Das “gratis” ©️Werner Kügel 2004
Eine stürmische Blumenordens-Sitzung im Jahre 1787
Die Personen
Johann Heinrich Hartlieb, 64 Jahre, Prediger bei St. Sebald, im Blumenorden genannt Sclerophilus (wörtliche Übersetzung ins Griechische); Schriftführer ab 1774, Präses von 1786 bis 1788
Christoph Melchior Schmidbauer (Hodevon), 63 Jahre, Prediger bei St. Sebald, Schriftführer
Georg Wolfgang Panzer (Theophobus), 58 Jahre, Schaffer (geschäftsführender Kleriker) zu St. Sebald, der folgende Präses
Johann Andreas Friederich, 29 Jahre, Schwiegersohn des vorigen Präses, Advokat
Karl Link, 30 Jahre, Friederichs Studienfreund und Kollege
Johann Albert Colmar, 28 Jahre, ein weiterer Jurist, der mit den anderen zusammen in Altdorf studiert hatte; der übernächste Präses
Johann Sigmund Leinker (Monastes), 66 Jahre, Schwiegervater Colmars, Garnisonsarzt
Geschichtlicher Hintergrund (s. Werner Kügel, Geschichte und Gedichte des Pegnesischen
Blumenordens, Erstes Buch: 1699-1794, W. Thümmels Buchdruckerei und Verlag,
Nürnberg 1998, S. 211-226.)
Der Dialog (frei nachgestaltet aus den Aufzeichnungen über zwei Sitzungen und dem
Briefwechsel dazwischen)
Hartlieb: Verehrliche Herren Mitgliedere des löblichen Hirten- und Blumenordens an der Pegnitz!
Hiermit eröffne ich die Session vom 8. Februar 1787. Über Ihr Erscheinen bin ich hochvergnügt;
hingegen, lassen Sie uns des um so betrüblicheren Umstandes würdig gedenken, daß
unser geschätzter Philalethes, Herr Christian Heinrich Seidel, Diakon bei St. Sebald, seit dem
30. Januar nicht mehr unter uns Überlebenden weilt. Erheben Sie sich, ich bitte, und beklagen
Sie mit mir in stummem Angedenken diesen Verlust, den unsere Gesellschaft erlitten.
Rücken der Stühle; die Anwesenden erheben sich. Nach kurzer Pause spricht Hartlieb weiter.
Sie haben sich erhoben, ich danke Ihnen; nehmen Sie wieder Platz. — Zu danken habe ich den
Verfassern der zwei Trauergedichte, wiewohl — [mit einem Seitenblick auf Friederich] eines
darvon wider den Willen und die Erwartung der Witwe ist ausgefertigt worden. Das könnte
leicht so aufgefaßt werden, als bestünde nun für sie eine Verpflichtung zu geldlicher Erkenntlichkeit.
Friederich: Ich bitte, Herr Präses, das Carmen ist ja nicht gedruckt, sondern nur herumgegeben
worden.
Hartlieb: Tut wenig zur Sache. Im Blumenorden ist der Druck eines einzigen Leichcarmens
eingeführt, zu dem man auf Beschluß beauftragt wird. So stimmen wir, gemäß einer der drei
Ordensdevisen, “zu einem Ton ein”. Alles weitere ist zumindest überflüssig. — Doch nun zur
Verlesung des Protokolls der letzten Versammlung vom 5. 9. 1786. Herr Hodevon, ich bitte.
Schmidbauer: Nachdeme alle Blumgenossen Herrn Johann Heinrich Hartlieb, Prediger bei St.
Sebald, im Blumenorden genannt Sclerophilus, um Übernahme der Vorstandschaft in ihren
schriftlich ausgestellten votis ersucht haben, wird er mit einer Kutsche zum Orte der Versammlung
abgeholt und von den Teilnehmern willkommengeheißen. Herr Johann Sigmund
Leinker (Monastes), [verneigt sich im Sitzen in dessen Richtung] verdienter Arzt hiesiger
Garnison, bittet den Kandidaten in einer zierlichen Rede, die einstimmige Wahl anzunehmen,
was dieser in einer kurzen bündigen Rede auch tut. Nach der Wahl des Herrn Christoph
Melchior Schmidbauer (Hodevon), Prediger bei St. Sebald, zum Schriftführer nimmt man den
Kaffee im Hausgarten der Familie Schmidbauer. Von 7 bis 10 Uhr geht man wieder ins Haus.
Dort wird noch allgemein gewunschen und festgesetzt, daß man sich in Zukunft vierteljährlich
treffen solle, und zwar jeweils am Montag nach Lichtmeß, Walburgis, Lorenzi und Allerheiligen.
Auf diese Weise entfallen besondere Einladungsschreiben.
Hartlieb: Das ist wohl alles? — Wünscht jemand eine Erinnerung zu tun?
Link: Mit Verlaub, die Gründe für die Einrichtung fester Sitzungstermine und die offen gebliebenen Fragen würden der Niederschrift wohl anstehen.
Hartlieb: Das berührt Punkt drei der heutigen Tagesordnung. Gerade weil sich Unfertiges nicht
wohl im Protokoll ausnimmt, wird ausführlicher davon zu handeln sein. Lassen Sie uns zu
Punkt 2 fortschreiten. Ich erinnere an die Einsendung des Ordensnamens. Es sind von den
mehresten noch keine Namen, Motto und Blumen gewählet worden, welche doch zur
Ausfertigung des Mitgliedsdiploms erforderlich sind.
Colmar: Es ist wohl besorglich, daß diejenigen weiland Altdorfer Studenten, welche schon vor
Ihrer Amtseinführung durch Wunsch des seligen Herrn Präses Irenäus in den Blumenorden
gekommen sind, sich bis dato nicht als Mitglieder ansehen dürfen?
Hartlieb: Nicht ohne Diplom, denn wofür sonst hätten wir welche zu vergeben. Und ohne Namen
und Blume kein Diplom.
Schmidbauer: Herr Dr. Sixt und Herr Syndicus Zahn haben den Anfang gemachet, deren Namen
und Blumen ich zugleich hier bekanntgeben will, damit andere in der Wahl nicht auch darauf
verfallen. Dr. Sixt wählete: Sophron mit der Tuberose; Syndicus Zahn: Evander mit dem
Granatbaum.
Friederich: Es ist immer gut, Ordnung und Formen zu wahren. Das heißt aber auch, daß Ihre Wahl, Herr Präses, um die Stimmen derjenigen kürzer ausgefallen ist, die Sie soeben als noch nicht
vollgültige Mitglieder bezeichnet haben.
Link: Wäre es da nicht besser, wir ließen uns vom Geist des Ordens leiten, statt auf Formalismen
zu beharren, die nach beinah eineinhalb Jahrhunderten ihren Sinn eingebüßt haben? Der
Namen und Diplomatum haben wir doch gar nicht nötig.
Hartlieb: Was wollen Sie denn besseres vorschlagen, um drei Herren Bezzel, drei Herren Link,
zwei Herren Panzer, von den Seidels zu geschweigen, in Ordensversammlungen auseinanderzuhalten und ohne Weitschweifigkeit anzureden?
Schmidbauer: Keine Diplomata? Wie aufgeklärt! So kann jeder sich für ein Mitglied ausgeben,
und nur seine Zulassung im Gasthof dienet ihm zum Beweis.
Panzer: Gemach, Herr Kollege! Der Orden ist nicht so groß, als daß wir einander nicht kenneten.
Wir sind ja nicht das Stadtalmos-Amt, von dessen Wohlfahrtspflege ein Dritt-Teil der
Einwohnerschaft Nürnbergs abhängt, sodaß wir den Überblick über diejenigen verlieren
könnten, die von uns etwas zu erwarten haben. Mir ist auch nicht bewußt, daß die Erschleichung
einer Ordensmitgliedschaft irgendwelche materielle Vorteile brächte.
Betretenes Schweigen. Link und Colmar sehen einander gequält an. Friederich zuckt die Schultern.
Leinker: Nun, auswärtige Mitglieder haben wir allerdings auch. Keiner hat sie jemals gesehen,
aber es könnte doch einmal eines anreisen.
Hartlieb: Wir wären damit bei Punkt drei. Denn die Namen, Blumen und Motti sind in den
Satzungen des Ordens vorgesehen, an denen, gegenteilig zu den nach der letzten Versammlung
geäußerten Gesinnungen, nicht zu rütteln ist.
Friederich: Sie sagen recht: „nach der letzten Versammlung“. Denn wir haben während der
förmlichen Session, die immerhin der Beginn Ihrer Amtsführung war, nicht das mindeste von
der Einrichtung unserer Gesellschaft gesprochen, welches doch verschiedene Teilnehmer
erwartet hatten — die nachher ihr Befremden darüber zu erkennen gegeben haben.
Hartlieb: Unsere Gesetze leiden keine Veränderung, weil sie oberherrlich bestätiget sind. Ein
Mehreres gibt es darzu nicht zu sagen.
Leinker: Vor 35 Jahren hat Alcander dies auch als Hindernis beklagt. Er hätte wohl, als Sproß der
von Holzschuher’schen Familie, dem Scholarchat gegenüber eine stärkere Position gehabt und
schließlich einiges geändert, wenn er nicht zu früh gestorben wäre.
Link: Es ist oftmals zu beobachten, daß Abkömmlinge von Familien, die bisher nicht hervorgetreten sind, eine höhere Staatsfrömmigkeit an den Tag legen.
Hartlieb [ernsthaft beleidigt]: Da haben Sie ja noch Chancen, mit aufrührerischen Thesen
ernstgenommen zu werden.
Colmar: Wenn wir doch vorübergehend wieder zum Ernste zurückkehren wollten, so müssen wir
wohl zugeben, daß die Einrichtung des gesamten Nürnbergischen Staatswesens so nicht weiter
bestehen kann und daß vornehmlich das Wirtschaften der ratsfähigen Familien zum Gegenstand
einer kaiserlichen Untersuchungskommission zu werden verdient. Es ist unerklärlich,
wie eine Stadt, deren Ruhm und Glanz einst ganz Deutschland voranleuchtete, in derart
bedrängte Umstände geraten konnte, wenn nicht durch Fehler der sie allein regierenden
Oligarchie. So viel zu der starken Position des Patriziats.
Panzer: Lieber Herr Colmar, Sie sind wohl Advokat und dabei ein echter Patriot, aber, vergeben
Sie mir, beileibe kein Ökonom. Die Großen können nicht, wie sie wollen, weil äußere
Umstände sie immer wieder zu überhöhten Militärausgaben gezwungen haben. Jeder Krieg
bedeutet Handelssperre, und darnach wird er mithilfe von Zöllen auf andere Weise fortgeführt.
Es hilft wenig, wenn die Regierung spart und die Steuern erhöht. Die Preise steigen. Die
Handwerker sind durch Zunftbestimmungen an jeglichem selbständigen Wirtschaften
gehindert, damit nur ja keiner brotlos werde — was den Niedergang nur beschleunigt. Und die
Armen können nichts als die Hände aufhalten, wollen wohl auch nichts anderes mehr. Aber
alle fürchten sich vor nichts so sehr als vor Änderungen. Man nennt so etwas Schlendrian,
doch kann man keinem alleine den Vorwurf machen.
Schmidbauer: Zur Sache, wenn’s gefällig ist.
Friederich: Wir sind insofern bei der Sache, als Schlendrian im kleinen nur den im großen
abspiegelt. So habe ich auf meine Gutachten zur wirtschaftlichen Wiederbelebung unsres
Gemeinwesens keine Antwort, geschweige einen Dank erhalten, und befürchte, mir auch hier
keinen Dank zu verdienen, da ich nun einmal das Verlangen geäußert habe, durch wiederholte
Zusammenkünfte mehr Lebenskraft in die Gesellschaft zu bringen und auch Gelegenheit zu
verschaffen, daß wir einander näher kennen lernen.
Schmidbauer: Ihr Herr Schwiegerpapa hat auch kaum einmal im Jahr eine Ordensversammlung
einberufen. Und kann denn die Abrede über Sitzungstermine gültig sein, da sie in der [sehr
verächtlich] Tabacscompagnie, welche sich nach Beendigung der wesentlichen Geschäfte des
löblichen Ordens in [erbost] meiner Wohnstube formierte, von wenigen Mitgliedern ohne
Beisein des Präses getroffen worden ist?
Leinker: Die entsprechenden Zusätze zum Original-Protokoll haben Sie doch vorhin vorgelesen;
dann haben Sie diese doch auch geschrieben; außerdem haben Herr Präses und Sie durch
teilweises Eingehen auf die vorgesehenen Sitzungstage, weswegen wir heute überhaupt hier
sind, durch die Tat anerkannt, was beschlossen worden war.
Hartlieb: Ich fange an, das zu bereuen. Diese Versammlung gleicht allmählich einem polnischen
Reichstag.
Panzer: Ist es nicht ein wenig unbillig, die polnischen Patrioten für ihre Aufregung zu schelten,
nachdem sie, der Gewalt weichend, ein Viertel ihres Landes haben hingeben müssen? Wir
sollten auch versuchen, den Eifer junger nürnbergischer Patrioten nicht auf zu harte Proben zu
stellen. Er darf nicht erlahmen, denn wir könnten, ob im Blumenorden, ob im gemeinen
Wesen, solchen Einsatz noch nötig haben. Die Bayern, wie Sie gehört haben mögen, schicken
sich an, die Gebiete, welche sie 1505 an Nürnberg abtreten mußten, mit Gewalt einfach wieder
zu besetzen. Die Brandenburger Hohenzollern werden Erben des Ansbacher Markgrafen,
wenn er stirbt oder abdankt, wozu er Miene zu machen scheint. Dann ist Nürnberg umzingelt.
Unsere einzige Hoffnung ist der Kaiser, sonst werden wir am Ende preußisch, oder, Gott
behüte, bairisch.
Leinker: Gegen eine korrekte preußische Verwaltung hätte ich nichts einzuwenden. Besser wäre
freilich, wir lernten, selber so vorzugehen.
Hartlieb: [etwas lauter] Was ich sagen will, ist schlicht, man gibt mir von Anfang an keine
Gelegenheit, mich mit Vorschlägen zu einem Neuanfang im Blumenorden nach meinen
Vorstellungen verständlich zu machen.
Colmar: Um Vergebung, wenn Ihnen eine freimütige Aussprache so geschienen hat. Wir sind
gewiß alle sehr gespannt, Ihre Vorschläge zu vernehmen.
Hartlieb: [wieder entspannt, fast gemütlich] Nun —, von Asterio, Melintes und anderen ist dieser
Tage kaum etwas zu sehen und zu hören. Ich habe mir gedacht, wie wir es wohl zuwege
brächten, die älteren Mitglieder wieder in die Versammlungen zu holen.
Friederich: Hatten Sie nicht etwas über einen Neuanfang sagen wollen?
Hartlieb [übergeht unter deutlicher Abwendung von Friederich, aber etwas gereizt, den Einwand]
Die Jubelfeier zum einhundertfünfzigsten Jahr des Bestehens unseres Ordens steht in sechs
Jahren bevor. Man muß doch das Gedächtnis an die vorigen Zeiten rechtzeitig aus dem Munde
oder der Feder derjenigen in Erfahrung bringen, welche dieselben noch erlebt haben, um den
würdigen Anschluß an itzige Zeiten zu finden.
Leinker: Nur, daß jene Mitglieder auch früher nie zu sehen waren, soweit ich mich erinnere. Und
ich erinnere mich sehr gut, daß wir zwischen 1765 und 1774 gar nicht wußten, ob wir einen
gewählten Präses hätten, obwohl Herr Eusebius anstelle eines solchen gelegentlich fungierete.
Dies waren keine rühmlichen Jahre.
Hartlieb: Ich müßte davon am meisten wissen, denn ich habe dem Orden 24 Jahre als Schriftführer
gedient.
Leinker: Das ist richtig, aber in dieses Amt eingeführt wurden Sie erst 1774. Und Ihre bekannt
schöne Handschrift hatte wenig Überliefernswertes aufzuzeichnen.
Friederich: Eine Gesellschaft lebt durch die Aktivität ihrer Glieder. Daher kommt es diesen auch
zu, Gesetze zu machen, sowie, auf deren Durchführung zu achten.
Schmidbauer: Das ist die amerikanische Unabhängigkeitserklärung im kleinen! Aber zwischen
dem Scholarchat und uns liegt kein Ozean, nicht einmal die Pegnitz!
Hartlieb: Ich möchte eine einzige gelehrte Gesellschaft in ganz Deutschland wissen, die dergleichen paradoxen Satz statuiere.
Link: Herr Präses verwechseln die Verfahrensfragen des Vereins mit der Wahrheitsfindung. Über
die Wahrheit kann man nicht abstimmen, aber eine Gelehrtengruppe ist republikanisch zu
organisieren, ohne daß die Wissenschaft leidet.
Friederich: Paradox erscheint mir vielmehr, sich das Ersitzen einer langen Dienstzeit bereits zur
Ehre anzurechnen.
Hartlieb: [explodiert] Die Gesinnung der Herren Leinker und Friederich gegen den Orden erinnern mich an die Art des Patriotismus in Holland!
Friederich: Wenn Sie damit sagen wollen, daß uns das Wohlergehen der Gesellschaft und der
Mehrzahl ihrer Glieder wichtiger sei als Formalia und zeremonielle Würde, sollten wir
allerdings geschmeichelt sein.
Colmar: [um abzulenken, weil er keinen Streit liebt; ein echter Melancholiker] Es gibt auch unter
den ratsfähigen Patriziern manche, die sich durchaus vorstellen können, die Befugnisse des
Größeren Rates auszuweiten, um für lebenswichtige Beschlüsse in itzigen betrübten Zeiten
möglichst viel Übereinstimmung im Volke zu erzielen.
Link: Herr Hodevon könnte davon Mitteilung machen, daß Diacon Spies, Pfarrer Link aus
Beringersdorf und Herr Seyfried aus dem Orden ausgetreten sind; mehrere andere, aus deren
Munde ich es habe, daß ihnen das bisherige unfriedfertig- und despotische Verfahren äußerst
unangenehm habe fallen müssen, haben solche Absicht allbereits zu erkennen gegeben.
Schmidbauer: Austritte — Eintritte; [zu Hartlieb] müssen wir nicht endlich einmal auf das
Einstandsgeld zu sprechen kommen?
Hartlieb: [grimmig; hat Oberwasser] Eben. Ad 4. Es besteht ein Verhältnis zwischen Einstandgeld
und Trauercarmen, so wie es auch in den gedruckten Gesetzen bemerket ist, da die Ermangelung
des einen auch die Ermangelung des anderen nach sich zieht, denn wenn die Cassa nichts
bekommt, wie soll sie was hergeben? Wir haben kaum noch so viel, um beim Ableben eines
weiteren Mitgliedes ein Gedicht — mit Kupferstich! — drucken zu lassen. Doch unsere
neueren Mitglieder oder noch nicht ganz ausgewiesenen Mitglieder sind ihre 9 Taler bisher
schuldig geblieben.
[Tumult. Mehrere setzen zum Sprechen an und melden sich mit Armbewegungen zu Wort. Hartlieb deutet auf Panzer, um einen mäßigenden Einfluß zu ermöglichen.]
Panzer: Sie können doch wohl, um von unserem Notstand besser zu überzeugen, den Nachweis
führen, welche Gelder seit 1774 durch Ihre Hände gegangen sind? Oder hat Herr Hodevon
nicht nunmehr die Unterlagen?
Schmidbauer: Das alles läßt sich gut rekonstruieren. Wir wissen die Zahl der Drucke, und die
Druckkosten sind sich gleich geblieben. Auch ist in den Protokollis verzeichnet, was jeweils
am Irrhain ist reparieret worden.
Hartlieb: Als Herr Irenander Anno 1778 mit einer namhaften Aufwendung aus seiner eigenen
Tasche die verfallenen Irrgänge wiederherstellen ließ, habe ich ihm von den Rücklagen des
Ordens alles Verfügbare dazugegeben, um die Arbeit zum Abschluß zu bringen.
Leinker: Und haben sich gewiß eine Quittung ausstellen lassen?
Hartlieb: Wo denken Sie hin — unter Ordensgenossen!
Leinker: Auf dieser Grundlage wollen Sie es itzt mit den Eintrittsgebühren so genau halten,
obgleich Ihnen doch bekannt ist, daß ein Gratis vor Ihrer Wahl zum Präses war gewähret
worden?
Link: Es nahm seinen Ursprung daher, weil Personen gesuchet worden, die zum Arbeiten, nicht
zu bloßem Beitreten sich gebrauchen lassen, drum sollte ihnen der Zutritt gratis offen stehen.
Schmidbauer: Um die wahre Beschaffenheit der Sache auszumitteln — ich habe hier noch eine
Niederschrift davon: Hier —: „…um deßwillen eine Ausnahme zu machen, und selbige mit
dessen Anforderung zu verschonen seien, als a) die Anzahl der Ordens-Mitglieder sehr
zusammen gegangen und vorzüglich brauchbare Personen, und gute Dichter gesuchet, auch b)
solchen die Aufnahme ohnentgeltlich zugesichert, und füglich c) die Absicht erreichet worden,
dem Wahltag des neuen Präsidis desto größere Feierlichkeit und Ansehen zu verleihen.”
Hartlieb: Zur Debatte stehen nicht die Gebühren der vor meinem Wahltag Aufgenommenen,
sondern derjenigen, die an jenem oder seither dem Orden beigetreten sind. Sie haben das
Gratis ohne Berechtigung durch einen Beschluß auf sich beziehen zu können geglaubt und
sind das Einstandsgeld einfach schuldig geblieben.
Friederich: Sinn und Zweck einer Mitgliedschaft in diesem löblichen Orden sehen demgemäß also
aus: Ein Mensch geht zur Schule, zur Universität, lernt den Präses kennen, der ihn aufnimmt,
zahlt ein paar Gulden, schreibt anderen ein paar Trauergedichte und stirbt, um andern um
seine Gulden Gelegenheit zum Druck eines Leichengedichts zu geben. Viel mehr Poesie oder
Wissenschaft findet ja dermals nicht statt.
Colmar: Von höherer Warte aus, nämlich der eines Liebhabers der Literatur und Sprache, kann
einem bloß noch lächerlich vorkommen, was hier verhandelt wird.
Schmidbauer: Ich habe noch 3 Florins und einige Kreuzer in der Kasse; davon soll ich drei
Rechnungen von 85, 32 und 26 fl. bezahlen. Nun bin ich aber keineswegs zu unverzinsten
Vorschüssen verpflichtet. Die Erneuerer der Gesellschaft reden zwar von der Unwichtigkeit
von Geldbeiträgen, aber nicht vom Schuldigbleiben. 50 Gulden habe ich noch zu bekommen.
Leinker: Soweit ich den Einträgen auf Ihrem entsprechenden Rundschreiben entnommen habe,
Herr Hodevon, haben sogar zwei ältere Mitglieder nur mit einem Kompliment erwidert.
Schmidbauer: Nun freilich. Die Handwerksleute aber lassen sich von mir mit einem bloßen
Kompliment nicht abspeisen. Es herrscht die schönste Einmütigkeit, wenn es um Staatsangelegenheiten, ja um Weltpolitik geht, nur ist leider die seinerzeit vorgeschlagene Sammlung für den Leichenfall auch [satirisch] einmütig unterblieben.
Friederich: [sieht auf Panzer und Leinker, um sich deren Zustimmung zu versichern] Die
Darstellung dieser Mißhelligkeiten enthält nun die auffallendsten Beleidigungen, Injurien aller
Art — und mitunter auch Grobheiten der ersten Größe, die auf keine Weise von irgend einem
ehrliebenden Mann gelassen angenommen werden können.
[Link und Colmar klopfen Beifall.]
Hartlieb: Wie recht Sie doch haben!
[Er stößt den Stuhl zurück, erhebt sich ruckartig und stürmt hinaus. Schmidbauer, dann Leinker ihm nach.]
Link: 9 Taler! Du weißt es, Andreas, ich habe nichts als Schulden.
Friederich: Und dabei gibst du den Armen deinen rechtlichen Beistand umsonst.
[Pause. Von draußen erregtes, aber unverständliches Stimmengewirr.]
Colmar: Es wird besser, das sage ich euch. Schaut nach Frankreich!
Panzer: Vorsicht! Von dort kommt in der Regel Krieg, egal, unter welchem Vorzeichen!
[Leinker kommt zurück. Wendet sich an Panzer.]
Leinker: Es will mir scheinen, als hätte ich mich beim Vorschlag, wer neuer Präses werden solle,
so ziemlich getäuscht. Theophobus, Euch hätte ich vorschlagen sollen. Vergebt mir.
Panzer: Was nicht war, kann noch werden. Unsrem Herrn Friederich fällt dazu noch eine kleine
Kabale ein, nicht wahr?
[Friederich nickt. Von draußen Türenknallen. Schmidbauer kehrt langsam zurück. Bleibt erst stehen.]
Panzer: Wir sind übereingekommen, soviel Geld als zur Druckung des nächsten Carminis nötig ist,
zum voraus zusammzulegen. Ich mache den Anfang und werde nach der Sitzung selber mit
dem Hute herumgehen, wobei jeder nach seinen Kräften etwas erlegen möge. Nicht wahr,
Herr Link?
Link: Ja, von Herzen gern.
[Schmidbauer setzt sich, irgendwie erleichtert.]
Schmidbauer: Ad 5. Es wurde in Vorstellung gebracht, die Totenschilde im Irrhain lieber deutsch
als lateinisch geschrieben zu lassen, weil wir ja eine deutsche Gesellschaft ausmachen; wer
sich mit dieser Meinung vereinigen wolle, möge dies durch Handaufheben bezeugen.
[Alle heben die Hand. Schmidbauer macht eine Notiz.]
Schmidbauer: Verbindlichen Dank. Damit ist die eigentliche Tagesordnung abgearbeitet. Was
bleibt, ist die von Monastes dankenswerter Weise für den Abschluß entbotene Verlesung einer
Poesie auf die vorjährige Durchreise Seiner Majestät Kaiser Josephs II. und seinen Aufenthalt
an dem Ort, wo wir zusammengekommen sind. [Schreibt über sein Protokoll:] Im Gasthof
zum Roten Hahnen.
[Leinker erhebt sich, zieht ein Papier hervor, die anderen wenden sich ihm zu, bis auf Schmidbauer,
der sich mit seinem Stuhl zum Publikum hindreht. Er kommentiert die Verlesung, die, bis auf einzelne Strophen, stumm gespielt wird, in einem vernehmlich gesprochenen inneren Monolog.]
Leinker: …
Schmidbauer: Vierzig Jahre habe ich dem Blumenorden die Treue bewährt. Und solches muß ich
nun erleben.
Leinker: Der Böhmens Knechten Freiheit schenkt,
Der tolerant und billig denkt,
Gibt sich uns gnädig hier zu kennen.
[Beifall …]
Schmidbauer: Tolerant will heißen: Ein aufgeklärter Despot richtet die Gewalt nun auf andere als
die bisherigen. Säuische Freiheit des Pöbels!
Leinker: Wie unter Ihm der Handlungspreis,
Der Wissenschaften Kunst und Fleiß
Zur aufgeklärten Zeit sich kehrte?
[Beifall. …]
Schmidbauer: Gewerbefreiheit haben wir schon: Jeder Stümpler aus Schweinau oder Fürth kann
unsern Meistern ungestraft Konkurrenz machen. Aufgeklärte Wissenschaft: Wenn es einem
einfiele, wie man Menschen künstlich machen kann, er würde nicht einmal gehängt.
Leinker: Das Bischofsrecht kommt schon empor,
Doch mancher Psalter schweigt im Chor,
Nachdem das Kloster aufgehoben.
Der Wahn und Aberglaube fliehn,
Ein kluger Pius kommt nach Wien,
Sieht Anstalt und Erziehungsproben.
[Beifall …]
Schmidbauer: Die Papisten haben’s nicht besser verdient. Aber es geht gegen die Religion
überhaupt. Und den Blumenorden übernehmen die Juristen. Es wird wohl Zeit für Sclerophilus
und mich, abzutreten.
Die übrigen: [Schmidbauer nicht beachtend, zu Leinker] Hurra! Hurra! Hurra! [Blackout]