Tendenzen zur Vereinheitlichung


Die höfisch orientierte galante Mode


Schon Weise hatte über die gelehrten Grammatiker und das Einbläuen auf Lateinschulen und Universitäten gespottet. Aber es hatte ihm noch jenes Ressentiment gegen das Banale gefehlt, das die Galanten auszeichnete. Im Verlauf der galanten Stilepoche folgte man der Entwicklung, den die französische „preciosité“ seit 1660 genommen hatte. Das genus humile, dessen sich Weise bedient hatte, wurde wegen mangelnder Eleganz abgelehnt. „Elegant“ zu schreiben, hieß bei den Stilisten des frühen 18.Jahrhunderts, gewisse „erfreuliche“ Redefiguren zu gebrauchen, nicht zu pompös, sondern „zierlich“. Wenn Neukirch den in dieser Hinsicht übertriebenen Kanzleistil tadelt, so versäumt er andererseits nicht, auch die „gezwungene Kürze der construction“ zu mißbilligen, die vor allem bei Kaufleuten üblich sei. Zum Beispiel: „Über 14. Tage wird unser Vetter N. welcher von Venedig kommt/ costi durchreisen/ und den Herrn in unsern und seinem Namen aufwarten: So er etwas bedürfftig/ wolle unser hochgeehrter Herr ihn secundiren; Werden es also erkennen/ als ob es uns selbst geschehen wäre“. (August Bohse-Talander, Neu-erleuterter BrieffsteIler, Leipzig 1709, II. Teil, S.699.) Talander, bei dem wir diesen Musterbrief finden, läßt eine solche relative Knappheit bei Geschäftsbriefen durchaus hingehen und folgt damit Weise. Von anderen Galanten wird eine solche Schreibweise gänzlich als „grobianisch“ verpönt. Sie läßt Erdmann Neumeister (1671-1756) vermuten, „auff dem Marckte unter Krähmern, Höckern und solchem Zeuge“ statt auf dem Parnasso zu sein. „Nicht was niedrigen Leuten von niedriger Profession/ sondern was erhabenen Musen gemein/ das wird hier vor natürlich geachtet“. (Neumeister, Poetik, Vorrede Blatt D3b und Vorbericht S.50, zit. nach: Wendland, Ulrich: Die Theoretiker und Theorien der sogenannten galanten Stilepoche und die deutsche Sprache, Ein Beitrag zur Erkenntnis der Sprachreformbestrebungen vor Gottsched, Leipzig 1930, S.166 f.) Die fällige Aufwertung der Soziolekte von Gelehrten und Beamten geschieht auf Kosten der Kleinbürger. Von diesen setzt man sich ab, indem man Vorratskammern voller Komplimente, Insinuationen, Devotionsformeln, Umschreibungen und sonstiger Höflichkeitsfloskeln anlegt.

Daß die Gattung des Briefes, nach französischem Vorbild, die von Theoretikern und in der Praxis meistgepflegte der galanten Stilepoche war, macht es wahrscheinlich, daß allmählich ein Sprachgebrauch etabliert wurde, der zur Kommunikation in tausend alltäglichen, noch nicht klassifizierten Situationen taugte, und der trotzdem nicht ungeschliffen war. Die Briefsteller um 1700 brachten häufig Musterbriefe, die aus dem Französischen übersetzt waren. In Frankreich hatte das Bürgertum der Metropole mehr Gelegenheit gehabt, in Kontakt und Wettstreit mit dem Adel seine alltäglichen Umgangsformen zu kultivieren. Noch bis Gellert, der auf Boileau und Pierre Richelet zurückgreift, ist dessen Sprache Vorbild für die Theorie eines deutschen Prosastils. Allerdings wird im Lauf der Zeit immer mehr der Stil für „lettres tendres et passionées“, nicht der für „lettres galantes“ propagiert. Jener Stil wird in Frankreich mit den Wörtern „vif, & coupé, simple et naturel, mais sans bassesse“ charakterisiert. Diesen Stil nannten die Deutschen aber altmodischer- und mißverstehenderweise den galanten Stil. Im allgemeinen sind die Grundsätze der galanten Stilbewegung eigentlich nur als einander widersprechende Übergangstendenzen, nicht als ein System von Regeln zu fassen. In der Rezeption französischer Theorie kreuzten sich bei den Galanten die in Frankreich längst überholten Bestrebungen des Hôtel Rambouillet mit denen der Preziösen und Boileaus. Man war sich über den historischen Wandel in Frankreich nicht im klaren. Was in Deutschland "galant" und „Nachahmung der Franzosen“ hieß, war eben doch ins System der eigenen Bedürfnisse eingebettet. Es war vermeintlich höfisch, insofern es sich am Französischen orientierte, und wurde bürgerliche Angelegenheit in dem Maße, wie die Verhältnisse an den deutschen Höfen enttäuschten.


Predigerstil


In den Städten Sachsens scheint um 1690 der galante Stil auch auf den Kanzeln üblich geworden zu sein, und er hat sich dort lange erhalten. Noch 1720 nennt Gottlieb Richter die Prediger, deren Kanzelreden streng methodisch aufgebaut und mit Zierlichkeiten ausgestattet sind, die „Alamode oder Galanterie Prediger“. (Martin Schian. Orthodoxie und Pietismus im Kampf um die Predigt, Ein Beitrag zur Geschichte des endenden 17. und des beginnenden 18.Jahrhunderts, Gießen 1912, S. 49.)

Gegen die Äußerlichkeit dieser rhetorischen Gestaltung in ihrem Verhältnis zur christlichen Lehre wandten sich von aller Anfang die Pietisten. Der Sprachgebrauch der Pietisten ist von August Langen vor allem an ihren Erbauungsschriften untersucht worden, die bald sehr zahlreich erschienen. Weniger die Kanzelberedsamkeit in Sachsen als der religiöse Wortschatz weiter Kreise der Laien ist durch diese Art von Veröffentlichungen geprägt worden. Langen hat die pietistische „Massenliteratur“ auf das Typische, immer Wiederkehrende abgesucht und gefunden, daß man viele derartige Schriften kenne, wenn man wenige gelesen hat. Das Kennzeichnende beschreibt er als ein Zurücktreten des spekulativ-philosophischen Wortschatzes gegenüber dem des Affekts. (Langen, August: Der Wortschatz des deutschen Pietismus, Tübingen 1954, S.10 f.) Dabei seien die Gemeinsamkeiten der verschiedenen pietistischen Richtungen, Vertreter und Zeitstufen größer als die Unterschiede, jedenfalls, was den lexikalischen Bestand angeht.

Im Zusammenhang mit der Auswirkung der deutschen Philosophie auf den Predigersoziolekt ist vor allem Christian Wolffs (1679-1754) Sprachregelung zu nennen. In seiner Abhandlung „Methodus demonstrandi veritatem religionis christianae“ von 1707 erstreckte er seine Methode der terminologischen Festsetzung, des Auffindens von „Fördersätzen“ und der mathematischen Schlußweise auch auf die Predigttheorie. Dies kam der Orthodoxie als der traditionell intellektuelleren Richtung eher gelegen als dem Pietismus. Schon 1701 hatte ein Predigttheoretiker namens M. Haas die „logicam oder Vernunfft-Kunst“ empfohlen. Als dann Wolffs Methoden sich auf den Aufbau der Predigten und ihren Sprachgebrauch auszuwirken begannen, bekämpfte Sachsens Obrigkeit diese Entwicklung aufs entschiedenste. Es wurden Einwände vorgebracht gegen die Beschränkung der Lehre auf Moral, ungenügende Benützung der Heiligen Schrift und Übertreibungen des Demonstrierens von Termini. Der Hörer könne nicht auf philosophischem Wege, sondern nur durch das göttliche Zeugnis der Schrift und sein „Herz“ zum Glauben kommen. Bei diesem Gegensatz ging es anscheinend bereits um die Aufklärung.


Philosophische Sprachnormierung


Was Christian Wolff in der Fachsprache der Philosophie zuwege brachte, hatte auch für andere berufsspezifische Soziolekte Konsequenzen, nicht nur für den homiletischen. „Noch in den zwanziger Jahren des 18.Jahrhunderts erfolgte die Eroberung der wichtigsten deutschen Bildungsstätten durch den Wolffianismus. […] Der Wolffianismus hat die Entrümpelung der deutschen Gehirne vom Sperrgut der Scholastik herbeigeführt. Die Disziplinierung dreier Generationen, die durch diese Schule gegangen waren, hat als eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Gedeihen einer klassischen und nationalen Literatur zu gelten“. (Werner Krauss, Studien zur deutschen und französischen Aufklärung, in: Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft, Bd 16, (Ost-)Berlin 1963, S.373 f.) Eine derartige Breitenwirkung hätten die Wolffsche Philosophie und der damit zusammenhängende Sprachgebrauch nicht erzielt, wenn es sich um den schwerverständlichen Sprachgebrauch eines Einzelgängers gehandelt hätte. Das hat Wolff geleistet: eine kontextinvariante, deutsche Terminologie zu schaffen anstelle der lateinischen, und das Deutsche nicht nur als Erläuterungssprache einer bis dahin nur lateinisch zu systematisierenden Philosophie zu verwenden. „[…] fast jeder philosophische deutsche Terminus jener Zeit macht in den Jahren, wo Wolff seine deutschen Werke schrieb, je nachdem Wolff ihn braucht oder nicht braucht, eine Krise durch, die sehr oft über sein ferneres Bestehen oder Nichtbestehen entscheidet, […]“ (Paul Piur, Studien zur sprachlichen Würdigung Christian Wolffs, Ein Beitrag zur Geschichte der neuhochdeutschen Sprache, Halle 1903, S. 50.) Wirkungsgeschichtlich gesehen, steht seine Philosophie heute im Schatten der Werke seines älteren Zeitgenossen Leibniz. Zu Wolffs Zeit hingegen waren die deutschen Schriften von Leibniz kaum bekannt, und es ist daher in sprachhistorischer Hinsicht davon abzusehen.

Es ist in diesem Zusammenhang eine methodische Bemerkung von Norbert Elias anzuführen, die ich so beherzigenswert finde, auch zur Auswahl der zu untersuchenden Texte, daß ich sie wörtlich übernehme:

„Wenn man die Geschichte, wie es heute noch zuweilen geschieht, als eine Kette von Ideen bücherschreibender Eliten behandelt, dann ist es leicht und sicherlich auch ganz ergötzlich, ein gelehrtes Gesellschaftsspiel zu spielen, bei dem derjenige den Preis gewinnt, der in einem Buch ein Zitat findet, das nachweisbar eine bestimmte Idee früher zum Ausdruck bringt als es bisher von den anderen Spielteilnehmern auf Grund der von ihnen zitierten Bücher angenommen wurde. Das frühere Buch wird dann als der 'Anfang' der Idee aufgefaßt und dessen Verfasser als ihr eigentlicher Urheber. Wenn man als Rückgrat und Zentrum des Geschichtsverlaufes den Wandel der Figurationen im Auge behält, die interdependente Menschen miteinander bilden, dann läßt es sich besser verstehen, daß die Suche nach absoluten Anfängen, auch nach absoluten Anfängen von in Büchern niedergelegten Ideen, vergeblich ist. Es gibt in diesem Kontinuum der in Gruppen lebenden, der miteinander verbundenen Individuen keinen Punkt, an dem etwas […] als absoluter Anfang sozusagen aus dem Nichts oder, was das gleiche besagt, aus der unerklärbaren Schöpferkraft eines einzelnen Menschen hervorgeht. Was sich dagegen recht wohl beobachten und durch Belege erhärten läßt, sind relative Anfänge, nämlich erklärbare Sprünge und Diskontinuitäten innerhalb der langfristigen, der oft recht allmählichen und immer zugleich auch kontinuierlichen Wandlung der menschlichen Gruppierungen und ihrer Produkte“.


Die Gottschedische Sprachreform


Die terminologische Eindeutigkeit des Wolffschen Sprachgebrauchs begann die Stelle des bisherigen rhetorischen Ideals der claritas einzunehmen. Doch eigentlich war nicht zu erwarten, daß die bereits im heutigen Sinn wissenschaftliche Sprache Wolffs zur Sprache des täglichen Gebrauchs oder gar zu einer ästhetisch verwertbaren Sprache werde, ohne ihre Kontextinvarianz einzubüßen. Am extremsten stellte sich auf die Seite des Wolffschen Vorbilds Gottsched, der in seinem Kunstrichterstreit mit den Schweizern das Ideal der Klarheit gegen das Ideal der Ausdruckskraft vertrat. Wolff hatte fremdsprachliche Termini in großem Umfang verdeutscht, indem er an den bereits bestehenden Gebrauch deutscher Wörter anschloß und ihn lediglich normierte. Gottsched ging so weit, deutsche Wortneubildungen zu beanstanden, die nicht in etymologischer Hinsicht durchsichtig waren. In der Fremdwörterfrage war er nicht etwa ein Purist, wie manche der Mitglieder barocker Sprachgesellschaften gewesen waren. Wenn es aber um die Erweiterung der deutschen Ausdrucksmöglichkeiten ging, verlangte er der Umgangssprache eine Deutlichkeit ab, die sich von wissenschaftlicher Eindeutigkeit nicht unterscheiden läßt. Er nahm an, daß zwischen „deutlich“ und „metaphorisch“ ein Gegensatz bestehe. Dies impliziert, daß der Gebrauch des hohen Stils erschwert, wenn nicht sogar unmöglich gemacht wurde.

Mit der Zeit läßt Gottsched nichts derartiges mehr durchgehen, was nicht gleich der Überschreitung zum Hochtrabenden nach Lohensteins Manier verdächtigt würde. Christian Weises Prosa hingegen lehnt er ab, weil dieser die Grenze vom Niedrigen zum Niederträchtigen überschritten habe. Gottsched, und in der Folge Gellert in seiner Brieftheorie, orientieren den mittleren Stil an einem mündlichen Sprachgebrauch, den es nun offenbar unter deutschen Bürgern schon gab: dem der „höflichen Unterhaltung“. Man wird das wohl im Zusammenhang mit den galanten Bestrebungen sehen dürfen.

Die Umgangssprache unter Bürgern, auf die Weise sich beziehen konnte, wenn er „natürlich“ schreiben sollte, wurde von Gottsched wie schon von den Galanten abqualifiziert. Doch die schriftliche Rede sollte nun im Vergleich mit der „höflichen“ Umgangssprache lediglich etwas sorgfältiger bedacht sein, und zwar im Hinblick auf eine neuartige „Natürlichkeit“ in der Wahl der Epitheta, in „connexio realis“, sowie im Zusammenhang von Satz und Wort, Adressat und Schreiber.

Die Befrachtung der Rede mit Realia stellt Gottsched als absurd hin. Für ihn ist nicht die pragmatische Funktion des „probare“ die wichtigste, sondern die ethische des „conciliare“. Dies entspricht nach der klassizistischen Rhetorik des Boileau, auf die auch Gottsched wieder zurückgeht, dem genus medium. Gottscheds Kritik am hohen Stil ist in die Vorschrift zusammenzufassen, die „connexio realis“ solle niemals der „connexio verbalis“ geopfert werden. Es handelt sich dabei um Methoden der syntaktischen Verknüpfung von Satzteilen und auch Sätzen zu Perioden. Die connexio verbalis beruht auf traditionell festgelegten Satzbauteilen, den „transitiones“ und ihren Partikeln, deren grammatische Funktionen so wohldefiniert sind, daß man in ihrer Anwendung logische Unstimmigkeiten manchmal gar nicht bemerkt; die connexio realis sollte schon seit jeher der „natürlichen“ Ordnung der Dinge folgen. Indem Gottsched hierin seinen von Wolff übernommenen Naturbegriff betont, geht er über die Bestrebungen der Galanten hinaus. Was das Stilvorbild angeht, so wird für Gottsched die Seneca-Tradition wichtiger als die ciceronianische, und zwar bezieht er sich hier auf die französische Ausprägung, den „style coupée“. Wenn wir uns die soziale Relevanz all dieser Stilfragen nochmals vergegenwärtigen, so vermuten wir spätestens hier einen in die schriftliche Überlieferung eingegangenen bürgerlichen Soziolekt. Dessen Wortverwendungen werden uns im folgenden beschäftigen.