen, sie hätten damals erst exemplarisch eingeführt werden müssen.

„Austern“ hat keine neuen Themata. Bei einem Nachspiel hat man das wohl auch kaum erwartet. In einer Kommunikationssituation, in der das Publikum sich auf den Ablauf einer schauspielerisch dankbaren Handlung konzentriert, ist es legitim, thematisch redundant zu sein: Umgang mit Dienstboten, Galanterie mit dem Frauenzimmer, Umgang mit Freunden, Kargheit.

Abgesehen von altbekannten Themata ist in „Hausfranzösin“ das Thema des Patriotismus neu. Bezeichnenderweise wird es nicht im Hinblick auf vergangene geschichtliche Größe oder Untaten, noch aus Hegemoniestreben heraus angeschnitten, sondern einzig deswegen, weil die unkritische Verehrung des Ausländischen sowohl den Einzelnen als auch die ganze einheimische Wirtschaft teuer zu stehen kommen kann. Es läuft auf ein Plädoyer für eine Art Freihandel des nationalen Prestige hinaus, der aufs engste mit dem wünschenswerten materiellen Freihandel verknüpft ist. Allenfalls erscheint der Rückblick auf gute alte Zeiten, in denen man von den Ausländern in Ruhe gelassen wurde, etwas zu provinziell beschränkt; aber schließlich können die Vernünftigen im Stück selbst sehr gut französisch sprechen, besser sogar als die Modenarren, und damit ist der lokale Aspekt dieses Patriotismus wieder überwunden. Die Betonung der finanziellen Folgen scheint, hier wie in „Heirat“, für die Gottschedin typisch zu sein.

In „Bock“ und „Hypochondrist“ finden sich ebenso wenig neuartige Themen wie in „Austern“. Damit scheint Quistorp in ideologischer Hinsicht der konservativste der hier vertretenen Autoren zu sein, was vielleicht wiederum mit seiner Abkunft und seiner relativ geradlinigen Laufbahn zusammenhängt.

„Testament“ ist allerdings in dieser Hinsicht auch eine konservative Komödie; hier entsteht das Neue nur aus dem Gebrauch neuartiger Handlungsschemata des Besitzens im herkömmlichen thematischen Zusammenhang.

„Witzling“, das Nachspiel der Gottschedin, ist dagegen ein in Deutschland ziemlich ausgefallenes Nachspiel: es hat echten und falschen Witz zum Thema (wie in der englischen Comedy of Manners zwei Generationen früher), außerdem Literatur -und Sprachpflege, wie es sonst nur bei den Vorspielen der Neuberin, allerdings in allegorischer Einkleidung, zu erleben war. Man muß sich das Stück auf dem Höhepunkt der literarischen Betriebsamkeit in Leipzig entstanden denken; eine andere Kommunikationssituation, in der es entstehen und gelesen werden konnte, ist in Deutschland noch längere Zeit nirgendwo anders vorstellbar, bis Wien und Berlin auf den Plan treten.

Wäre es nicht um den ziemlich aufgesetzten Standesdünkel des Herrn von Schimmerreich zu tun, so wäre auch „Unempfindlicher“ eine gänzlich konservative Komödie, jedenfalls, was die Themata anbelangt. Das ist um so weniger erstaunlich, als Uhlich ja vom Schauspielertheater herkommt statt von der Universität und sich in dieser Beziehung auf die bewährten Publikumszugpferde Ehebruch-Hausregiment-Partnerwahl verläßt.