Duineser Ekeleien, oder:


Wie das Schöne des Schrecklichen Anfang werden kann ©️Werner Kügel 2024


Liebe Redaktion [des „BLATTWERK“],


Vorher hatte ich doch geflissentlich die Duineser Elegien gelesen. Sowas muß man gar nicht erst zu verstehen versuchen; es klingt und tönt und raunt so rein — ich meine: herein. Denn unrein, oh Adept, sind der Töne so manche, sei es durch Verösterreicherung der Sprache, sei‘s um der spätromantischen Trübung Willen. Hätte dazu Juliane zwei Zimmer weiter eine der Reger-Sonaten gespielt, die ich

bewundere, doch in der Stille meines mozartischen Herzgehäuses verabscheue, wie nahe an steiler Vollendung, oh Ihr Engel, wäre das in ästhetischer Untersicht angestiegen. Eingedenk Poe‘s, habe ich vor dem Spiegel geübt, wie eines der Photos des böhmisch-verdrossenen Dichters auszusehen, um den Bezug zu erlernen statt des profanen Besitzes von Verständnis; jedoch, mein angenommenes Rilke-Ich fühlte sich nur elend müde und vertrottelt an. Das freilich, weil es mir an Substanz gebricht. Wär ich des Wesens teilhaftig, ich schwebte in dampfig-gedämpfter Melancholie dahin, statt des heischend nach vorne gerichteten Blicks und der allzeit gezückten Kamera den augapfelrenkenden Blick auf den Weltinnenraum richtend. Und seht, o Ihr Liebenden, ihr Mädchen, die ihr schon 1911 den Macho verhieltet, ihr Jünglinge, die ihr spätestens mit 70 wißt, daß man sich auch mal zurücknehmen kann — seht wie die Tiere gradan leben und gucken, als wüßten sie nicht um den Tod, über den Ihr dauernd schreiben müßt, weil Ihr zu intelligent seid zum Leben.


So eingestimmt, betraten wir am Ausgang des Campingplatzes von Sistiana den Sentiero Rilke, ich mit Kniemanschette, aber in Sandalen. Für die Bergstiefel war es einfach zu heiß. Der Weg führt am oberen Rand von Meeresklippen entlang, wie der auf Rügen, doch spiegelverkehrt, und das Gestein ist spitziger und härter. Einmal stolperte ich, fing mich mit dem Ellbogen ab, an dem nun ein Pflaster prangt. Erstes Beispiel von des Schrecklichen Anfang in all der sommerlich-mediterranen Schöne.

Der Weg ist gerade mal zwei Kilometer lang. Also machte es uns nichts aus, ihn ohne Mittagessen zurückzugehen, als nach Schloßbesichtigung das Lokal im kleinen Hafen von Duino, wo man von der Terrasse fast die Füße ins Wasser hängen kann, seine Küche geschlossen bis zum Abend erklärte. Gab‘s halt mit kaltem Mineralwasser verdünnten Rotwein beziehungsweise Orangensaft. Und nach all den schönen Eindrücken von Schloßkultur und Macchia hoch über der dunstigen Adria gibt es nachher im Campingrestaurant eine schreckliche Collazione grande.


Genug, o im vorweggenommenen Beguß schon selbstüberstiegener Magen, hast du dich als Spießer aufgespießt. Ich will rühmen, denn Rühmens bedarf‘s, wie der zu den meisten praktischen Dingen hochunfähige Rilke, der unfreiwillig als Transgenderpuppe seiner knallneurotischen Mutter im Kern verwüstete Glupschaugenverdreher über diesen Weg gestolpert sein mag, wenn die Fürstin (darunter tat er‘s nicht gern) von Thurn und Taxis neben ihm, ihrer Person und dem Butler Carlo noch weitere Gäste in dem geräumigen Schloß unterbrachte. Dann wurde es ihm zu umtriebig. (Der sollte mal heute einen Parkplatz suchen da hinten.)


Unheimlich schön müssen nach dem Abzug des Dichters die Marinebunker unter dem Schloß und die Kanonenstellungen an der Küste den Militärblick bedunken haben, aber die schöne, alles andere als verinnerlichte feindliche Artillerie verschmähte, alles andere als gelassen, keineswegs, sie zu zerstören. Und so sehen wir heute einen Wiederaufbau, der immerhin noch neben den üblichen hochherrschaftlichen, vom Bürgertum haufenweise nachgemachten Ausstattungsstücken auch eine sehenswerte Sammlung abseitig geformter und bespannter Gamben beherbergt.


Angesichts der auf der Mole im sengenden Sonnenlichte vergehenden Urlaubsnackerten erlauschte ich einen Scherz von Julianen: ob es die heute abend gut durchgebraten auf der Speisekarte gebe. Hier, o Holger, wäre mal wieder eine Anregung für Dein Spezialverfahren von des Schrecklichen Auflösung im Ästhetisch- Befriedigenden: „Uarrgh-ach so — na dann“. Und den anderen Zeitschriftmachern sei

die Frage vorgelegt, ob sie einen Rilke-Text wie die Duineser Elegien aufnähmen, wenn der Dichter nicht schon so berühmt wäre. Unsere Pegnesen haben um 1910 jedenfalls an einem Abend, an dem sie einander Rilke-Texte vorgelesen haben, vor Lachen gebrüllt und waren sich einig, wie unfreiwillig komisch der junge Mann schreibe (im Unterschied zu, etwa, Paul Heyse). Es gibt freilich andere Rilke- Texte, in denen er sich übersteigt.


Herzliche Grüße

Werner