Der Liegende Flohhändler ©️Werner Kügel 2024


Eine Inszenierung in Budapest, die es wirklich gebracht hat, nämlich ans Licht


Dumpf scheppernde und krachende Ouverture. Erstes Bild: Ein Chor, dem man deutlicher als anderswo ansieht, daß er sein Agieren blödsinnig findet, tut so, als ziehe er an Tauen eines Schiffes. Dazu singen sie was Ungarisches. Daland singt seine Anweisungen deutsch. Der hat die Rolle ja auch länger studiert, und zwar nach dem alten Notenbuch, also lief das mit. Dafür singt, besser: bellt, der

Steuermann den Südwind wieder auf ungarisch an. Das macht die Arien, die man kennt, und die Massenszenen schön populär. Aber die ganz ernsten Sachen müssen natürlich deutsch sein, weil das Ausländische das Ansehen der Rolle und des Blödsinns, der da verzapft wird, bei den Ungarn gewiß hebt. So muß es 1670 in Hamburg am Gänsemarkt gewirkt haben, wenn italienisch, deutsch, plattdeutsch und sonstwie durcheinandergesungen wurde.


Mit etwas Wackeln und ein paar Kommandorufen der Bühnenarbeiter wird von hinten die Kulisse eines Schiffsbugs heraufgestemmt. Er schaut ein bißchen schrottig aus, trägt aber sonst nicht die geringsten historisch einordnenden Merkmale. Das letztere ist der beste Einfall des ansonsten sehr billigen Bühnenbildes. Weniger elegant, wenn auch sprechend, ist die abrupt von Farbe zu Farbe wechselnde Lichtregie. Man spielt mit der Technik.


Von der Handlung wird deutlich, daß der Holländer ein zu Erlösender ist, und, falls das nicht geht, notfalls auch die ganze Welt in Scherben fallen ließe, nur damit er seine Ruh hat. Daland, der miese Knilch von einem Kleinbürger, ist sofort bereit, dem Monster die eigene Tochter anzudrehen, als er bloß mal Geld gewittert hat (in Form eines batteriegespeisten roten Lämpchens, das ein Rubinring sein soll). Übrigens versteht der Holländer einen Dreck von der Metaphysik und Theologie, wenn er sich einbildet, in Nichts vergehen zu können, wenn die Toten auferstehen. Aber irgendein Wagner- Apologet oder Anthroposoph wird das schon recht tiefsinnig zurechtdeuteln.


Pause. Ach, das schöne goldmarmorne Opernhaus. Wovon soll man sich hier eigentlich erlösen lassen?


Zweites Bild: Die norwegischen Fischermadln in der Rockenstuben freuen sich darauf, daß ihre Johnnies bald heimkommen. Dann geht’s rund in den Kämmerchen! Bloß die frigide Kuh, die Senta, hockt trübsinnig herum, arbeitet nix, bloß damit man sieht, sie ist was Besonderes als Kapitänstochter, und versaut den guten Dingern mit ihrem melancholischen, spökenkiekerischen Balladengeheule die

ganze Vorfreude — auf etwas, was so doll wahrscheinlich eh nicht wird. Das weiß sie ja, das Luder, daß es bei ihr jedenfalls auf normale Weise nie so doll werden kann, darum braucht sie einen Partner mit dämonischem Stich, damit sie sich wenigstens ins Caritative hineinsteigern kann. Alle Welt weiß es: Sie liebt den großen Fremden. Bloß ihr dämlicher Vater weiß es nicht. Wagner hat sie mittels Bild und Traumgesicht von aller Anfang an lebensuntüchtig-schicksalsverfallen gemacht: später kommt heraus, daß der Holländer eigentlich bloß verflucht ist, diese Frau oder keine zu finden, weil er auch von ihr dauernd träumt (sind Engel wirklich die besseren Weiber, respektive umgekehrt?), und selbst der tumbe Erik, hier sehr passend mit einer weinerlich tremolierenden Tenorstimme besetzt, hat alles schon geträumt. Tja, dann kann man halt nix machen. Erik zerrt sie schon recht grob am Handgelenk und macht Miene, ihr durch eine gehörige Tracht Prügel zu zeigen, daß er ein moralisches Anrecht auf sie hat und das Herzbrechen nicht so schätzt. Da hat der magyarische Sänger sich wohl, bar jeder vernünftigen Anweisung von der Regie, einfach zu gestischem Überschwang von der Art des Lärms hinreißen lassen, den er im Verein mit dem Orchester hervorzubringen hat. Und die spinnerte Senta

fängt ihm gegenüber sogar noch zu heucheln an. Aber Niedertracht bei Partnerwahl und -verschmähung war ja durchaus des großen Künstlers Sache, der hier sein Bewußtsein zur Schau stellte, daß man aus zwielichtigem Sozialprestige am besten mithilfe überkandidelter Weiber herauskommt: Nehmt mich, und ihr bekommt eine höhere als die euch normalerweise mögliche Befriedigung; aber ihr müßt alle Brücken abbrechen, alle bürgerlichen Sicherheiten hinter euch lassen, euch aufopfern für mich — die Sünde, einen Künstler zu lieben, der euch nichts geben kann als sein bedingungsloses Ausgeliefertsein an die Erlösung, die nur ihr ihm spenden könnt; der Skandal: es ist eure Pflicht, ewig unbegriffen von jedem Spießer. Schaut sie euch doch an, eure vernünftigen Ehemänner oder Verlobten — so an eurer Eigenliebe gekitzelt wie von mir werdet ihr von denen nie (weil ihr denen gegenüber als Weiber Versager seid) — mich dürft ihr als Über-Muttis hätscheln und euch dabei gegenüber anderen Weibern unendlich erhaben vorkommen! Der Holländer braucht nichts zu tun als düster zu gucken, die Senta frißt ihn stundenlang mit den Augen, und der saublöde Vater meint noch, er muß den händereibenden Kuppler spielen. Das ist nicht nur buffonesk gespielt worden, das ist hineinkomponiert, und zwar so penetrant (overstating of the obvious), daß die Länge der Szene schon schmerzt. Aber vielleicht war das der ästhetische Kniff. Daland ist dann auf alle Fälle moralisch erledigt, und das, nachdem ihn die Musik schon im letzten Bild zum Buffo gemacht hat. Ein wenig übergangslos, Meister Wagner! Da haben wir begonnen wie Weber, waren dann bei Donizetti und steuern nun schön laut ins Schicksalhafte. Die Akkordverbindungen und die liedhafte Motivik kann man ja allenfalls lassen.


Pause. Juliane glaubt’s immer noch nicht, daß das ganze ein Quatsch für wilhelminische Höhere Töchter ist.


Drittes Bild: Primitive Hafenmole. Vom Holländerschiff das ebenso archetypische wie stahlschrotthaft verkommene Heck. Richtig unheimlich, wenn’s rot beleuchtet wird. Den Gefallen tun sie einem hier immer wieder einmal, wenn auch oft nicht. Warum, ist unklar. Der Besoffenenchor bellt das Lied auf ungarisch und schwankt schön rum vor der abermaligen Einschiffung. Landurlaub kurz, aber dufte. Mädels dürfen später noch Freßpakete bringen. Der einzig wahre, Wagner aus realistischer Distanz sehende Zug der Inszenierung. Hätte man, wenn das andere Blech nicht demontiert wird, eher auch noch unterlassen sollen. Und warum Wagner demontieren? Der Blödsinn richtet sich selbst. Spielt halt Mozart, wenn ihr darauf nicht vertraut, daß es die Leute von selber merken, wie verwerflich es ist vom

moralischen Standpunkt, wer da wie auf wessen Kosten erlöst wird. Zwar beeilt sich der Holländer, der Senta zu signalisieren, er habe schon jede Menge braver, aber halt nicht engelreiner Mädchen als Prüfstein um ihr Seelenheil gebracht, wolle sie aber retten, denn so richtig, mit Pfarrer und so, verheiratet sind sie ja noch nicht. Hier ist es wieder die künstlich abergläubische Theater-Theologie der Spätromantiker. Dahinter hört man das kleine Männchen Wagner wimmern, ihn möge ja auf die Dauer doch keine, die es mit seinem Besitzerinstinkt gut meine. Für die Senta ist das dauernde „Bis zum Tod“ eine Aufforderung zu höchster hysterischer Exstase, und in solcher hupft sie ins Wasser. Es ist net schad. Die Leute müßten eigentlich auch merken, wie verschroben das ganze auch in ästhetischer Hinsicht ist, wenn der Holländer sich am Schluß nochmal hinstellt und überflüssigerweise unter Paukenschlag und Trara verkündet, daß er der Holländer ist, und zwar der fliegende. Aber Epiphanien sind so schön theatralisch. Dafür war schon Schiller anfällig. Jaa nix denken lassen, was gekündet werden kann. Vordergründige Motivation: Wenn er’s gleich gesagt hätte, wären alle schreiend und sich bekreuzigend weggelaufen, und wie bekommen wir dann drei Akte voll? Aber der

fremde, düstere Seemann konnte doch nur ER sein, sonst hätte Senta ja gleich gemauert. Der geht es nur ums Höchste, weil sie die Höchste sein will unter den Weibern. Es sollten noch viel mehr Leute ihre Hündinnen Senta nennen (silly bitch).


Jedenfalls säuft der alte Kahn endlich ab, indem das Heck gekippt wird. Man hat den Eindruck, das hinten noch vertäute Schiff läuft einfach voll. Nicht schlecht, aber wie ärgerlich wird es sein, den Kasten mit all den Leichen drin wieder aus dem Hafenbecken zu klauben. Aber jetzt passiert’s, Leute (der Regisseur läßt aber auch wirklich keine Peinlichkeit aus): Die hydraulisch betätigte Bühnenluke schiebt ein junges Pärchen in Nachthemdchen nach oben, von denen der bartlose Jüngling zum

Zeichen, daß er die Seele des Holländers sein soll, noch ein Stück des schwarzen Wamses abstreift. Dann darf der Vorhang runter. Selten habe ich mir so lange hintereinander so einen Schwachsinn angesehen, ohne ausfällig zu werden oder einfach zu gehen. Aber Juliane fand die Tonarten so passend zum geistigen Gehalt: E-Dur-Exstase, h-Moll-Entsagung, etc., am Schluß Auferstehungs-D-Dur.


Einigen wir uns auf eines: Wagner muß was gekonnt haben, aber er war rettungslos überspannt. Je älter er wurde, desto mehr verdeckte er die kümmerlichen psychologischen Ursprünge seines Erlösungswahns mit geistigen Klügeleien. Aber das tut der Sache keinen Abbruch, daß er wirklich recht gut mit Hitler zusammenpaßt. Das Ehrgeizigste und zugleich Mieseste am deutschen Wesen:

schon als konzertante Musikaufführung ertrüg ich’s nicht. Und davon hab ich mich nun diesen Abend lang um echte Liebe bringen lassen. Der Wagner-Vampir stiehlt uns die Aufmerksamkeit unserer Frauen noch übers Grab hinaus, und die einzige Abhilfe ist, unbarmherzig besser informiert zu sein und selber den Hohepriester zu spielen. Common Sense ist nur etwas für Praktiker, und welche nichtberufstätige

Frau war schon jemals praktisch, ohne sich um das Bessere, was es auch sein möge,

betrogen zu fühlen?