Achter Abschnitt: Vaterländische Dichtung und neugierige Umschau



Die Nachwirkungen des gewonnenen Krieges sind noch eine zeitlang an den Dichtungen abzulesen, die innerhalb des pegnesischen Blumenordens und im Bereich seiner auswärtigen Beziehungen und Beobachtungen entstanden, aber sie treten allmählich in den Hintergrund und machen einer geselligen Dichtung Platz. Die Irrhainfeste werden mit teils recht ehrgeizigen Spieltexten beschickt, der unermüdliche Friedrich Knapp luxuriert in seinen Reimchroniken. Man läßt sich für die Wochenversammlungen weiterhin eine Auswahl von Zeitschriften schicken, deren Literaturkritiken man aufmerksam liest und bespricht. Die Unterscheidung von pessimistischen Realisten und Naturalisten einerseits und den erbauenden klassizistischen Schriftstellern andererseits gipfelt, verliert dann an Schärfe. Noch beanspruchen einzelne mittelalterliche Sujets die Geneigtheit der bürgerlichen Leserschaft, daneben hält das Interesse an exotischen Schauplätzen und ausländischen Autoren von Rang, deren Namen heute noch kanonisch sind, ungemindert an. Was aber die Mitgliederpolitik durch Aufnahme von Ehrenmitgliedern auf die Dauer bewirkt, ist das Einfahren einer nicht unerheblichen Ernte von Texten bekannter Dichter, die dem Blumenorden geschickt oder gar eigens für ihn verfaßt werden. Der Stolz darüber, schon im Literarischen Verein ausgesprochen, daß die Literaturinteressierten in Nürnberg nicht zu den Vergessenen oder zu Vergessenden gehören, ist ein wichtiger Antrieb in den Vorarbeiten zum 350jährigen Jubiläum. Nun beschäftigt sich sogar mehr als ein Pegnese mit Werken aus der Gründungszeit, man beobachtet die Auswirkung der Technik auf die Literatur (man wundert sich geradezu, daß bis 1894 das Auto noch nicht zum Gegenstand geworden ist), und kontroverse Themen wie der Antisemitismus oder die soziale Frage werden mehr oder weniger glücklich abgehandelt.



Weiter wie gewohnt — auf höherem Niveau


Es konnte scheinen, daß 1874 nicht eigentlich einen Einschnitt bedeutete, denn Blumenorden und Literarischer Verein hatten sich schon vorher inhaltlich und verfahrensmäßig aufeinander zubewegt. Immerhin treten die Beiträge dreier Neuaufnahmen, Arnold, Rehm und Geissler, merklich aus dem Grundrauschen hervor.


„Geschehen am 6. November 1874. daselbst.

[…] 2. […] a.) v. Dithfurt: ,Barbarossa’s Erquickung, oder: Der Streit um des Kaisers Bart’ [ein in mehreren Folgen in mehreren Sitzungen vorgetragenes Gedicht]

fortgesetzt am 13. 9br. 74. daselbst.

[…] 2.[…] b.) Arnold: Fortsetzung seines Berichtes über amerikanische Dichter mit Biographien und Proben, theilweise auch mit Autographen […]"


Georg Michael Daniel Arnold, geboren 1811, war Besitzer einer Spielwarenfabrik, Handelsappellationsrichter und Magistratsrat, stand im Briefwechsel mit Longfellow und hatte eine bedeutende Gemälde- und Kupferstichsammlung, die von der Stadt Nürnberg erworben wurde.


„Freitag am 1. Januar 1875 [als Schriftführer fungiert Ballhorn]

[…] b, Geißler: ,Die Erbauer unserer Eisenbahnen’ — Ein Culturbild aus den Bergen. Der Verfasser hat diese Arbeit für die Gartenlaube bestimmt und sind wir ihm dankbar für das Vorrecht, das er uns gönnt, die ersten Hörer der Skizze zu sein.

c, Homann: ,Kriegstagebuch eines deutschen Reservemannes. 1. Abthlg.’ Recht lebensvolle Schilderungen aus dem Franzosenkriege; liebenswürdiger Humor, anmuthige Unbefangenheit wirken wohlthuend.“


Ballhorn fügt, was Seiler nicht getan hat, durchgehend Kurzbeurteilungen an.


Rudolf Geissler, geboren 15. 1. 1834, studierte in Dresden unter Ludwig Richter; seit 1861 in Nürnberg als Maler, Radierer und Illustrator tätig; verstorben 15. 9. 1906.

„Freitag den 29. Januar 1875

[…] 2, Frhr. v. Dithfurth: In der Kirche von Agincourt. Gedicht über eine wahre Begebenheit aus dem Kriege 1870/71. Wiederum ein erhebendes Bild aus der großen Zeit.“


Freitag 19. März 1875

[…] 2) […] b, Ballhorn: Kurze biographisch-literarische Mittheilung über Charles Sealsfield, den lange Zeit unbekannten Verfasser transatlantischer Naturschilderungen.


Am Ende von Sitzungen dieses Zeitraums legt Arnold jedesmal Autographen aus seiner Sammlung vor.


„Freitag, 2. April 1875

[…] 3) Es trugen vor: […] b, Arnold: Gedicht von Bayard Taylor, Herausgeber der Tribune in New York, Die Büffeljagd. […]“


„Freitag, 9. Juni [1876]6

I. Geschäftliches […] 4) Herr Dr. Rehm ist wirklich Retter in der Noth und erfreut uns durch sein Festspiel ,Die bezwungene Pegnesia’ — Man verweilt lange bei diesem Gegenstande und wählt schließlich 5 Mitglieder, welche die Inscenirung und Rollenbesetzung in die Hand nehmen sollen. Es sind dies die Herren Dr. Rehm, Euler-Chelpin, Homann, Geißler, Ballhorn, denen selbstverständlich der Vorsitzende Knapp zugezogen wird. […]“


Von Dr. phil. Emil Rehm verzeichnet die Stammliste: Er war geboren am 23. 1. 1843 in Neustadt/Aisch, wurde Lehrer an der Kreis-Landwirtschaftsschule in Nürnberg/Lichtenhof und trat in den Orden ein am 3. 12. 1874.


Thematisch aufgegriffen wird das große Hochwasser von 1876. Pegnesia, die Personifikation der Pegnitz, ärgert sich über das Überhandnehmen der menschlichen Bauten an ihrem Lauf. Sie ruft eine Nymphe, einen Luftgeist und einen Erdgeist, um eine Wasserflut auszulösen. Eine Müllerin fürchtet, daß ihr Haus und das Mahlwerk weggerissen wird. Ein Glasschleifer erzählt:


[…] Da seht! ein Scheunenthor und dort

Die Hütte mit dem nimmermüden Wächter,

Den noch die Kette hält am Hause fest,

Das nun als schwankes Fahrzeug dreht und kreiset.


Müllerin.

Hört, wie er bellt um Hilfe, doch wer läßt

Den Kahn in das Gedräng’ von Holz und Balken

Hinausgehn, wo fast sichrer Tod ihm droht! […]


Weitere Geschädigte treten auf. Ein Opferplatz soll aufgesucht werden, um die Elemente zu besänftigen. Pegnesia tritt drohend auf:


Die Stadt ist schon getheilt, ich kann mich breiten

Durch Straßen, Hof und Markt und jedes Haus.

Die nächtlich Zechenden, die Faschingsbrüder,

Die toll die Nacht durchtobt, die schloß ich aus,

Die andern sperrt’ ich ein ohn’ Trank und Speise.

Nun haltet wacker aus und sendet nach

Beständig neue Wellen, bis durchfeuchtet,

Durchweicht die alten Häuser bis an’s Dach;

Dann einen kräft’gen Druck und gleich zusammen

Wird fallen ’s alte Rumpelwerk […]


Noris tritt auf und will sie besänftigen, aber ohne Erfolg. Pegnesia ist besonders erbost über die Eisenbahn:


[…] mit bedächt’ger List

Erstieg die Schaar der Eisenbahnbaumeister

Mit Karte, Winkel, Wasserwaage, Stab

Mein Quellgebiet und maß herauf, herunter,

Bis eine grade Linie sich ergab,

Auf der seither ein Heer von wilden Männern

Hier Schluchten öffnet, dort durchbohrt den Berg,

Da mein Gerinn verschüttet, mich so dränget

Ein ander Bett zu suchen. […]


Luftgeist.

Ihr Nimmersatten, kann denn nicht genügen

Den Raum zu messen, eure Schnelligkeit?

Der Erde Rund mit Schienen ihr umspannet,

Um mit des Sturmwinds Eil’ in kurzer Zeit

Die größten Länderstrecken zu durchmessen!

Und damit nicht zufrieden, mancher denkt

Gar schon, zu schwingen in das Reich der Luft,

Ein mächtig Fahrzeug, das er kunstreich lenkt.

Doch warn’ ich euch, kommt mir nicht in’s Gehege!

Die Geschädigten bitten um Schonung, doch Pegnesia:

Ich hör’ aus allen euern Worten nur

Die Angst um den Besitz und die Befürchtung,

Die Hilfe zu verlieren. Keine Spur,

Kein Wort von einer Aenderung zum Bessern.


Nun treten die Pegnitzschäfer auf und versuchen sie umzustimmen. Zuerst erwidert sie:


Verändert Eure Zeichen, Eure Farben,

Denn sie, Pegnesia, die gewalt’ge läßt

Sich künftig nur bei jenen Horden ehren,

Wo die Gewalt allein gilt als das Recht!


I. Pegnitz-Schäfer.

[…] denn Genüge

Auf lange Zeit hinaus und den Gewinn

Des Beifalls von den Besten findet immer

Nur, wer die Grenzen, die die Sitte setzt,

Freiwillig hält! […]


II. Pegnitz-Schäfer.

[…] Die Kleinode des Ordens, gut verwahrt

Gefräß’ger Feuersflamme, gegen dich

Mit Vorsicht zu verbergen, schien nicht nöthig.

Doch dein Gewässer tückisch dorthin schlich,

Wo wir sie sicher aufgehoben hatten,

Und hat sie ganz verwaschen und zerstört!


Noris.

Da geht denn leichter Euere Veränderung,

Die alte Treu braucht nicht zu sein empört,

Wenn man die Reste unter’n Hammer bringt!


I. Pegnitz-Schäfer.

[…] Hast du noch nicht vernommen

Von fernem Osten her, wie das Geschick

Auch selbst des stolzest’ Mächtigsten der Erde

Unselig endet, wenn nicht Lieb’ und Treu’

Ihn in der Zeiten Sturm aufrecht erhalten?


Pegnesia gibt sich überwunden und gebietet den Naturgeistern Einhalt.


Wenn das kein ökologischer Traktat ist, wenn auch in allegorischer Einkleidung! Das Irrhainspiel dieses Jahres wollte nicht nur unterhaltsam sein. Und was die Ordenskleinodien betrifft — der Hinweis auf Wasserschaden verdient beachtet zu werden.


Auch der sogenannte Kulturkampf spiegelt sich in einer wütenden Replik, die Pfarrer Seiler auf einen Vergleich des deutschen Kaisers mit Attila dem Papst entgegenschleudert:


Ein „Attila“ ist unser Kaiser nicht,

Obgleich der „Infallible“ also von ihm spricht;

Denn Attila, der Hunnenkönig, war

Ein wilder, menschenschlagender Barbar!


Der Kaiser hat ein geistliches Gemüth,

Das stets für Recht und Wahrheit ist entglüht —

Er hat von unserm Erbfeind uns befreyt;

Drum auch sein Volk den höchsten Werth ihm weiht.


Wer Attila Ihn nennt, der lästert uns,

Und hat von Heiligkeit auch keine Spur.

Aus ihm spricht nur ein falscher Jesuit

Und ihm gebührt vom deutschen Fuß — ein Tritt!


Er lasse unsren Kaiser unverletzt,

Den Gott dem deutschen Volke hat gesetzt.

Es bleibt Ihm allzeit treulich-unterthan;

Drum Jesuiter lasset uns Ihn stahn!


Wir Deutsche sind die „dummen Michel“ nicht,

Daß man mit ihnen, wie mit Dummen spricht.

Bey ihnen blühet Kunst und Wissenschaft,

Die Wahres, Schönes, Gutes immer schafft.


Ein angeborner, geistlich-frommer Sinn,

Ist ihnen stets geworden zum Gewinn.

Was Vatikan voll Neid und Haß verflucht,

Vom deutschen Volke wird’s geschätzt, gesucht.


Von Deutschland spricht wohl Rom mit Hohn

Und Undank nur ist stets sein schnöder Lohn

Der die Verdienste ihm nur hat bezahlt;

Doch die Geschichte sie mit Licht bestrahlt.


Drum laß das Volk, Unheiliger, in Ruh;

Den Köcher, voll der gift’gen Pfeile, schließe zu!

Der ächte Deutsche bleibt von dir getrennt:

Er grollt, wenn man nur deinen Namen nennt.


Daneben hielt man die Augen offen für einen Verfechter des avantgardistischen Theaters der damaligen Zeit:


„Freitag, 23. März [1877]

[…II.] Unter einer reichen Spende des literarischen Marktes liegt auch vor das 1. Heft von ,Nord-Süd. Neue liter. Monatsschrift von Paul Lindau’, welches unsere Aufmerksamkeit in besonderem Maße erregt. Es wird daraus verlesen:

[…] 3) Der Mann von Colano. Amerikan. Skizze von Bret Harte.

Das Unternehmen verheißt unter den Zeitschriften Deutschlands eine bedeutende Stelle einzunehmen.“


Rückblickend auf die Tätigkeit des Literarischen Vereins verfaßt Knapp eine glatte Nummer seiner Reimchronik, nämlich 100, sich als einziger übriggebliebener Chronist „Apu Nape“ bezeichnend, für das Irrhainfest 1877.


[…] So lebten wir, zwölf Jahre sind’s, voll Lust, Harmlosigkeit und Glück

In unserm Literarischen Verein, der Musen Republik,

Wo als Dictator Hoffmann schwang, der Treffliche, den Thyrsusstab,

11020 Wo nur sein Wille war Gesetz, dem Alles heiter sich ergab.

Ja, damals schnitt aus ganzem Tuch man Tag um Tag, beim Element!

Als ob es ewig dauerte und ewig nimmer enden könnt:

Vortrag auf Vortrag drängte sich, Ball, Kränzchen, Tanz und Maskenspiel,

Bartsch, Barak, Müller’s Severin, Lösch, Münnich, Neumann — ernstem Ziel

Und heitrem Zweck einträchtiglich gesellt, so Hoffmann, Priem, und Merz,

Weiß, Arnold, Hammer, Seckendorf, Rank, Schwemmer — heitrer Märchenscherz,

Volkslieder, Sagen, Reisebild, der Vorwelt düst’rer Bardenchor

In stolzen Reihen zogen sie, die Hoffmann’s Hüons-Horn beschwor.

Und ernste Dichter nicht allein und Minnesänger — rosigwarm

11030 War seinem Locken gern gefolgt ein wunderlicher Mädchenschwarm: […]




Aktualisierung


Sowohl aktuelle Ereignisse als auch aktuelle Literatur nehmen in den Versammlungen und Veranstaltungen gebührenden Raum ein. Im folgenden werden sie zusammengefaßt, auch wenn die chronologische Darstellung der Hervorbringungen des Blumenordens somit durchbrochen wird.


„Geißler bringt eine Nummer der Nationalzeitung v. 1874 zum Vorlesen, deren Feuilleton eine Parallele von Louis Ehlert enthält: Wagner, Makart, Hamerling. Geistreiche Beleuchtung dieser drei Künstler als Kinder der Neuzeit, mit der Maßlosigkeit ihrer Mittel, dem Mangel an Mäßigung und ihrer Humorlosigkeit.“


„Freitag den 23. April [1880]

[…II] 3) Hr. Homann hat wiederum Veranlassung uns einen Blick in die [sic] feuilletonistische Getriebe zu gönnen. — Diesmal hat sich Wiener Neue Freie Presse durch die Feder Ludwig Speidels des Dichters Martin Greif (Hermann Frey) angenommen  d.h. in etwas leichtfertiger Art, wie es die Wiener besonders lieben u. welcher Ton förmlich gepflegt zu werden scheint.“


Freitag d. 18. Juni

[…] 2) v. Kreß verliest aus dem neuesten Buch des Vereins für Literatur ,Von Nil zum Ganges. Wanderungen in die orientalische Welt von Paulus Cassel.’ Berlin 1880 das Kapitel ,Sultan Saladin u. Lessings Nathan’. Eine sehr absprechende Kritik der Lessingschen Auffassung des Charakters des Sultans als humaner u. großmüthiger Feind der Christen. Der Verfasser begeifert Lessings Ansichten als ,sentimental’ — Cassel ist ein getaufter Jude, darum wol auch seine Abneigung gegen Lessing u. sein falsches Verständniß von Lessings poetischer Auffassung des Saladin.“ — Das soll wohl heißen: Die Neubekehrten sind die ärgsten Eiferer. Sonst waren gerade die assimilierten Juden große Lessing-Bewunderer.


„Freitag, d. 22. April [1881]

[…] Herr Lehmann liest aus Zola’s ,L’Assommoir’ übersetzt von Willibald König, ein mit erschreckendem Realismus geschriebenes Buch, ein Kapitel vor.“


„Freitag, 21. Oktober

[…] A. Müller verliest aus Roseggers Selbstbiographie einige Kapitel vor, die in ihrer einfachen. gemütreichen Erzählungsart ungemein ansprechen.

Man spricht sich angeregt durch diese von neuem erweckte Aufmerksamkeit auf Rosegger dahin aus, dessen Schriften in der neuen Gesammtausgabe für die Gesellschaft anzuschaffen. […]“


„Freitag, den 2. Februar [1883]

[…] 1) Herr Dr. Wertheim verliest eine sehr gelungene, metrische Übersetzung eines kl. Gedichtes v. Longfellow ,Arrow and Long’ […]“


„Freitag, 16. Januar 1885

[…] Dittmar „Die Electrizität“ ein Gedicht, in welchem in schwungvoller Sprache die neuen Entdeckungen besungen werden. […]“


„Freitag, den 9. Juli

[…II] 2) Herr Dr. Beckh macht darauf aufmerksam, daß am 13. Juli Gustav Freytags 70. Geburtstag  sei, er schlägt vor in Veranlassung dessen, den gefeierten Dichter zum Ehrenmitglied zu ernennen. — Die sofort vorgenommene Kugelung ergibt einstimmige Annahme. — Der erste Vorstand wird Gustav Freytag hiervon in Kenntnis setzen u. ihm die Ernennungs-Urkunde möglichst mit einem Huldigungsgedicht rechtzeitig übersenden.

3) Herr Dr. Beckh weist ferner darauf hin, daß am 12. Juli Fritz Reuters 12jähriger Todestag sei.

4) Man beschließt zur Erinnerung dieser Tage beide Dichter in kurzen Lebensschilderungen uns vorzuführen u. außerdem noch von Fritz Reuter eine seiner kürzeren Erzählungen zur Vorlesung zu bringen. — Der Schriftführer Ballhorn wird beauftragt über 7 Tage dem gerecht zu werden.“


„Freitag, den 10. September

[…I] 3) Der Vorsitzende [Beckh] wirft die Frage auf, ob man wol zum besten der Scheffeldenkmäler etwas thun sollte — d.h. nicht durch eine Beitragsleistung aus unserer Vereinscasse, sondern durch Veranstaltung einer litterarisch-musikalischen Abendunterhaltung u. zwar in Gemeinschaft mit befreundeten Vereinen.

Herr Dr. Beckh wird im Männergesangverein zunächst Erkundigungen einziehen ob hier eine Geneigtheit zu einem derartigen Unternehmen vorhanden ist. — Jenachdem das Ergebniß dieser vertraulichen Unterredung ausfällt, soll dann die Sache weiter besprochen werden.“


„Freitag d. 20. Mai [1887]

[…] A. Schmidt bringt eine Besprechung über den neuen Roman Fontanes ,Cecile’ — der Kritiker spricht sich in eingehender Beurtheilung des Buches scharf über dasselbe aus u. verurtheilt es sowol in sittlich-aesthetischer Hinsicht, als auch in sprachlicher.“


„Freitag, den 2. Dezember 87

[…] Zum Schluß las Dr. Beckh mehreres aus dem schon einmal vorgelegenen „Pessimistbeetblüten“ von Schmid-Cabannis. Der derbe aber echte Humor und die beißende, vernichtende Verspottung die eine höchst anmaßend aufgetretene realistische Richtung einiger jungen Dichterlinge in diesem Büchlein erfährt, übte ununterbrochen eine zwerchfellerschütternde Wirkung auf alle Hörer“


„Freitag, den 23. März 88

[…] Vorträge: […] 2.) Dr. Volbehr […] b, In Prosa ,Der Erstgeborene’ Wiederum ein Stimmungsbild seelischer Verdunkelung u. Pein. — Einem jungen Arzt ist in seinem Erstgeborenen eine Mißgeburt geworden; seine Wissenschaft gibt ihn die Gewißheit von der traurigen Zukunft einer solchen; wachenden Schlafes träumt er, daß es wohl Sünde nicht sei dies unheilvolle Leben, unheilvoll für das Geschöpf selbst, unheilvoll für die Menschheit, zu kürzen — ihm durch seine des Vaters Mittel ein schnelles Ende zu bereiten. Gewiß dem armen Wurm nur zum Segen! — Wie ein Alp liegt’s auf der Seele des Mannes — er will das Unheil durch sein eigenes sühnen — er ist bereit dazu, da erwachen seine Sinne bei der Meldung der eintretenden Wärterin, ,das Kind ist eben verschieden’ — und der Mann und Vater ist erlöst!

Der Verfasser weiß ganz vortrefflich sich in das Geheimnisvolle der Psyche zu versenken, u. so zu erzählen, um aber nach ergreifender Schilderung seelischer Pein doch versöhnend abzuschließen. [Sonst müßte er sich für oder gegen Euthanasie entscheiden. Das geht er lieber nicht an.]

Theodor Storm hat vor kurzem in seinem ,Das Bekenntnis’ denselben Gegenstand, nur in anderem Vorwurf, behandelt, in der ihm eigenen Meisterschaft des Erzählens — aber bei ihm klingt der düstere Ton aus, zu düsterem, klagenden Ende!

3.) C. Lorsch verliest aus einer Ausgabe von 1782 von Bürgers Gedichten des Dichters Vorwort dazu, in welchem derselbe sich über die von ihm angewandte Schreibung ausspricht, dieselbe, nach seiner Ansicht, vom sprachwissenschaftlichen Standpunkte aus, rechtfertigt (geschrieben 1778) — heute nach über 100 Jahren hat diese Schreibung als sog. neue zum Teil Geltung erlangt. […]“


„Charfreitag, den 30. März 1888

[…] Dr. Volbehr erfreut uns wieder durch eine Wunderblume seines sinnigen, philosophierenden Geistes ,Eine anspruchslose Geschichte’ nennt der Verfasser seine Erzählung; sie ist allerdings einfach in der Handlung u. Entwickelung, aber in dieser Schlichtheit, vielleicht aber gerade deshalb, da sie Wahrheit in sich trägt, tiefergreifend.

Die Fabel ist: Ein alterndes Mädchen, durch die Verhältnisse zu kärglicher Lohnarbeit gezwungen, sitzt u. näht u. steppt an einem Brautkleid bis nachts, bis zum Morgen; ihre Gedanken fliegen zurück in den Lenz ihres Lebens, da ihr der Jugendgeliebte Treue schwur u. fortzog um für sie beide gemeinsames Leben zu erkämpfen. — Ob er ihrer noch gedenkt? — Ja, er kommt wieder, sein Werben ist ehrlich aber stürmisch. Doch sie kann, darf nicht seine werden, denn sie weiß sich krank, von der Natur verkümmert (dort lehnen die Krücken, die sie stützen müssen!) — Weil sie ihn liebt, darf sie an des Freundes frischer, kräftiger Natur nicht ihr sieches Dasein ketten. — Sie entsagt. —  Es geht ein gewisser realistischer Zug durch das Ganze, der aber durch Schilderung innerer Kämpfe, durch ,denkend fühlen, fühlend denken’ wie der Verfasser richtig gesprächsweise bemerkt, gemildert, vergeistigt wird. […]“


„[…] Auf Anregung des Hr. Dr. Volbehr, die die Vorstandschaft zu ihrem eigenen Antrag aufnimmt, wird schon heute Dr. Wilhelm Jordan, als der deutschen Dichter u. Schriftsteller besten einer, einstimmig zum Ehrenmitglied ernannt. — Sollte von uns selbst niemand zur Jordanfeier nach Frankfurt gehen können, so soll das neuernannte corresp. Mitglied Hr. Pernwerth v. Bärnstein freundlichst ersucht werden, (der in seiner Eigenschaft als Vorstand d. bayer. Verkehrsanstalten wol leicht Veranlassung zu einer Reise nach Frankfurt haben könnte) die Vertretung des Ordens bei der Feier zu übernehmen.


[…] 5) […] b, aus dem Magazin für Litteratur d. [In- und Auslandes] einige Proben aus ,Die letzten Menschen.’ Ein Bühnen[?] von Wolfgang Kirchbach. — Der Verfasser gehört der neuen realistischen Schule an, die ja das bißchen Idealismus das uns in Litteratur u. Leben noch geblieben ist verurtheilt u. zu dem alten Eisen wirft.“


„Freitag d. 25. Januar 1889

[…] Da erscheint endlich u. glücklicherweise des Herzogs von Thyrone, Hr. L. Duplessis, der ob des günstigen Bühnenerfolgs seines Stückes beglückwünscht u. durch ein dreifaches Hoch, ausgebracht vom Vorsitzenden begrüßt wird.

Die hies. Zeitungen brachten heute die Mittheilung, daß die Buchausgabe dieses Dramas hies. Stadtbibliothek als Geschenk des Verfassers einverleibt worden sei; Herr Consul Duplessis hiervon sehr unangenehm berührt, berichtet, daß er sein Buch nur Herrn Bürgermeister v. Stromer persönlich zugeeignet habe, u. legt vor der Gesellschaft Verwahrung ein, als hätte er die Stadtbibliothek damit bereichern wollen. […]“


„Freitag den 19. Juli 1889

[…] Schmidt [der an diesem Tag den Vorsitz hat] verliest aus dem Korrespondenten einen hübschen Aufsatz v. Mxml. Harden über Gottfried Keller, anläßlich dessen 70. Geburtstag.

Geißler beantragt, Gottf. Keller als Ehrenmitglied in den Orden aufzunehmen, was einstimmig zum Beschluß erhoben wird und soll sich deßhalb der Schriftführer mit dem Praeses Dr. Beckh ins Benehmen setzen.“


„43. W. V. Freitag d. 13. Dezember

[…] Es liegen außer den gewöhnlichen Zeitschriften verschiedene Neuigkeiten des Büchermarktes auf, darunter Ibsens Werke und ein Band schöner Aphorismen der Marie Ebner Eschenbach. Knapp hat eine Reihe Volksfestphotographien zur Besichtigung mitgebracht […]

Dr. Beckh bemerkt, daß er dem Ersuchen des Festkomites für das Wohltätigkeitsfest zu Gunsten der Ferienkolonien nachgekommen sei und die Redaktion der Festzeitung zu übernehmen habe und fordert die Mitglieder auf, Beiträge zu liefern, Geißler übernimmt den Entwurf des Titelkopfes. Hierauf verliest der Vorsitzende die ihm bereits für die Festzeitung zur Verfügung gestellten Sachen, ein ernsteres ,Weihnachtsbild’ genanntes Gedicht von Knapp und eine launige Erzählung ,Der Postbote’ von Schmidt, die das muntere Treiben der fröhlichen Ferienkolonisten schildert. — Der Vorsitzende macht auf die im Fränk. Kurier erschienene Besprechung der ,Kurzen Geschichten’ von Rolf Heykens aufmerksam und schlägt vor, dem Dichter Theodor Fontane zu seinem 70. Geburtstage am 30. Dez. einen Glückwunsch zu senden. Es wird beschlossen dies zu thun und ebenso dem Ehrenmitgliede Hermann Lingg zu seinem siebzichsten [sic] Geburtstage am 22. Januar 1890 zu gratulieren. […] Dr. Volbehr beklagt sich darüber, daß der Pegnesische Blumenorden nicht dem Germanischen Museum seine Veröffentlichungen zukommen lasse, trotzdem er jene des Germanischen Museums regelmäßig erhalte. […] Zum Schlusse macht der Vorsitzende noch auf den schönen Nachruf aufmerksam, den Ebers in der Allgem. Zeitung dem Dichter Volkmann-Leander gewidmet hat, und verliest einen in demselben Blatte erschienenen schönen und charakteristischen Nekrolog Anzengrubers.“


„4. W.V. Freitag den 31. Januar 1890

[…] OAK. Schrodt verliest dann schließlich einige stimmungsvolle und formschöne Gedichte von Fontane, z.B. ,Letzte Fahrt’ (Kaiser Friedrich III), ,Letzte Begegnung’ (König Oskar von Schweden mit Kaiser Friedrich III) — beides ergreifende Dichtungen über ein ergreifendes Drama. Schluß ¾ 12 Uhr.“


„Freitag den 21. Febr. 1890

[…] Dr. Volbehr […] verliest dann Theile aus der in der Nummer abgedruckten Hauptmann’schen dramatischen Familien-Katastrophe ,Das Friedensfest’ eine Anhäufung von Häßlichkeiten.“ — Auch dieser Dichter wird, wie der vormals gescholtene Fontane, später einmal Ehrenmitglied des Blumenordens.


„Freitag d. 7. März 1890

[…] Man unterhält sich viel u. spricht eingehend über das neue Schauspiel von Sudermann: ,Die Ehre’, das vor einigen Tagen hier zum ersten Mal über die Bretter ging. Alle die Anwesenden die das Stück gesehen, sind trotz mancher abweichender Ansichten über die Zeichnung einzelner Charaktere u.a. doch einig darüber, daß diese ,Ehre’ ein großangelegtes Drama aus dem Leben, und gewaltig ergreifend sei! […]“


„21. W.V. Freitag den 30. Mai 1890

[…] Der 4. u. 5. Aufzug von Ibsens ,Frau vom Meer’ wird nicht weiter gelesen, da das ganze Stück doch ein gar zu trostloses, ödes Gebilde ist. […]“


„24. W.V. Freitag den 20. Juni

[…] ferner verliest er [Beckh] als Beweis, wie auch heutzutage wieder einzelne Dichter sozialistischen Bestrebungen huldigen: ,Ein Streik’ — Novelle in Versen von August Diehl, München 1890 — In grellen Farben, düstern Bildern schildert der nicht unbegabte Verfasser das Elend der Arbeiterbevölkerung; es liegt ja manches Wahre in dieser Erzählung, doch ist sie mit ausgesprochener Tendenz Haß zu erwecken geschrieben. — Neu ist ja die Erscheinung nicht, daß die Dichtkunst der leidenden u. darbenden Menschheit ihre Dienste geleistet hat, — es sei hierbei nur an die 40er Jahre erinnert u. insbesondere an Ferd. Freiliggrath.“


„28. W.V. Freitag den 18. Juli

[…] Wir gedenken heute des am 15. d. Ms erfolgten Hinscheidens unseres Ehrenmitgliedes Gottfried Keller in Hottingen-Zürich — in ehrender Anerkennung seiner großen Verdienste um das deutsche Schrifttum. — G. Keller wird durch seine Erzählungen für alle Zeiten einen Ehrenplatz in der deutschen Litteratur einnehmen u. als der besten Einer immer genannt werden. […]“


„37. W.V. Freitag den 1. Oktober [1890]

[…] Um einen Einblick zu gewähren in das Gebaren unserer neuesten Dichterschule, die sich wähnt die Wirklichkeit in wahren Farben zu malen und das schließlich in aller Nacktheit zu zeichnen und da wähnt als wären die grellen Lichter die sie aufsetzt, die allein wahren Ausstrahlungen dichterischer Begabung, gibt A. Schmidt einige Proben aus „Moderne Dichtung“ herausgegeben von E. M. Kafka, redigiert von M. Constantin, von einem gewissen Hermann Bahr u. Peter Hille. Abgesehen von der Mißhandlung unserer edlen Sprache, sind es Scheußlichkeiten die unsere beiden Herren in ihrem Hirn ausgebreitet haben u. hier veröffentlichen. — Das ist nicht Realismus — das ist Cynismus! — Und dieses Blatt „Moderne Dichtung“ will das litterarische Organ des Deutschthums in Mähren u. Böhmen sein — will ein Bollwerk sein gegen die Ueberfluthung des Slawismus! […]“


„43. W.V. Freitag den 12. December

[…] Die Versammlung folgt nun mit großer Spannung der Lesung (durch die Hrn Dr Beckh u. OAR Schrodt) des 1. Aktes von Sudermanns Drama „Sodoms Ende“ aus dem Magazin für Litteratur. — Schon dieser Anfang bezeugt des Dichters Begabung verrottete gesellschaftliche Zustände zu schildern, u. wir sind in voller Erwartung der weiteren Entwickelung dieses Zeitbildes.“


„6. Wochenversammlung Freitag den 6. Februar [1891].

[…] Vor Eintritt in die Tagesordnung begrüßt der Vorsitzende unsern Freund Pfeilschmidt, der heute als dramatischer Dichter unter uns weilt, indem sein Erstlings-Werk ,Die Sünden der Väter’ (Lustspiel) gestern zum ersten Male, an hiesigem Stadttheater, auf der Bühne erschien — und zwar mit gutem, wirklichem Erfolg. […] und auch die Kritik […] selbst auch die in der sozialdemokratischen Fränkischen Tagespost, sprach sich, abgesehen von einigen berechtigten Aussetzungen, günstig über das hübsche Stück aus. […]“


„19. W.V. Freitag den 15. Mai 1891

[…2)] Aus „Zoozmann „Seltsame Geschichten“ (Zürich, Schabelith, — die bekannte „rothe“ Verlagsfirma — namentlich auch für alle solche, die ihrer Abneigung gegen Deutschland ungezügelten Ausdruck geben wollen) — einige Gedichte, die wohl schön in der Form u. reich an Phantasie, sich doch gerne in üppigen, sinnlichen Bildern gefallen. — Dagegen ist das zweite Opus, das dieselbe Firma auf den Markt bringt „Aus dem Großstadt-Brodem“ von Wilhelm Arent — eine nichtswürdige Erscheinung — eine Mistbeet-Blüthe! Beide Schriftsteller gehören selbstverständlich der neuesten Schule an und sind Berliner.


3) Dr. Volbehr verliest aus Tolstois Volkserzählungen drei derselben […] Tolstois Schilderungen russischen Volksthumes mögen wohl der Wahrheit nicht entbehren, aber seine Weltanschauung ist doch eine unerquickliche, ja unheimliche. […]“


„27. W.V. Freitag den 10. Juli 1891

[…] Der heutige Abend soll einzig Vorträgen aus Theod. Vischers Werken gewidmet sein […] Im Anschluß daran liest Dr. Beckh den in der ,Deutschen Dichtung’ veröffentlichten Brief Gottfr. Kellers an Vischer mit einer charakteristischen Beurtheilung des ,Auch Einer’ vor, während Dr. Volbehr aus den ,Lyrischen Gängen’ zunächst die kräftige Vertheidigung seines ,Auch Einer’ gegen ungerechtfertigter Angriffe […] Den Beschluß bildet die köstliche Satyre ,Faust, der Tragödie 3. Theil’ aus der Herr Scharrer die drastisch-komische Schul-Scene, Herr Dr. Volbehr den großartigen Hymnus auf Goethe zum Vortrag brachte. Schluß 12 ½ Uhr“


„30. W.V. Freitag 18. Septbr 1891

[…] Aus dem Musen-Almanach der Modernen liest Beckh zwei sehr vortheilhaft von den übrigen abstechende Gedichte ,Aus Davos’ v. Gf. Schonaich Carolath und ,Waldidyll in Rosen’ von Morris Stern. […]“


„40t W. Versammlung 27 Novbr. 1891

[…] Rée liest aus ,40 Lieder eines Deutschen’ die von dem Verfasser des ,Rembrandt als Erzieher’ stammen; eine Arbeit, die Zweifel an der normalen Geistesbeschaffenheit des Dichters aufkommen läßt. […]“ — Julius Langbehn vertrat eine frühe Variante des völkischen Erneuerungsgedankens.


„23 Freitag den 24 Juni 1892

[…] Schmidt liest aus ,Apostata’ (Maximilian Harden) die beiden Artikel ,College Bismark [sic]’ ,suprema lex’ und finden die mit viel Witz und Ironie geschriebenen Artikel allen Beifall.“


„27 W.V. Freitag den 22. Septbr. 1893

[…Knapp] beantragt die Anschaffung eines Werkchens ,Müssige Gedanken eine Müssigen’ von Jerome K. Jerome aus welchem ein Capitel ,ein meublirtes Zimmer’ vorgelesen wird, welches allgemein gefällt.“


„35. W.V. Freitag 17 Nobr 1893.

[…] Zehler spricht über den Begriff des ,Modernen’ und erläutert densl. durch Verlesung eines Kapitels aus Turgenjeff ,Memoiren eines Jägers’ betitelt ,Zabern’ und Zolas ,Wörth’ beide ergreifende Schilderungen […]“


„17t W.Versammlung Freitag 4 Mai 1894

[…] Bernhold liest aus dem „Freiland“ zwei Novellen ,Vom Fenster aus’ v. Hans v. Gumppenberg ,Klare Rechnung’ von Marie Janitschek. Erste gefällt besser als letztere, bei der manche Unwahrscheinlichkeit gerügt wird. Dittmar liest Dahn’s ,Velleda’ und sein Gedicht gleichen Namens; es geht hervor, daß keinerlei Anlehnung stattgefunden und Dittmar den Stoff ganz selbständig behandelte. […]“




Einzelne Autoren


Von den Autoren, die es lohnt, durch ausführliche Darstellung ihrer Werke zusammenhängend anzuführen, ist August Schmidt der am nächsten liegende. Er war, wie erinnerlich, ein Postbeamter höheren Ranges, war jedoch schon in seiner Münchener Zeit als Bühnenautor nicht ohne Erfolg hervorgetreten und sandte bei seiner Übersiedelung nach Nürnberg einige seiner Werke dem Blumenorden ein, um aufgenommen zu werden. Dies geschah laut Stammliste am 16. 12. 1881. Einen guten Begriff von seinem gar nicht unpolitischen Humor gibt eine Moritat, die er auf ein am 13. Juli 1874 verübtes Attentat auf Bismarck schrieb:


Wer es nicht kennt, das Attentat,

Das erst sich zugetragen hat,

Dem thue unser holder Mund

Es ungesäumt nachträglich kund,

Damit er weiß genau und wahr,

Wie wirklich die Geschichte war.


Kissingen ist im Bayerland

Von Sechsundsechzig her bekannt;

Dort hat die deutsche Einigkeit

Sich gegenseitig durchgebläut,

Und nach viel Schlagen und Geschieß,

Weiß keiner, wie’s gewesen is.


Dort baden in der Sommerszeit

Die Engländer und and’re Leut’;

Der Ragoczy und der Pandur

Dort hinterläßt manch’ breite Spur;

Manch harter — Sinn wird dort erweicht,

Und manchem wird die — Hose feucht.


Dort kam denn auch auf einmal an

Der große Blut- und Eisenmann,

Den Fürsten Bismark nennt sich er,

Des deutschen Reiches Kanzeler,

Der stets die schwarzen Kanzelherrn

Abkanzeln thut so gut und gern.


Zugleich mit ihm auch kam dort an

Der Böttcher Edward Kullemann,

Als Lehrling stach er durch und durch

Den Meister schon in Magdeburg,

Katholischen [sic]  Vereins-Gesell

Kam er heran von Salzwedel.


Und ein verrostet alt’ Pistol

Das lädt’ er bis ans Spundloch voll,

Und wär’s der Bismark nicht schon g’wohnt,

Der Lausbub hätt’ ihn nicht verschont,

Als er ihm ohne Scham und keck

Aufpasset an der Straßeneck.


Dem Publikum wird heiß und kalt,

Als unverhofft ein Schuß erschallt;

Auch führt sein böser Stern daher

Den biedern Pfarrer Haunthaler,

Drum wird er auch mit ihm zugleich

Denn durchgeprügelt windelweich.


Und beide steckt, daß Gott erbarm’

Ins Loch der nämliche Gendarm;

Herrn Bismark war zum Glück am End’

Doch nur die linke Hand verbrennt,

Allein ein Tag des Schreckens war’s,

Der dreizehnt’ Juli vor’gen Jahrs.


Was hat der Kullmann jetzt davon?

Er kriegt halt jetzund seinen Lohn;

Dem Pfarrer gibt man freie Reis’

Weil überhaupt er gar nichts weiß;

Weßhalb denn auch zum Kirchenrath

Ihn schnell ernannt der Bischof hat.


Als Schwarzen Humor kann man die Pointe einer anderen Moritat bezeichnen:


Schau, Publikum, das Blutgerüst,

Wo schon bereit der Henker ist;

Als Schutzmannschaft beordert sieh

Ein Regiment Infanterie.

Das Blut bespritzet weit und breit

Soldaten und auch andre Leut,


Der Körper wurde von der Wacht

Hin zur Anatomie gebracht;

Dort hat Herr Nußbaum ihn seziert

Und seine Glieder präpariert,

Den Kopf in Spiritus gesetzt,

So ward er geistreich noch zuletzt.


Auf das Theater fanden Schmidts Stücke wohl wegen ihrer zeitnahen gesellschaftlichen Probleme ihren Weg, wenn sie auch in der gehobenen Gesellschaft wie bei Ibsen spielen, allerdings mit sentimentalem Ausgang. „Krank am Herzen“, Schauspiel in fünf Akten, wurde am Königlichen Theater in München mit glänzendem Erfolg aufgeführt.


Die Handlung: Bertha Jordan hat von ihrem Liebhaber, Baron Bruno von Treisen, seit seiner Abreise vor drei Jahren nichts mehr gehört und ist entsprechend krank am Herzen. Ihre Schwester Anna will sich auf Schloß Treisen als Gouvernante verdingen. Der Verwalter Behrend will um Berthas Hand anhalten. Sie weist ihn ab. Als der Diener kommt, der Anna abholen soll, gibt sie sich als ihre Schwester aus und fährt mit ihm ab. Die Tochter des Hauses ist von ihrem Gemahl wegen seiner zahlreichen Reisen ebenfalls getrennt, erfährt aber, daß er zurückkehren wird. Sie, bürgerlicher Abkunft, hatte vor ihrer Ehe mit ihm ein uneheliches Kind. Die alte Baronin schikaniert sie. Bertha ergreift ihre Partei und erklärt der Alten, sie werde davon dem Heimkehrenden erzählen. Dieser ist aber ihr Bruno. Sie muß annehmen, daß er mit Hermine verheiratet ist und weist ihn zurück. Bei einem Zusammentreffen mit Bertha in Gegenwart der Alten und Brunos geht ihr der Zusammenhang noch nicht auf. Bruno weist seine Mutter wegen ihrer Schikanen in die Schranken und kündigt an, er werde nun zuhause bleiben. Bertha bittet bei Hermine um ihre Entlassung, läßt sich aber umstimmen zu bleiben. Die Alte weckt den Argwohn in Hermine. Sie belauscht eine leidenschaftliche Unterredung zwischen Bertha und Bruno und erleidet, lungenkrank wie sie ist, einen Blutsturz. Sterbend verzeiht sie allen und stiftet die Ehe zwischen Bruno und Bertha.


„Freitag, 21. April [1882]

[…] 1) v. Kreß „[August] Schmidts Drama: Der Ehre Gebot 3. 4. Akt Schluß wird gelesen. Ein bürgerliches Trauerspiel ohne daß vielleicht der Verfasser dieß gewollt hat; der moralische Untergang der Gouverneurstochter ist doch nicht genugsam begründet um nicht Bedenken gegen die gezwungene Veranlassung dazu hervorzurufen. […]“


Daß August Schmidt durchaus mit Knapps Reimchronik mithalten konnte (und daß es im Blumenorden im Jahre 1882 auch nicht viel anders zuging als 2014), zeigt das Protokoll der Sitzung vom 30. Juni  in Hexametern:


Halte mir, Muse, den Gaul, damit nicht am Ende er umfällt

Aufrecht hält er sich kaum, Lenden und Füße sind lahm;

Denn kein Pegasus ists, der flügelschwingend sich vorstellt,

Nein, Rosinante nur ists, die ich als Reiter bekam.


Wahrlich, ein Wunder ists nicht, wenn der beste Renner ermüdet,

Eilt er zu jeglichem Fest, das man in Nürnberg begeht.

Neugier und Wissendrang, — Gott weiß, was sonst noch gebietet

Führen zu Festen, wovon in den Calendern nichts steht.


Abgesehen vom Trubel der bayerischen Landesausstellung

Welche allein schon genügt, schach uns zu machen und matt,

Kommt noch der Ärztetag, elektrischen Lichtes Erhellung,

Meininger Kunst triumphiert zweifach in unserer Stadt


Einmal auf hohem Kothurn, von den weltbedeutenden Brettern

Schauert dramatischer Kunst höchstes Verständniß herab,

Dann, im Kriegergewand, vom Orchester wiederum schmettern

Jene die Töne, gelockt durch Polyhymnias Stab.


Fesselt das Auge nicht der Reigen der Lenker der Rosse,

der, Jubiläre zur Ehr’, wie in Olympia spielt.

Schüttert im Sommertheater das Zwerchfell vielleicht bei der Posse

Wenn sich in Melodien Offenbach selber bestiehlt.


Kurz, es ist einfach zu viel, Zeit kostet das, Geld, und auch Arbeit,

Müde wird Roß und Mann, — halt es ein anderer aus!

Heut folg’ ich nicht mehr der allgemeinen Vernarrtheit

Ruhe nur heische ich noch, ferne von Saus und von Braus.


Und wo fänd ich die noch, als im Regensburgischen Hofe,

Wo der Pegnesenbund still sich vereint und solid,

Wo nur zuweilen sich eine ein wenig verwegnere Strophe

Durch ein gelehrtes Gespräch freundlich geduldet noch zieht!


Ja ein Freitag wars, der dreißigste Juni des Jahres,

Als man eintausend und acht hundert, auch achtzig und zwei

Schrieb nach Christi Geburt, zur neunten Stunde schon war es

Und da wimmelten vier Glieder des Bundes herbei:


Doch nicht auf einmal, es wäre zu viel ja verlangt, nur allmählich

fanden die Herren sich ein: erstlich ein geistlicher Herr,

Pfarrer Heller, der machte Quartier, — und bald darauf stell ich

Selber mich ein — und da raisonnierten wir sehr:


Wie sich ob Ausstellung und Jubiläen und Festen

Gar nichts fügen mehr wollt’, Alles sich immer zerstreut,

Wie es bei jedem Vereine, bei jeder Gesellschaft an Gästen

Überall fehle, „es scheint, daß wir die Einzigen heut


Bleiben im Orden pegnesischer Ritter!“ — Beruhigend, schüchtern

Reich ich die  Capsel ihm, mit Cigarrenspitzchen gefüllt, —

Und schon strahlet sein Auge in freundlicher werdenden Lichtern

Und sein Raisonnement ist für das Erste gestillt.


Tres faciunt das collegium. Es erscheint noch weiter

Optikus Schröder; er ist deus ex machina fast.

Nochmal erdröhnet die Stiege, — und siehe, der Himmel wird heiter

Unser Herr Präses erscheint, er, der willkommenste Gast.


Blickt verwundert sich um und sieht gar Viel’, die da fehlen

„Häupter der Lieben, wo seid ihr, da der „Zähler“ auch fehlt?“

Findet es dann begreiflich, und kanns sich selbst nicht verhehlen,

Daß es kein Wunder ist, wenn Andere Anderes hält.


„Trösten wir uns!“ so spricht voll ächten christlichen Geistes

Unser Herr Pfarrer, „es gilt, was Ben Akiba gesagt —

Dieses Büchlein von alter Zeit, ihr Herren beweist es:

Alles war einmal schon da, drum sei auch heut nicht geklagt.


„Ja, schon anno sechs, beim Beginn von diesem Jahrhundert,

Wo sich quartaliter nur fand die Pegnesia ein,

Damals war man kaum ein wenig darüber verwundert,

Fielen bald Sitzungen aus, waren sie bald nur zum Schein.


„Ja, man möchte fast sagen, am meisten ist da noch im Orden

Wenn ’mal ein Mitglied verstarb, dadurch nur, daß es verstarb,

Es im pegnesischen Leben mal wieder lebendig geworden,

Man sich durch Sterben im Orden Verdienste erwarb.“


Also sprach der Herr Pfarrer, vom Zuckerwasser im Glase

Trank er das Restchen noch aus, — „Denn es muß zehne schon sein!“

Grüßt, und begibt sich nach Haus. Da kommt von der Maxfeldstraße

Noch ein verspäteter Gast zu den vereinsamten Drei’n.


Ja ein Ordensrath! Mit Freuden kann ich es künden

Sitzt am gewohnten Platz, fragt, wo die Anderen sind?

„Wo ist der Herr Sekretär? auch sein Vice ist nicht zu finden?

Wer schreibt das Protokoll?“ — Und der Herr Präses beginnt:


„Ein Protokoll muß sein; es darf in der Reihe nicht fehlen.

Sie sind der Jüngste im Bund,“ sprach er da lächelnd zu mir;

Mögen Sie immer die Art der Fassung selber sich wählen

Sorgen Sie für’s Protokoll; Sie sind uns haftbar dafür.“


Nun denn, in Gottes namen! So will ich mit diesem es wagen,

Bringe nicht mehr als ich kann, — freilich nicht das, was ich soll;

Ab er bedenkt, ihr Herrn: Von Nichts läßt viel sich nicht sagen;

Nehmt es halt so, wie es ist, — ist es doch ein Protokoll!


(Schmidt, Post-Specialcassier)


In der alljährlich aufkommenden Not, wer denn ein Festspiel für das Irrhainfest verfasse, bot Schmidt mehrmals den Ausweg, einmal auch, indem er das Problem thematisierte. 1883 ging es zuerst einmal um den Nürnberger Trichter:


Der Nürnberger Trichter wird von zwei Spaziergängern aus Nürnberg, die ein dörfliches Liebespaar belauschten, dem schüchternen Liebhaber gereicht, damit er seine Erklärung dort hineinspreche; seine Auserwählte hört es, antwortet aus dem Gebüsch, sie finden sich, alles wird gut. Interessant, daß von dem Trichter gesagt wird: „Man heißt ihn Telephon in neu’ster Zeit“.


Stoffe zu Festspielen gesucht. Scherz in einem Akt von A. Schmidt. (Festspiel zum Irrhainfeste des pegnesischen Blumenordens im Jahre 1884.) Druck des „Korrespondenten von und für Deutschland“ in Nürnberg.

Rentier Mayer und seine Tochter Lieschen ergehen sich im Irrhain. Er ist bedrückt, denn der „schlimmste aller Ordensräthe“, Knapp, hat ihn dazu gebracht, daß er das Festspiel schreiben soll. Lieschen empfiehlt ihm als Stofflieferant ihren Geliebten Ludwig, den der Vater nicht mehr leiden kann, seitdem er schlecht verdienender „Zeitungsschmierer“ wurde. Während Mayer sich von seiner Tochter entfernt, um nachzudenken, nähert sich Ludwig und erzählt Lieschen u.a., daß ihr Vater schon eine Annonce bei seiner Zeitung aufgegeben hat, um einen Stofflieferanten zu suchen. Als der Vater erscheint, übergibt ihm Ludwig die Antworten auf die Annonce, die er aber selber geschrieben hat. Es sind lauter Wortspiele mit dem Wort „Stoff“, das nicht im Sinne einer Handlungsidee verwendet wird. Am Ende kommt noch ein mundartsprechender „Stoffel“ mit einem Faß Bier, das „Stoff“ sein soll. Er läßt sich nicht abweisen, wird die Rechnung später schicken, läßt aber das Faß da, als er geht. Mayer trinkt. Die unterdessen spazieren gegangenen jungen Leute treffen ihn schon in halb beduseltem Zustand an. Er redet bereits nürnbergerisch. Sie geben ihm einen Expreßbrief, in dem Knapp um baldige Ausführung des Festspiels bittet. Nach einigem Hin und Her stimmt er ihrer Verbindung zu, verzichtet aber auf Ludwigs Hilfe (der übrigens der Stoffel gewesen ist) und sagt, aus den Vorkommnissen könne er selber ein Festspiel machen.


Eine Theaterprobe im Irrhain. Dramatischer Scherz zum Irrhainfeste des pegnesischen Blumenordens 1887. von Aug. Schmidt.

Mitglieder der Gesellschaft „Die Ungenirten“ kommen in den Irrhain, um für ihr Stück „Ein Besuch auf den Karolineninseln“ eine Probe auf der Naturbühne zu halten. Auf der Suche nach anderen Mitspielern verlassen sie bis auf Berthold den Platz. Berthold bedauert, daß seine Liebste Rose nicht dabei ist, weil sie auf irgendeiner Probe zu sein hat. Sie hätte sonst in diesem Stück eine Rolle übernehmen können. Mitglieder des Ordens kommen dazu, die auch hier Probe halten wollen. Die „Ungenirten“ kommen nun auch dazu. Knapp verkündet, daß die Pegnesen „Wallensteins Lager“ proben wollen und verbriefte alte Rechte haben, die ihnen den Vorrang einräumen. Müller wehrt sich: „Das ist eine unverschlossene, staatliche Waldparzelle“. Knapp zeigt den Irrhainschlüssel. Das verfängt nicht. Beide Gruppen fangen mit ihrer Probe an. Die Textstellen greifen nicht schlecht ineinander, bis sich Müller beleidigt glaubt durch etwas, was in der Kapuzinerpredigt steht. Die Pegnesen ziehen sich zurück, nicht ohne daß Knapp einen Prozeß androht. Den anderen ist die Lust vergangen, sie gehen auch ab, Berthold distanziert sich und bleibt zu einem Monolog. Rose erscheint. Sie macht ihm eine Szene, weil sie erfahren hat, daß er in seiner Rolle ein anderes Mädchen küssen wird. Und sie wollte ihn sogar bitten, den Holk’schen Jäger im Irrhainspiel zu übernehmen. Und er wollte sie bitten, die Rolle der zu küssenden Pflanzerstochter zu übernehmen. Müller kommt zurück, trifft Rose allein an und erzählt, daß seine Darstellerin wegen des Tanzvergnügens beim Irrhainfest abgesagt habe, bittet sie, die Pflanzerstochter zu spielen, sie stimmt zu. Nachdem sie abgegangen sind, erscheint Knapp mit Berthold. Er übernimmt den Holk’schen Jäger. Als Rose mit den Ungenirten wieder dazukommt, wird die Überkreuzung klar. Um Rose entbrennt ein Tauziehen. Als sie selber entscheiden soll, macht sie es von Berthold abhängig, der den Pegnesen den Vorzug gibt. „Die Karolinen sind ja ohnehin vom Deutschen Reiche aufgegeben worden. Es ist das Beste, Sie lichten die Anker.“


Pegnesischer Blumenorden. Erinnerungsblatt an das Irrhainfest 1890. Eine Ordenssitzung im Irrhain. Dramatischer Scherz von A. Schmidt und W. Beckh. Nürnberg. Hermann Ballhorn. 1890.

In fünffüßigen Jamben abgefaßt. Reck und Becker ergehen sich. Der Zustand des Irrhains wird beklagt: „Doch wenn nicht bald/ Sich milde, reiche Hände dafür finden,/ So wird er eine offne Waldparzelle.“ Fräulein Rosa May und Anndl kommen dazu. Letztere soll den Schlüssel zu der Hütte holen, um die Pumpenstange zu bekommen, die dann der Knecht des Wirtes von Kraftshof an der Pumpe befestigen wird. Becker wird selbst aufsperren. Reck und Rosa allein, er gesteht seine Liebe und erzählt, daß er jetzt eine Stelle als Assistent am Krankenhaus habe. Weitere Ordensräte kommen dazu, gehen aber bald wieder nach Kraftshof, um sich bei der Hitze am Biere zu laben. Weitere Ordensräte. Bemängeln, daß die Sitzung auf drei Uhr festgesetzt war, es aber schon vier Uhr ist. Das sei aber nichts besonderes. Die Sitzung beginnt, wegen Fremdwörtern wird dauernd klappernd die Sammelbüchse geschwenkt. Auch wegen Kalauern: „Plattig Schätzchen — schattig Plätzchen“. Anndl unterbricht mit der Eröffnung, der Kaffee sei fertig. Sie wird abgewiesen. Knapp (ironisch): Ich schlage vor, vor allem zu vermitteln,/ Daß eine Eisen- oder Straßenbahn/ hieher geführt wird, und des weiteren,/ Daß eine Restauration man baut./ Das übrige ergibt sich dann von selbst.“ Herr Reck, der als Nichtmitglied schon beim Kaffee sitzt, wird in Abwesenheit eilends in den Orden aufgenommen, damit er ihnen nicht den Kaffee wegtrinkt. Zu allem Überfluß hören sie Geräusche des Anstechens eines Bierfasses. Ein Herr Scharf erscheint, setzt sich auf eine der Bänke, die leer geworden sind, und läßt sich von Becker und Schmitz nicht vertreiben. Anndl kommt und überbringt den Wunsch des Forstmeisters nach einer Aussprache. Er warte schon am alten Tor. Die beiden Pegnesen ab. Anndl schilt ihren Geliebten Scharf, der aus Hinterpommern stammt. Ab. Reck allein. Rezitiert die Verse, die er für Rosa geschrieben hat. Diese hat sie erlauscht und tritt hervor. Alle andern kommen hinzu. Verlobung.


Auf eine Verlobung läuft auch ein geradezu groteskes (undatiertes, aber in der Reihenfolge als nächstes ins Archiv eingelegtes) Irrhainspiel hinaus:


Eine Kneippkur im Irrhain. Dramatischer Scherz von Aug- Schmidt in 1 Aufzug.

Rentner Wacker (50 Jahre) hat als Ordensmitglied den Schlüssel zur Gerätehütte und kann deswegen seinen Wunsch verwirklichen, im Irrhain eine Kneippkur zu machen. Die Tochter Hannchen erinnert daran, daß er die Ratschläge seiner Ärzte zu gesünderem Leben bisher in den Wind geschlagen hat. Er hat in die Hütte eine Leiter gestellt, oben einen Haken angebracht, an den eine gefüllte Gießkanne gehängt wird, die mit einem Strick von unten geneigt werden kann. Unter einem Regenschirm hat er es schon einmal erprobt. Er hat sich für vier Wochen in Kraftshof eingemietet und rechnet damit, daß in der Morgenstunde noch kein Pegnese in den Irrhain kommt. Ab. Hans Ringer, Hannchens Liebhaber, kommt und verrät in einem Monolog, daß er Wacker um ihre Hand bitten möchte, daß er ein Fäßchen und Bänke bestellt hat und daß diese Dinge und einige seiner Freunde bald eintreffen werden. Liese, die Bauersfrau, bei der Wackers einquartiert sind, tritt auf, nimmt die beschwerlichen Schuhe ab und versteckt sie im Gebüsch. Ab. Schorschl kommt mit dem Faß, probiert gleich das Bier, sieht die Schuhe, nimmt sie mit, geht ab. Hannchen barfuß, das Gehen auf dem steinigen und astigen Waldboden peinigt sie. Ringer kommt dazu. Sie sucht ihre Füße zu verbergen. Liebeserklärung. Er will gleich mit ihrem Vater sprechen, sie wiegelt ab, er will es aber vor dem Eintreffen der Freunde hinter sich bringen. Sie bittet ihn, sich eine Minute umzudrehen, und enteilt. Die Freunde kommen an. Trinksprüche. Wacker von links, barfuß. Sein autoritäres Scheuchen erregt Heiterkeit, weil man seine bloßen Füße sieht. Er sucht seine Stiefel, die hat Schorschl auch mitgenommen. Nun erklärt er die Kneippkur. Er hat sich einen Dorn eingetreten, den ihm einer der Herren herauszieht, damit er besänftigt ist. Hannchen, Ringer, Liesi dazu. Ringers Bedienter hat die Schuhe in Kraftshof aufgetrieben, Liesi hat sie in die Gerätehütte gebracht, wo Ringer und Hannchen weilten. Verlobung.


Geradezu pazifistisch kommt folgende Ballade August Schmidts heraus:


Das Siegesfest


Wer ists, in dessen Antlitz, da jedes freudig strahlt,

Beim heut’gen Siegesfeste sich finstrer Unmut malt?

Was ziehst du bis zum Ende des Saales dich zurück?

Berührt dich gar so wenig der Unsern Waffenglück?


So rufet beim Bankette der König drohend aus,

Indessen Becherklirren und Jubel füllt das Haus.

Beim Zornesruf des Königs verstummt der Zecher Chor.

Und tritt ein alter Krieger zum Throne langsam vor.


Ganz still ist es geworden, des Alten Angesicht

Nicht fremd erscheint er Allen, und doch kennt man es nicht.

Aus busch’gen Augenbrauen ein festes Auge schaut,

Und ruhig tönt die Stimme, volltönend hell und laut.


Wohl sehe ich die Thore, die Straßen bunt geschmückt,

Ich sehe von dem Siege die Deinen hochentzückt,

Die Gränzen sind erweitert, und jeder Mund gesteht,

Wie wiederum der Kriegsruhm des Landes ist erhöht.


Die Jugend deines Landes, wohl schwingt sie sehr das Schwert;

Jedoch sie wird entfremdet dem heimathlichen Heerd,

Denn, fügst du deinen Landen auch täglich neue an,

Was du an Ruhm gewinnest, verliert der Unterthan.


Drum sei gewarnt, o König! Noch ist das Volk gestillt,

So lang der Siege Scheinglanz mit Hoffnung es erfüllt.

Sind auch des Landes Marken ins Weite ausgedehnt,

Glaub mir, daß jeder Zuwachs dein eignes Volk verhöhnt.


Noch hörst du nicht die Klagen aus deines Volkes Mund,

Noch thut sich dir nur Jubel und Anerkennung kund,

Verschwiegen bleibt dem Sieger der untern Stände Not

Und mit dem Frieden sind auch des Friedens Künste tot.


Besteht denn nur aus Kriegern und dir das Volk allein?

Es bricht der Bau des Ruhmes mit einemmal oft ein.

Ein einziges Mißlingen, verloren eine Schlacht —

Und wehe, wenn ein nüchtern Bewußtsein einst erwacht!


Das Denkmal deiner Siege vergeht dann wie ein Hauch,

Vergaßest du des Volkes, vergißt es deiner auch.

Von deinen Siegsgenossen denkt jeder nun an sich,

Sieht er das Ende kommen —; ich warne König dich!


Verwegner! ruft der König, wie, solche Worte mir?

Könnt ihr das dulden, Mannen, trotz etwa schon auch ihr?

Da raffen sich die Hörer aus bangem Schrecken auf,

Und nach den Waffen greifet der Krieger ganzer Hauf.


Von allen Seiten stürzen sie auf den Alten her,

Doch plötzlich ist die Stelle, wo er gestanden, leer;

Nur seine Stimme hallet im Saale noch zurück:

Vergebens sucht zu kämpfen ihr gegen das Geschick.


Seine Bemühungen um eine Würdigung Sigmund von Birkens sind zeitgemäß subjektiv, doch immerhin ein Ansatz zu Wertschätzung:


Sigmund von Birken, genannt Betulius. 1626-1681. Von Aug. Schmidt. Nürnberg, Druck von J. L. Stich, 1894.

„Justinus Kerner sagt von Birken* (*Morgenblatt für gebildete Stände Nr. 257 vom 27. Oktober 1834.), «[…] Lese man seine Gedichte, so sei es, als vernehme man einen Singvogel, der, in einem schön geputzten Käfig verschlossen, künstliche Triller, die man ihn lehrte, hervorbringt, der aber mitten in dieser Arbeit wieder in die Töne seines ihm angeborenen, vollen Waldgesanges verfällt; weiter glaube man, in einem französischen Garten zu gehen, wo hier und da in steife Formen geschnittene Bäume heimlich, noch nicht bemerkt von alten blinden Gärtner, lange, schlanke Blütenzweige, auf denen bequem sich die Vögel wiegen, in den blauen Himmel ausstrecken.» Ja, er konnte […] zuweilen aus der angelernten Rolle fallen. Der Umstand, daß er sich vom Beginne seines Auftretens als Dichter in den höheren Schichten der Gesellschaft bewegte […] verlieh ihm jenen Grad von hochmütiger Demut, von selbstbewußter Bescheidenheit, daß es ein Wunder gewesen wäre, wenn bei unläugbarem Verwöhntsein durch die Lobhudelungen Gleichgestellter und die Auszeichnungen hoher und höchster Herren dies nicht in seine Dichtungen abgefärbt hätte. […]“


Georg Lehmann, der bei Buchungen leicht überforderte Schatzmeister, hat im Jahre seines Amtsantritts (1882) ein bemerkenswertes „erzählendes Gedicht“ mit dem Titel „Jung Martin im Vaterhause“ vorgelegt, in dem er versucht, den Seefahrer Martin Behaim in eine Geschichte einzubetten, die ein christlich-jüdisches Miteinander ausprobiert und dann halbherzig fallenläßt. Im ersten Gesang müht sich Martin mit mathematischen Aufgaben ab. Im zweiten wird ein Untermieter des Hauses am Herrenmarkt vorgeführt, Simon Fläsch, Nachkomme eines jüdischen Pfandleihers, der dem Pogrom von 1349 entkommen ist, weil ihm Martins Vorfahr „wegen eines Geldgeschäftes verbunden“ war:


Denn nicht blos als Vätererbstück

War das alte Möbel werth ihm,

Auch als Kammer seiner Schätze

Diente ihm der Backensessel.


Kostbar war des einen Backen

Füller, lauter Edelsteine.

Und der andre war mit Münzen

Goldes eitel ausgepolstert.


[…] Und wenn auf die Lehne legte

Sich zurück zum Schlaf der Ahnherr,

War das erst ein köstlich Lager

Auf den Schuld- und Wechselbriefen!


Es kann nicht ausbleiben, daß die Kinder beider Familien miteinander aufwachsen:


[…] Nicht des Glaubens starre Formel

Nicht des Stamm’s markante Bildung

War den Kindern eine Schranke

Spielend setzten sie darüber.


So auch Martin. Zu besuchen

Fläsch in seiner stillen Klause

War von Jugend auf gewohnt er,

Fläschen und sein Kind, die Mirjam. […]


Martin lernt sein späteres Wissen als Navigator unter anderem dadurch, daß er unter Anleitung von „Meister Hans“ ein Astrolabium fertigt. Im fünften Gesang ist es dann soweit:


Zur Sonntagsmorgenstunde war es,

Wohl in der Sommerzeit des Jahres.

Um zu entgeh’n dem Aug’ der Welt,

Hat dorthin sich das Paar bestellt.

Und was denn war es, daß die Beiden

Die Oeffentlichkeit zwang zu meiden?

Ein Blick auf sie die Antwort war.

Ihn kündete das Lockenhaar,

Das goldige, an als Germanen,

Dieweil ein scharf markirter, blauer

Streif an dem Schleier den Beschauer

In ihr ließ die Semitin ahnen.

Und Christ sowohl, als Jud, ein Jeder,

Er hätt’ geschrien Ach und Zeter,

Hätt’ er hier Eines an des Andern

Hand sehen durch die Fluren wandern,

Eins in dem Aug des Andern lesen.

Martin und Mirjam sind’s gewesen.

[… Sie finden ein verborgenes Plätzchen im Schilf…]

Als sich der erste Sturm gelegt,

Da sprach Martinus tief bewegt:

„So sei du nun, o Mirjam traut,

Die heilig mir verlobte Braut

Und sollst mein ehlich Weib auch werden

Trotz jedem Hinderniß auf Erden,

Trotz Acht und Aberacht und Bann!“

Sie drauf: „Mein herzgeliebter Mann

Auch ich verlobe mich allhier

Auf Tod und Leben fest mit Dir.

Des Glaubens Satzung und der Fluch

Im Tempel gilt mir nicht genug,

Daß ich sollt’ meine Liebe lassen!“

[…] Dort überm Ozean —

Schwört Regiomontan —

Läuft Asiens Küste man,

die östliche, ja an.

Dort gibt es Länder viel,

Für uns als Reiseziel

Und Zufluchtsort geschaffen! […]


Im sechsten Gesang allerdings läßt Lehmann auch noch die Möglichkeit einer gemeinsamen Flucht aus der intoleranten Gesellschaft fallen und serviert die Heldin mittels eines „tückischen Nervenfiebers“ ab. Martin ist ehrlich erschüttert, nimmt sich aber vor, auf jeden Fall seine Entdeckungsreise anzutreten. Er wird mit einem Bankett im „Goldnen Ring“ am Weinmarkt von seinen Freunden verabschiedet.


Nur der Tucher für sich beiseit

Sprach: Martinus, fahr nicht zu weit,

Daß dein kecker Entdeckermuth

Nürnbergs Handel nicht Schaden thut.*


Fußnote Lehmanns: „*Wie er das in der That auch gethan hat, denn die Entdeckung der Westküste Afrikas durch Martin Behaim hatte diejenige und die Umschiffung des Kaps der guten Hoffnung zur Folge, wodurch der Zwischenhandel Nürnbergs lahm gelegt wurde.“


Ein letzter Blick von der Burgfreiung über die Stadt, ein letztes Gedenken an Mirjam, dann geht es los, zunächst nach den Niederlanden. Und die Moral von der Geschicht? Bleibe im Lande und wir nähren uns redlich? Ungleiche Verbindung tut nicht gut? Da ist ihm trotz gutgemeinter Ansätze die Bilanz ein wenig durcheinandergeraten.


Dem Konsul Léon Duplessis, der schon auf dem Nürnberger Theater, wie erwähnt, einen Triumph gefeiert hatte, widerfuhr am 1. Oktober 1882 die Ehre, daß sein Gedichtband „Érostrate“ von keinem geringeren als Felix Dahn rezensiert wurde: „[…] Der Standpunkt des Herrn Verfassers (der übrigens eine deutsche Mutter hat: sein Vater war ein ausgezeichneter französischer General) ist der extremste Katholizismus, wohl unter starkem Einfluss des Jesuitismus.

Dieser Standpunkt ist nun nicht ganz der Meinige: vielmehr sozusagen, etwa das Gegenteil. Die Weltanschauung und die ,Moral’ des Buches kann also von niemand kategorischer verworfen werden als von mir. Doch hält dies nicht ab, sowohl psychologisch dem höchst interessanten, komplizirten Werdegang dieser Anschauung und der notwendigen Gestaltung ihrer Ergebnisse achtungsvollste Merksamkeit zuzuwenden, als selbstverständlich die ganz außergewöhnliche, eigenartige, auch die höchste Stufe der Mittelmäßigkeit adlerhoch überfliegende poetische Begabung des Herren Feindes mit aufrichtiger Bewunderung anzuerkennen, was nicht ausschließt, dass wir, von unserem deutschen Stilgefühl aus — also wahrscheinlich ungerecht, weil in unvollkommener Kenntnis des vom französischen Sprachgeist Ertragenen, ja vielleicht Geforderten — dicht neben dem Erhabensten Dinge finden, welche uns fast als Geschmacklosigkeiten erscheinen, ja zuweilen eine komische Wirkung üben, welche schwerlich in allen Fällen beabsichtigt ist.“ Es folgen Einzelnachweise an Textstellen und die Beobachtung, daß Duplessis den Feinden der Orthodoxie jedenfalls die Hölle erspart.


Der Journalist Hans Pfeilschmidt stellte 1885 ein „Irrhain-Fest-Album“ zusammen. Es handelt sich um Parodien bekannter Dichter, die meisten längst verstorben, denen unterstellt wird, sie hätten sich zum Irrhainfest etwa einfallen lassen. Darin erweist er sich dem berühmten Hanns von Gumppenberg als Parodist ziemlich ebenbürtig.


Swaz da singet und suozen sanc

Meinet, daz macht mich wolgemuot,

Dem künd ich ouch als rehten danc

Vriundschaft unde triuwe huot.

Des bin ich nû dem bluomenorden

Unsihtic ouch ein ritter worden,

Geb ihm zum haine daz geleite,

Herr walther von der vogelweide. […]


[…] So seid denn heut auch wolgemut,

Meister, gsellen und lehrling gut,

Holt euch im haine frewdigkeitt

Für den Dichtens künstlich arbeit.

Laßt auch mit lieplichen frewlein

Ein tentzlein euch willkommen sein,

Auch ich war jung und kans berichten:

Fraw Minne lehrt am besten dichten.

Ich freylich muß meins alters schonen,

ersamb vff dem parnassus thronen,

Denn spreng ich mit dem alten bein

In ewrem Tantz, wers gar unfein.

Doch schaw ichs gern aus meiner ruh

Und geb auch all mein segen zu.

Daß ewer orden blüh und wachß

Dieß wünscht sampt heitrem fest

Hans Sachs.


Jüngst allein

Irrt’ ich durch den Hayn,

Und verzükkt in guldner Liebes-Wonne

Nach der süssen Schäf’rin, deren Augen-Sonne

Flammicht    meines    Lebens    Weg    bestrahlet

Ueberall    ihr    Bild    in    Purpur-Farben    mahlet

Dacht  ich    in    des    Irrhayns    grünen  Winde-Pfaden

Mein      erhobnes      Hertze      dichtend      zu      entladen.

Aber    ach!    welch    unerhörter    Zauber    hatte    da    gewaltet

Und    die    holde    Zufluchts-Stette    also    mercklich    umgestaltet!

Wohl     noch     durfft     mein     Auge     ihr     Smaragdgrün     trinken

Und    die    Hummeln    taten    summeln,    und    die    Finken    binken,

Doch     vergangen     war     das     Prangen     schlängelichter     Hekken,

Und      geraubet,      so      belaubet,      Hüttlein      zum     Verstekken!

Und     in     einem     Stein     gegraben     mußte    ich     da    lesen,

Daß    ich    vor   zweyhundert    Jahren    hier    zuletzt gewesen.

Wie   in   Träumen   unter   Bäumen   stand   ich da verwundert:

Daß zwey Stunden, so verschwunden, waren zwey Jahrhundert.

Darum fragend rief ich klagend nach entschwundnem Glükke,

Und fast höhnend mir ertönend Echo scholl zurükke:

Zeiten    schreiten,

Zeiten     gleiten,

  Weiten     breiten

Längst sich zwischen Schäferfreuden.

Mußt es leiden,

Dich bescheiden.

Lerne meiden!

Eitelkeiten

Ird’scher Zeiten

Sollst Du denen nicht bestreiten,

So Dir längst schon Nachruhm und Parnassus neiden!


                    Georg Philipp Harsdörffer.



Tretet weise, lieben Kinder,

In bedeutsam-ernsten Hain;

Nur die Feder laßt dahinter,

Arbeit soll begraben sein.


Feiernd schaut, wie hier beweglich

Sich des Lebens Bild entrollt,

Hundertfarbig, froh-behäglich:

Nun, hier habt ihr, was ihr wollt!


Dichtend leben, lebend dichten —

Merkt dieß heitre Wechselspiel.

Grollet denn und grillt mit Nichten,

Greifet zu, und fragt nicht viel.


Art’ge Schöne, seht sie winken,

Wohl, so übt denn neue Pflicht:

Lebet, bis die Sterne blinken,

Und erlebt mir ein Gedicht.


            J. W. v. Goethe,

            Geheimderath, Kammerpräsident a.D.


Und so noch mehreres.


Paul Heyse griff den Skandal um das 1887 von Antisemiten und Nationalisten verhinderte Heine-Denkmal auf und sandte dem Blumenorden ein Doppelblatt im Quartformat, dreiseitig beschrieben, anscheinend die Spiritus-Vervielfältigung einer sehr sauberen Handschrift, wohl nicht Heyses eigener, aber von ihm eigenhändig unterzeichnet:


Heine in Düsseldorf


Dem Dichter war so wohl daheim

In Schilda’s theurem Eichenhain.

Heinrich Heine.


Der Bürgermeister und Magistrat

Zu Düsseldorf am Rheine

Die saßen zusammen und hielten Rath

Über den Heinrich Heine.


Und Einer sprach: Ehrsame Herrn,

Es ist nicht länger zu leiden

Daß wir die Sach’ in’s Blaue zerr’n

Wir müssen uns heut entscheiden.


Zeit ist’s fürwahr, daß rings im Land

Das schnöde Geschwätz verstumme

Beisammen ist, wie allbekannt

Das Geld, eine schöne Summe.


Auch ward mit hastigem Unbedacht

Ein wackrer Künstler gewonnen,

Der hat ein trefflich Modell gemacht

Für einen Loreley-Brunnen.


So weit war’s gut, ich sag es frei,

Wenn man nicht drauf bestände

Daß auch der Dichter der Loreley

Am Sockel ein Plätzchen fände.


Doch man verdirbt das ganze Spiel

Mit dieser Heine-Exstase

Und zeigt man auch nur sein Profil:

Er hat eine Judennase.


Die säh’n mit äußerstem Verdruß

Die biederen Antisemiten.

Man weiß, der foetor judaicus

Ist hier nicht wohl gelitten.


Auch äußert’ über Altar und Thron

Der Heine sich oft blasphemisch

Er war der Grazien Lieblingssohn

Doch ungezogen und hämisch.


Und alle sagen: Er hatte Talent,

doch leider keinen Charakter.

Sein Vers war häufig insolent

Sein Leben nicht intakter.


Im Eifer des Gefechtes schlug

Er hie und wieder daneben.

Mein Gott, die Zeit war auch nicht klug,

Drum möchte man’s ihm vergeben.


Würd auch ein hübscher Brunnen bescheert

Das könnt uns wohl gefallen.

Doch wir sind Deutsche und legen Werth

Auf die Gesinnung vor Allen.


Das Geld, so man gesammelt hat,

Kann andre Verwendung finden,

Man könnte dem großen Fastenrath

Ein würdiges Denkmal gründen.

[…]

Und wieder trat ein Redner auf

Und sprach: meine Herren Kollegen,

Das Ding nimmt einen üblen Verlauf,

Ich bitte zu erwägen:


Der Heine — mit Kummer sprech ich’s aus

Ist populär geworden

Weit über Deutschlands Gerenzen hinaus

In Ost, Süd, West und Norden.


In alle lebenden Sprachen ward

Sein Liederbuch übersetzet;

Ein Faktum ist’s betrüblicher Art,

Wie sehr man ihn überschätzet.


Engländer, Spanier, Dänen sogar

Franzosen und Italiener —

Kein Zweiter der deutschen Dichterschaar

Ist weltberühmt wie Jener.


Was soll’n wir sagen, wenn Einer fragt,

Gekommen aus fremdem Lande:

Wo steht ein Heine-Denkmal? Sagt!

Nirgends? O Schimpf und Schande!


Die Väter der Stadt, sie lauschten verstimmt

Und rieben sich die Nase.

Das Wort ein dritter Redner nimmt

Mit sittlicher Emphase:


Was schiert uns aller Hohn und Spott,

Mit dem uns Fremde beluden?

Wir Deutsche fürchten nichts als Gott

Doch nicht den Gott der Juden.


Schätzt man in Frankreich Heine’s Stil

So dien’ auch das zur Warnung!

Man weiß, wie schmachvoll er verfiel

Erbfeindlicher Umgarnung.


Wär’ er im Leben und Gedicht

Ein Patriot gewesen

Ihn würden mit solchem Eifer nicht

Die fremden Völker lesen.


Zur Strafe, daß er sich erfrecht,

Nichtdeutsche zu erbauen,

Soll man in Deutschland nun erst recht

Kein Heine-Denkmal schauen.


Ein allgemeines Bravo scholl,

Ein wüthendes Beifallstoben.

Der Bürgermeister sprach würdevoll:

Die Zweifel sind gehoben.


Nach diesem schlagenden Argument

Wird sich’s von selbst verstehen,

Daß über das Heine-Monument

Zur Tagesordnung wir gehen.

[…]

Mag immerhin ein Studentenhauf

Die Lieder des Juden plärren,

Was thut’s? — Ich hebe die Sitzung auf

Wünsch’ guten App’tit, ihr Herren! —


Sie nahmen die Hüte und gingen fort

Die wackeren Bürger und Gatten

Man sagt, es sei am Rathhaus dort

Vorübergehuscht ein Schatten.


In den verklärten Augen stand

Ein schmerzlicher Hohn zu lesen:

„Einst hatt’ ich ein schönes Vaterland;

‚s ist nur ein Traum gewesen.“


Daß Heyse auch ein soziales Gewissen hatte, erweist die Bestimmung in einem Festspiel von 1894: „Der Ertrag ist zu gleichen Theilen den Stadtarmen von Eschenbach und der deutschen Schillerstiftung bestimmt.“ Darin geht es um eine erfundene Begebenheit aus dem Leben Wolframs von Eschenbach, Ort der Handlung: Eschenbach in Mittelfranken, Zeit: 1205.


Wolfram hat eine schlimme Schreibblockade. Er hat von seinem Kollegen Hartmann von der Aue nach Übersendung eines Manuskripts nichts gehört, fühlt sich abgelehnt und zweifelt an seinem Talent. Er ist vom Hause des Grafen von Wertheim in ein Zimmerchen im heimischen Eschenbach gezogen. Die Tochter seiner Vermieter hat sich in ihn verliebt. Die Mutter ist nicht sehr dagegen, der Vater um so mehr. Mit großem Gefolge ziehen auf einmal Hartmann von Aue und Walther von der Vogelweide die Gasse herauf. Der letztere ist sehr angetan davon, daß ein Mädchen aus dem Volke eines seiner Lieder vortragen kann. Er und Hartmann loben nun Wolfram über den grünen Klee und dieser, mit neuem Selbstvertrauen, gibt eine Zusammenfassung seines Epenplans. Hartmann überbringt zudem eine Einladung an den Hof des Markgrafen von Thüringen. Da kommt aber der Graf von Wertheim hinzu und schenkt ihm, um ihn nicht zu verlieren, die Burg und Herrschaft Wildenberg:


Es ist kein reich Geschenk,

Doch mag’s genügen wohl zum Leben

Für einen mäß’gen Hauswirth, und ich denk’,

Auch für ein treues Weib daneben.


Nun steht der Vermählung der Liebenden nichts mehr im Wege. Und das ganze Stück steht eigentlich in Sprache und Handlungsführung nicht gar so hoch über den Irrhainspielen nichtberuflicher Autoren aus dem Blumenorden.


In verbindlichster Weise erzeigte sich Heyse diesem Orden gegenüber, indem er eigens zum Jubiläum 1894 angefertigte Verse überschickte, die am 20. Oktober vorgetragen werden sollten — und auch wurden.


„Hier, werthester Herr Doctor, meine Tischrede zum 20sten, mit der wiederholten dringenden Bitte, sie scharf darauf anzusehen, ob sie auch den rechten Ton getroffen hat und nichts enthält, was in die Feststimmung einen Mißklang bringen könnte. Sollte sich’s um eine oder die andere einzelne Wendung handeln, so bin ich gern zu einer Änderung bereit. Das Ganze ist leider etwas lang gerathen. Wenn Sie nicht dafür sind, das Gedicht als eine Art Prolog die Reihe der Toaste einleiten zu lassen, würde es kaum sonst eine passende Stelle finden, und ich bitte darum, das Blatt nur als ein Zeugniß für meinen guten Willen zu den Akten der Genossenschaft zu legen. Sollten sie es aber zum Vortrag bringen, so müßte es durchaus einfach, ohne rhetorisches Pathos gesprochen werden.

Ich habe so viel Arbeit und aufgesparte Geschäfte vorgefunden, daß ich mir nicht die Zeit nehmen konnte, die Verse in einer etwas festlicheren Gestalt Ihnen vorlegen zu können. Meine Handschrift ist nicht immer ganz deutlich. Der Vortragende wird wohl eine Schreiberhand zu Hülfe nehmen müssen, um ohne Anstoß zu lesen.

Beifolgend auch die drei Bücher, mit bestem Dank.

Mit der Bitte, mich Ihrer verehrten Gattin freundlichst zu empfehlen, grüßt Sie

Ihr sehr ergebener Paul Heyse München. 12. X. 94.“


Die Poesie, das Himmelskind,

Das immer neu auf Künste sinnt,

Den mühbeladnen Erdenkindern

Des grauen Alltags Noth zu lindern,

Und jede Lust und jedes Leid

Mit seelenvollen Klängen weiht,

Wie schleicht sie heute scheu und stumm

Im lauten Marktgewühl herum!

Die Welt ist ja des Streites voll,

Wobei die Muse schweigen soll;

Drum geht sie einsam ihrer Wege,

Hat nicht, wo sie ihr Haupt hinlege.

Nur Frauen noch und Jungfräulein

Mag immer sie willkommen sein,

Und gute junge Liebesleute

Verehren treulich sie bis heute.


Hier aber an der Pegnitz Borden

Blüht freilich fort der Blumenorden,

Der trotz der Zeiten rauhem Geist

Der edlen Dichtkunst sich befleißt.

Nicht Mägdlein sind’s und grüne Knaben,

Die Muße stets zum Tändeln haben,

Nein, Männer, manche schon ergraut,

Mit allem Lebensernst vertraut,

Und achten’s dennoch keinen Raub,

Zur Feierzeit vom Werktagsstaub

Im Musenborn sich rein zu baden,

Der Sorgenlast sich zu entladen.


So wackrer Brauch — er blieb im Schwang

Zweihundertundfünfzig Jahre lang,

Und da sich heut zum Jubelfeste

Geschaart ein Reigen werther Gäste,

Gedenkt nur wohl, wie trüb die Zeit,

Da dieser Bund ward eingeweiht.

Wie damals rings im deutschen Land

Krieg wütete mit Blut und Brand.

In solcher Tage Drang und Druck

Wohl seltsam schien der Blumenschmuck

Und zu der brennenden Dörfer Röthe

Myrtill’s und Strephon’s Hirtenflöte.

Doch wie am heißen Schlachtentag

Der Lerche Lied erfreuen mag,

Die über all dem wüsten Grauen

sich tirilierend wiegt im Blauen,

So lauschte wohl der Wüter Ohr

Auch gern zur Norisburg empor,

Von wo mit schäferlichem Klang

Des Himmelskindes Stimme drang.


Heut klingt sie wohl aus anderm Ton.

Dahin sind längst die Tage schon,

Da uns ergötzt die Melodei

Der siebenrohrigen Pansschalmei

Und in des Irrhains Schattenpfaden

Das Zirpen lyrischer Cicaden.

Den Kranz, der Dichterstirn umflicht,

Erringt man heut so billig nicht:

Es gilt, ein volles Menschenleben

Dem Dienst der Göttin zu ergeben.

Doch woll’n wir auch nicht schelten lassen,

Die sich mit Musenwerk befassen

Und fühlen nicht Beruf und Kraft

Zu zünftiger Poetenschaft.

War’s doch zu allen Zeiten auch

In unserm Volk ein guter Brauch,

Bescheiden hinterm Haus gelegen

Ein Blumengärtlein gern zu pflegen,

Drin Rosen und Jasmin gedeihn,

Und, konnten’s keine Palmen sein,

Mit Veilchen seinen Tisch zu schmücken,

Dran Herz und Augen sich erquicken.

So mag auch an der Muse Gaben

Jeglicher seinen Antheil haben,

Ragt seines eignen Lenzes Flor

Auch nicht in stolzer Pracht hervor.

Denn wie ein bunter Erntekranz

Den Wagen schmückt voll reicher Garben,

Soll nicht am Schmuck des Liedes darben

Das Lebenswerk des deutschen Manns.


Und so vererbt den Enkeln treu

Der Ahnen ehrenwerthe Sitte,

Daß auch hinfort in ihrer Mitte

Die edle Muse heimisch sei!

Dann wird ihr reiner Himmelshauch

In frohem Wandel sie beseelen,

Und unserm Blumenorden auch

Wird’s nimmerdar an Früchten fehlen.


Das letzte Wort in dieser Zitatenreihe soll mit seiner allerletzten Reimchronik Friedrich Knapp haben.


Der Reimchronik 250. Stuck Irrhain am 3. Juli 1894. (29008-29147.)

Druck von J. E. Stich in Nürnberg


Zu der Maaten treuem Häuflein sprach der „Chronik“ Capitän,

Als sie auf das Gangspill traten, um die Anker aufzudreh’n:

„Mannen, wohl der letzten Reise harret unser Klipper heut’,

Und die See, ein gutes Zeichen, scheint mit Rosen überstreut.

[…]

Dreißig Jahre wir jetzt steuern, und wir haben wohl bedacht,

Daß Beharrlichkeit in Schaffen nur den Seemann tüchtig macht.

[…]

Und als der Litterarische Verein

Ehrwürd’gem Blumenorden sich verbunden

Und seine Völker führte Knapp herein —


Die bald mit Herz und Hand sich ihm gefunden —,

Da heischten auch am trauten Ort zu nisten

Mit Klio’s Buch und Stylus die Chronisten.

[…]

Weht doch der Vorwelt Geist geheimnißreich

Ob jedem Haupte in Pegnesias Hallen!

Harsdörfer, Birken, Klaj, Limburger wallen

Fühlt man im labyrinthischen Gezweig.

[…]

Doch auch der neuen, jüngsten Zeit Fanfaren,

Fortstäubend welkes Laub, die treulich wahren

Des Ordens Wohlfahrth, schmettern fröhlich drunter.

[…]

Nun tritt sie voll und glänzend auf die Schwelle

Die vierteltausendjähr’ge Jubelfeier

Des Ordens durch des Irrhains Laubgeäste,


Wir aber rüsten freudiglich und schnelle,

Was Herz und Kopf und Hand vermag und Leier,

Mit lautem Heilruf grüßend Freund und Gäste!


Zum Schluß den Wunsch: Treu mögen Beckh und Schmidt,

Des Ordens Meister, ihres Amtes walten!

Für unser’s Bund’s gedeihliches Entfalten —

Gelobt es Alle! — thun wir freudig mit.


Die geist’ge Waffe, die so wacker stritt

Bisher, bekränzt mit Blüthen! Zu gestalten

Pegnesias Glück und Heil laßt ernstlich halten

Selbstlose Eintracht fürder Schritt um Schritt.


Nicht mit dem Jubelfest sei’s abgethan —

Noch lange soll der Blumenorden blühen

Trotz Unkenrufs trübsel’ger Pessimisten.


Ihr Freunde, jetzt ist unser Werk gethan!,

Dank Eurer Gunst bei unserm schlichten Mühen —

Ade! Gedenkt in Freundschaft der Chronisten.



Und das allerletzte Wort gebührt freilich dem Verfasser vorliegender Übersicht. Es hat sich nebst vieler hocherfreulicher Blicke in die Vergangenheit leider auch der Eindruck verdichtet, daß Hitler kein „Betriebsunfall der deutschen Geschichte“ war. Hier ist alles in Ansätzen schon vorhanden, was die dunkelsten Jahre dieser Geschichte bestimmte. Es gab jedoch in der betrachteten Periode noch eine Schamgrenze. Sie wurde gezogen von der geradezu gußeisernen christlichen Erziehung der Protagonisten. Denn anders, als oberflächliche Beurteilung vorgibt, ist es nicht die Religion selbst, welche den Unterschied zwischen den Menschenarten und -ständen hervortreibt und zu Feindschaft führt; es ist das uralte Bestialische im Menschen selbst, welches sich über manipulierbare Institutionen und Herrschaftsverhältnisse die Religionen bis zum Nichtwiedererkennen zurechtbiegt, bis sie zu Instrumenten der Unmenschlichkeit werden. Und wenn vollends alles unglaubwürdig geworden ist, was über das Gruppeninteresse und die individuelle Gier hinausführen möchte, das heißt im Beobachtungszeitraum: sobald die Leute ihren Nietzsche gelesen und (wohl auch falsch) rezipiert haben, ist jede zarte Hemmung beseitigt. Es wird eine spannende und wohl auch unangenehme Aufgabe sein, die folgenden fünfzig Jahre des Blumenordens zu studieren und darzustellen.