Die Komödie schält sich heraus


Es gibt Gattungen, die mehrere andere in sich schließen. Als solche Hauptgattungen sehen wir heute Epik, Lyrik und Dramatik an. Im 17.Jahrhundert herrschte demgegenüber noch die Aristotelische Unterscheidung vor zwischen einer Hauptgattung der Dichtung, in der der Dichter allein das Wort zu führen scheint, und einer zweiten, wo vom Dichter eingeführte Figuren sich in der Rede abwechseln. Die Zugehörigkeit des Epos erschien hier als gemischte. So etwa bei Johann Peter Titz, 1642, im 17.Kapitel, aber auch bei Schottel und Buchner. Erst die Nürnberger, Harsdörffer voran, unterschieden drei Hauptgattungen und handelten im Unterschied zur Opitz-Tradition wieder genauer vom Drama. (vgl. Karl Borinski, Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der litterarischen Kritik in Deutschland, S.194.)

Keine dieser Gattungen und Hauptgattungen kann beanspruchen, mehr als einen besonderen Aspekt von der Totalität der Welt zu bieten. Nur auf dem Wege der Fiktion vermag ein Text, der durch Gattungskriterien beschränkt wird, seinen Teilaspekt als absolut gültig zu behaupten. (Dies ist eine Reminiszenz an Kurt Wölfels Vorlesung über die Entwicklung des bürgerlichen Romans, die er im Sommersemester 1972 in Erlangen hielt. Er bezog sich auf Hegels Ästhetik, Dritter Teil. Vgl. in der Reclamausgabe von Rüdiger Bubner, Stuttgart 1971, S.29 ff. und S.158.) Es wird also eine oder mehrere Gattungen geben, die zur ästhetischen Verwertung des Besitzdenkens besonders geeignet waren.

Im Einverständnis mit der Tradition könnten Verhältnisse und Soziolekte des Bürgertums nur in materialem Repertoire und gattungsgebundener ästhetischer Ordnung von Komödie, Satire, Elegie, „silvae“ und „Lyrica“ vorkommen. („silvae“ sind bei Opitz die Gelegenheitscarmina zu Hochzeiten, Taufen, Neujahr und dergleichen. „Lyrica“ haben keine weitere inhaltliche Bestimmung, sollen aber sangbar sein und erfordern mehr rhetorischen ornatus. Vgl. Poetik des Barock, S.25.) Aufgrund Dialogform, die den kritischen Vergleich von Rede und Redesituation in hohem Maße erlaubt, wähle ich zu genauerer Betrachtung die Gattung der Komödie.

Um feststellen zu können, was einer Komödie der von uns mit besonderer Aufmerksamkeit betrachteten Zeitspanne ihre gesellschaftliche, und zwar bürgerliche Funktion verleihe, ist es nötig, die traditionellen auf ein Bürgertum bezogenen Eigenschaften von den neu hinzugekommenen abzuheben.


Theorie der Komödie vor Gottsched


Als Wirkung des ästhetischen Zustands einer Komödie wird oft eine mehrfache angegeben; mit der Zeit hat sich jedoch die Zwecksetzung verschoben. In der Hauptsache gleich geblieben ist im 17.Jahrhundert das Bestreben, durch Aufnahme bestimmter Handlungsschemata ins materiale Repertoire komische Wirkungen beim Rezipienten zu ermöglichen. Es handelte sich dabei vor allem um „Unzulänglichkeitskomik“. (Andere Typen von Komik wurden von der Theorie der Komik lange Zeit nicht berücksichtigt.) „Die Unzulänglichkeitskomik wird durch die Wahrnehmung ausgelöst, daß ein Mensch gegenüber einer allgemeingültigen, auch vom Beobachter anerkannten Anforderung auffällig und überraschend versagt: Theorie des 'Kontrastes mit absteigender Tendenz‘“. (s. Otto Rommel, Komik und Lustspieltheorie, DVjS 21, 1943, S.262.)

Bereits bei Scaliger sind Handlungsschemata aufgezählt, an denen derartige Kontraste gezeigt werden können: „lusus, comessationes, nuptiae, repotia, servorum astus, ebrietas, senes decepti, emuncti argento“ (vgl. Julius Cäsar Scaliger, Poetices libri septem, Genf 1561, zit. nach: Karl Holl, Zur Geschichte der Lustspieltheorie, I, Entwickelungsgeschichte in Einzelvertretern dargestellt bis Gottsched, Berlin 1911, S.53.) — spielerischer Zeitvertreib, Zechen, Hochzeiten, deren Nachfeiern, listige Anschläge der Dienerschaft, Trunkenheit, gefoppte Alte, ums Geld Betrogene. Die damit zusammenhängenden Handlungsschemata sind nicht unbedingt so spezifisch für das Bürgertum, daß sie nicht auch von Bauern oder Adligen — freilich mit Abwandlungen — aktualisiert werden könnten. Sie verhalten sich als dramatische Motive bis in die neueste Zeit auch neutral gegenüber historischem Wandel — die Vorbedingung dafür, daß sie in einer auf antike Vorbilder zurückgehenden Weise wiederaufgenommen werden können.

Seit Plautus verbinden sich diese Motive mit einem immer wiederkehrenden Bestand an Personen. Das Ideologische ist also nicht allein in der Handlung zu suchen, sondern auch in deren Bewertung.

„Mit Aristoteles Auffassung, 'Die Komödie ist […] eine nachahmende Darstellung niedriger Charaktere, was jedoch nicht bedeutet, daß diese ausgesprochene Schlechtigkeit verkörpern‘, die bis zu den Gottschedianern eine große Rolle spielte, wurde die strenge soziale Differenzierung […] zum Dogma erhoben. [z.B. bei Ronsard.] Das ethische Prinzip des antiken Philosophen wurde von den Poetikern zu einem sozialen Prinzip umgedeutet“. (Werner Rieck, Die Theorie des deutschen Lustspiels in der Periode von 1688 bis 1736, in: Wissenschaftliche Zs.d.PH Potsdam, 9, 1965, Heft 1, S. 31.) Aristoteles hatte eigentlich, wie schon bei der Tragödie, die Besonderheit der jeweiligen Gattung in der unterschiedlichen Empfindung des Publikums gesucht. (Karl Borinski, Die Poetik der Renaissance und die Anfänge der literarischen Kritik in Deutschland, Berlin 1886, S.82.) Die schulmäßige Poetik der beginnenden Neuzeit betont stattdessen aus dem Gesichtspunkt der Textproduzenten eine Eigenschaft des materialen Repertoire. Zu überhistorischer, klassischer Gültigkeit können Vorschriften bezüglich des Materials aber nur gelangen, weil man voraussetzt, die sozialen Unterschiede, die in den Unterschieden der Gattungen weidergegeben werden wird, entsprächen einer von Ewigkeit im Jenseitigen gesetzten Ordnung.

Aus ihrem subjektiven Gesichtspunkt stimmen diese Theoretiker mit der Naturrechtslehre der Stoa überein; darin liegt aber angesichts der objektiven gesellschaftlichen Tendenz nach Überschreitung der Ständegesellschaft eine Ungleichzeitigkeit. Das stärkere Hervortreten dieser Ungleichzeitigkeit im 17.Jahrhundert mag den Anlaß abgeben, diese Phase mit einem der Kunstgeschichte entlehnten Namen „Barock“ zu nennen und von der vorausgehenden „Renaissance“ abzugrenzen. Ich würde meinerseits gerne darauf verzichten, weil ich an der Komödientheorie nur eine graduelle, keine grundsätzliche Änderung erkennen kann, solange sich nicht die Zielvorstellungen von der Gesellschaft änderten.

Zunächst aber ist man weit davon entfernt, Systemüberschreitungen des Ständestaates in Komödien anders als komisch auszunützen. „Eine ihrer Hauptwirkungen, die Enthüllung angemaßten Anspruchs, beruht im Gegenteil auf der Anerkennung der gesellschaftlichen Hierarchie: Es wird derjenige dekuvriert, der über die Grenzen seines Standes hinaus will“. (s. Hans Emmerling, Untersuchungen zur Handlungsstruktur der deutschen Barockkomödie, S.116.) Diese Konsequenzen aus Handlungsschemata und Personenbestand dienen den Verfassern der Komödien, selber Bürgern, zur Auseinandersetzung mit moralischen Unzulänglichkeiten des eigenen Standes, nicht etwa zur Gesellschaftskritik. Auch die Aufklärung geht ja zunächst auf moralische Probleme aus. So kommt es im Frankreich des 17.Jahrhunderts zur Wiederentdeckung der Charaktertypen des Theophrast. Dem entspricht in Spanien die höfische Klugheitslehre des Gracian und in Deutschland die Politische Klugheit des Thomasius. Eine erste Phase aufklärerischer Anschauungen, die auf die Komödie gewirkt haben könnten, müßte demnach noch höfisch-galant genannt werden.

Komik, als Sonderfall ästhetischer Kommunikation betrachtet, ist ein nur vorübergehend auftretendes Phänomen. Speziell bei der „Unzulänglichkeitskomik“ kann kein Kontrast gefunden werden, der einer größeren ästhetischen Struktur, die in einem länger andauernden Kommunikationsprozeß mitgeteilt wird, durchgehend komische Wirkung verliehe. Nun haben aber die Versuche, komische Wirkungen zu analysieren, bisher hauptsächlich zur Unterscheidung zweier Arten der Komik geführt: außer der Komik der Unzulänglichkeit gibt es noch eine Komik des „übermütigen bzw. heiter-überlegenen Spiels“. (vgl. Otto Rommel, a.a.O., neuerdings in: Wesen und Formen des Komischen im Drama, Hg. Reinhold Grimm und Klaus L.Berghahn, Darmstadt 1975, s.49. — Rommel verweist hier auf seinen in den gleichen Sammelband aufgenommenen Aufsatz: Die wissenschaftlichen Bemühungen um die Analyse des Komischen. aus: DVjS 21. 1943.) „Nur durch spielerische Fiktionen können die Einzelfälle von komischem Versagen in einen Zusammenhang, also zu einer 'Komik der längeren Dauer' [J.Volkelt], gefügt werden […]“

Als diejenige Ordnung, die diesen Zusammenhang herstellt, gilt von alters her die „Handlung“. Darunter verstehen wir in diesem Zusammenhang nicht dasselbe wie eine „Tat“, sondern die Gesamtheit aller Ausdrucksmittel für einzelne Handlungen, in einer bestimmten Reihenfolge. Die dabei verwendeten Zeichen können sprachliche sein, aber auch mimische, gestische und sonstige optisch und akustisch wahrnehmbare Zeichen: Bühnenbild, Bewegungen des Vorhangs, Theaterdonner, Beleuchtung, u.ä.. Diese „Handlung im engeren Sinne“ wirkt als Teil des ästhetischen Zustands der Komödie, aber auch durch den vom Rezipienten hergestellten Vergleich mit wirklichen Handlungen aus dem außerpoetischen und außertheatralischen Bereich. So erhält die komische Wirkung oft eine „satirische“ Funktion: Im Hinblick auf eine Moral oder sonstige gesellschaftliche Zielsetzung werden Handlungen im weiteren Sinne, aber auch die Handlung der Komödie einer Bewertung unterworfen.

Die satirische Funktion ist also ein Spezialfall der ideologischen Funktion einer Komödie. „Bis zu einem gewissen Grade ist keine Art von Komik ganz frei von satirischer Tendenz, die anspielungsweise zur Geltung gebracht wird. Aber erst wenn die Satire aus dem Bereiche der gelegentlichen, halb unbewußten Invektive in den Mittelpunkt dramatischer Gestaltung rückt, wirkt sie formbildend auf die dramatische Darstellung. Der Komödiendichter geht jetzt arbeitsteilig vor und wählt Stoffgebiete und Gesichtspunkte. Ist sein Blick den gesellschaftlichen Konventionen zugewandt, so nimmt er die Entstellungen wahr, welche das Menschliche durch die gesellschaftliche Umwelt erfahren kann, […] So entstehen Gesellschafts- und Umweltkomödien. […] Dieses Thema kann sich zur Standeskomödie spezialisieren.“ — „Sieht der Komiker die Ursache des Komischen nicht so sehr in den Umweltseinflüssen, so kommt es zur Charakterkomödie. […] Typisierungen der Charakterkomödie haben die Komik automatisierten Seelenlebens […]“ (s. Rommel, Komik und Lustspieltheorie, in: Wesen und Formen des Komischen im Drama, S.63.)

Es ist zu betonen, daß diese Differenzierungen von Komödientypen nicht so sehr auf der Auswahl des materialen Repertoire beruhen, sondern auf der Verarbeitung dieses Materials, woran eben auch der Aufbau der Handlung beteiligt ist. Es wäre noch zu klären, ob die Komödie auf diese Weise immer ein Thema vorgesetzt bekommt. Ohne irgendeinen Zusammenhang der Handlungen in der Handlung entsteht jedenfalls nach klassizistischer Theorie keine Komödie. „Das Gerüst der Handlung, insofern daran die innere Notwendigkeit oder Regel des Aufbaus zu erkennen ist, nennen wir heute Fabel“. (vgl. Wolfgang Kayser, Das sprachliche Kunstwerk, Eine Einführung in die Literaturwissenschaft, 12.Aufl. Bern u. München 1967, S.77 f.)

Wenn Rotth über die Gemeinsamkeiten von antiker und zeitgenössischer Komödie schreibt, ist seine Auffassung der Fabel besser im Einklang mit dem heutigen Sprachgebrauch sowie mit der antiken Praxis: „Denn darinne komt sie mit jener überein/ daß sie 1) eine einzige sitliche Verrichtung zur Fabel hat. 2) daß sie dieselbe mit ihren fictionib' ausschmückt und in gewisse Stücke/ […] eintheilet.“ (Szyrocki, Marian (Hg): Poetik des Barock, Rowohlts Klassiker 508/509, Texte deutscher Literatur 23, o. O. 1968.) Impliziert wird hierbei doch wohl, daß die „einzige sitliche Verrichtung“ sich in der Abfolge dieser Stücke, nämlich Protasis, Epitasis, Katastasis und Katastrophe anordnen läßt. So wird aus der Fabel die Handlung mittels einer Verknüpfung der Einzelhandlungen, die im Hinblick auf ihr zeitliches Nacheinander eine Notwendigkeit erkennen lassen und beim Betrachter somit eine bestimmte Spannung und die Auflösung dieser Spannung hervorrufen. Protasis kann dabei eine Exposition im Prolog oder auch im ersten Akt sein; Epitasis „ist derselbe Theil der Comödie da man versuchet ob die gefasseten Anschläge können aus geführet werden/ bey dem Versuch aber zugleich allerhand Wiederwärtigkeit und Ungemach erdichtet oder einführet/ daß sie nicht haben können ausgeführet werden. Und solches kömmt den mehrentheils im ersten und andern Actu vor“. Die Katastasis „ist der jenige Theil in einer Comödie/ in welchen die in der Epitasi hervorschimmernde Wiederwärdigkeiten sich völlig einfinden/ daß man nicht siehet/ wie sie werden ablauffen. Und das geschiehet denn meistentheils im dritten und Virdten oder (wenn mehr als 5. Actus seyn) auch in mehrern Actibus“. Die Katastrophe schließlich ist bei der Komödie „nichts anders/ als eine fröliche Umwechselung des gantzen Handels/ womit das Drama als denn beschlossen wird. Und wird dieselbe allezeit in dem letzten Actu angetroffen/ obwohl manchmahl die Zeichen der Veränderung sich schon im vorhergehenden Actu blicken lassen“. Man wird nicht leicht vor 1688 eine deutsche Komödie finden, die sauber nach derartigen Regeln gebaut ist. Es scheidet sich hieran nämlich nicht nur die Praxis der Komödie von der Theorie, sondern auch eine spezifisch unklassische Theorie von der klassizistischen, wie Willi Flemming und Hans Emmerling gezeigt haben. Höchstens im Hinblick darauf, wenn auch nicht als Epochenbezeichnung, möchte ich „Barock“ weiterhin verwenden.


Barocke Besonderheiten


Was als barocke Theorie der Komödie gelegentlich und verstreut auftritt, nimmt auf die aus der Antike überlieferte Theorie wohl deswegen keine Rücksicht, weil hinter der theoretischen Beschäftigung mit Regeln der Kunst eine Theorie der Weltordnung steht, in der diese Regeln als Analogien zu den Gesetzmäßigkeiten der Schöpfung erscheinen. Komödie und Tragödie gehen in dem gemeinsamen Aspekt des Welttheaters auf. Dies bildet eine ständische Vorstufe, vielleicht auch eine Vorbedingung dafür, daß sich die klassizistische Poetik später an eine Philosophie anpaßt, welche die Gesamtheit der Gesellschaft kritisiert. „Der Übergang von der integrierenden metaphysischen Position (bei Bidermann, Calderon und Corneille) zu einer spezifizierenden säkularen Welt-und Menschenbetrachtung bedeutet philosophisch ein Übergewicht der praktischen Moral, der säkularen Tugendlehre, der Empirie, über den metaphysischen Dogmatismus a priori.“ (s. Emmerling, S.116.) Dies geschieht gleichzeitig mit der galanten Epoche, aber im Widerspruch zur damaligen, höfischen Orientierung des Bürgertums.

Hinsichtlich der Anordnung des Materials ergibt sich unter dem leitenden Gesichtspunkt der „Welttheater-Idee“ eine völlig andere Art des Zusammenhangs von Einzelhandlungen als bei der „Handlung“ klassizistischer Dramen, die mehr und mehr auf Kausalverknüpfung angelegt wird. Am Ablauf der Handlung ist bei der barocken Komödie allenfalls das eine wichtig, daß daran Exempel für Sachverhalte außerhalb der fingierten Einzelhandlungen aufgereiht werden können, in der Art der Gliederung eines Aufsatzes. Auch Christian Weises Dramaturgie läuft in den meisten Stücken der Tradition der klassizistischen Poetik zuwider, so in Aktzahl, Ortseinheit, Mischung tragischer und komischer Szenen. Seine theoretische Fundierung der Handlungsverknüpfung benützt die Affektenlehre, und zwar nicht einmal mehr in moralischer Hinsicht als eine Ordnung, der sich die Ordnung des Kunstwerks anzupassen habe, sondern rein psychologisch im Absehen auf die Publikumswirkung. „Wenn die Handlung eines Dramas 'nicht soll verdrüßlich werden', so müsse 'alles hurtig nach einander fließen/ daß ein Affect gleichsam den anderen treibet. Ich rede von dem Affect/ welcher in allen Scenen gleichsam das Leben macht', so erklärte Weise eines der wichtigsten Prinzipien für die Handlung im Drama. Die 'Affecten' müßten 'contrar auff einander folgen/ daß die Zuschauer in immerwährender Veränderung erhalten' würden“. (s. Rieck, Die Theorie des deutschen Lustspiels, S.34.) Die Art des Vergnügens, auf das hier gezielt wird, erinnert schon sehr an John Locke's Psychologie: „[…] weit davon entfernt, auf angeborene Ideen zählen zu können, sei sich die Seele nur im Augenblick der Empfindung ihrer Existenz bewußt, […] und da unser Glück an das Gefühl der Existenz gebunden bleibe, sei nichts notwendiger als das Bestreben, unsere Empfindungen zu variieren und unsere Gedanken zu vervielfältigen. […] Sollen sie der Langeweile entgehen, so brauchen die Menschen Leidenschaften; das ist, vom ersten Kapitel an, die Lehre […] der Reflections critiques sur la Poésie et la Peinture des Abbe Du Bos (1718)“. (s. Jean Starobinski, Die Erfindung der Freiheit, 1700-1789, Genf 1964, S.10 f.) Weise ist von Gedankengängen, die zum Sensualismus führen, nicht weit entfernt, doch er berücksichtigt auch die Technik zeitgenössischer französischer Lustspiele, die eher den klassizistischen Bestrebungen zuzurechnen sind, indem er vorübergehend für straffen Fortgang der Handlung aufgrund einer Intrige sorgt. (Nachspiel zum „Kuriositätenkrämer“, 1686.) Dabei war ihm jedoch Molière anscheinend nur eine zeitweilige Anregung neben anderen. Es zeigt sich hier ein ebenso unbekümmert auswählender, vielseitiger Eklektizismus wie bei Thomasius in der Philosophie und bei den Galanten in der Rhetorik.

Die Rede als diejenige Ordnung des Kunstwerks „Komödie“, die über der Ordnung der Einzelhandlungen errichtet wird, ist wohl noch weniger von einer Tradition abhängig zu machen. Man wird sich die Übernahme unklassischer Techniken des Volksdramas in die literarische Dramatik (das heißt hier nur: die schriftlich niedergelegten Dialoge) nicht zu direkt vorstellen dürfen, vor allem bei Autoren, denen daran gelegen sein mußte, sich vom „gemeinen Pöbel“ mittels humanistischer Gelehrsamkeit zu unterscheiden. Harsdörffer schreibt: „Kommen oftermeldte Schauspiele miteinander überein, in den Worten; wann nemlich sowohl in dem [!] Trauer-als Freudenspielen hohe Sachen mit hohen Worten/ und hingegen geringe Sachen mit schlechten und gemeinen Reden fürgebracht werden sollen. Ein alter Mann sol keine Kindische/ und ein Knab keine verständige Reden führen“. (Szyrocki, Marian (Hg): Poetik des Barock, Rowohlts Klassiker 508/509, Texte deutscher Literatur 23, o. O. 1968, S.140.) Eine barocke Handhabung dieses Problems konnte aber wahrscheinlich nicht davon ausgehen, daß alle Personen den Vergleich mit ein- und derselben sozialen Schicht hervorrufen sollten und daher ein Stil für alle Reden anwendbar sei. Zudem ist die im 17.Jahrhundert beliebte Kontrastierung von „Schein“ und „Sein“ oft durch einen Kontrast zwischen den verschiedenen sozialen Einstufungen von Rede und Handlungen einer Person ins Werk gesetzt worden. Diese Art des Kontrastes wird zu einer Technik für den Autor, indem er gewisse Regeln der Rhetorik bewußt nicht beachtet: das decorum wird verletzt. In einer Situation, in der das Publikum die gleiche Auffassung von decorum hat wie der Autor und in die rhetorische Praxis auch nur annäherungsweise eingeübt ist, wird dieser Kontrast der Bewertung lächerlich wirken, ohne Rücksicht darauf, daß die vorgestellten Personen fingiert sind.

„Die Konfrontation der verschiedenen Sprachformen weist aber darauf hin, daß die Komödie selbst über eine simple Ständekomik hinaus nach der Integration aller sozialen Stufen und aller werthaften Seinsweisen strebt“. (s. Emmerling, S.90.) Darin läge wohl eine Übertragung des ständischen Systems in die Ordnungen der Komödie; aber nicht nur der ständischen Gesellschaftsordnung, sondern auch ihrer Wertordnung. Für letztere gibt es eine barocke Technik, sie in den ästhetischen Zustand überzuführen, die nicht allein auf die Rhetorik, und auch nicht allein auf die Komödie beschränkt ist: die Emblematik.

Man muß sie wohl als eine eigene Kunstgattung ansehen, die von den Techniken anderer Gattungen einiges übernommen hat und ihrerseits als Repertoire von Realia für höhere Ordnungsstufen verschiedener Gattungen wiederum nutzbar gemacht wird. So wird zum Beispiel der Prologsprecher bei Harsdörffer „[…] aus der Bildkunst hergenommen/ vorstellend ein Laster/ oder eine Tugend/ auf welchen das gantze Spiel zielet: […].“Er erwähnt auch „[…] eine Mittelart zwischen den Freuden und Hirtenspielen/ wann aus der Bildkunst die Personen eingeführet und darunter Königreiche/ Länder/ und Herrschafften verstanden werden. […] Solcher massen solte man können einführen den Krieg als einen König/ die Ungerechtigkeit als einen Feldherrn/ den Betrug als seinen Cantzler […] Hingegen könte der Fried als eine verjagte Königin vorgestellet werden/ welche vermittelst der Tugenden und Wissenschaften geringen Aufenthalt hat/ […]“.

Erstens ergibt sich die „Moral“ nicht aus der Fabel; ohne „Bildunterschrift“, ohne „Schlüssel“, ist die Bedeutung nicht auszumachen. Zweitens gilt für diese „emblematische“ Komödie generell: Das Besitzdenken als Bedeutungsverschiebung der außerästhetischen Sprache kann hier nicht einfach als Material übernommen werden; deren Strukturen haben theoretisch wenig Chancen, in der Rede solcher Komödien erhalten zu bleiben, sondern sollen von Bedeutungen ganz anderer Art überlagert werden.

Etwas anders liegen die Chancen, wo eine Art von „Natürlichkeit“ der Rede in Komödien angestrebt wird, wie bei Christian Weise. „Es ist bekand/ daß man insgemein dafür hält/ die Niedersächsischen Possen-Spiele praesentiren sich besser als die Hochdeutschen. Und wer die Ursache wissen will der mag nur dieses bedenken. Die Nieder-Sachsen bleiben bey ihrer familiären pronunciation, damit ist alles lebendig und naturell: hingegen die Hochdeutschen reden offt/ als wenn sie Worte aus der Postille lesen solten. […] Soll das Sprüchwort wahr bleiben: Comoedia est vitae humanae speculum, so muß die Rede gewißlich dem Menschlichen Leben ähnlich seyn. Ein Cavallier, ein fürnehmes Frauenzimmer/ ein liederlicher Kerl/ ein gemeiner Man/ ein Bauer/ ein Jude muß den accent führen/ wie er im gemeinen Leben angetroffen wird. Bloß bey Fürstlichen Personen lässet man das gezwungene Hochdeutsche passiren“. (Chr. Weise, Lust und Nutz, Vorrede, Dresden und Leipzig 1690, zit. nach: Kåre Kaiser, S.277 f.)

Bei Komödien, die in Weises Manier die Rede von Komödienpersonen weitgehend an das Repertoire von bestimmten Soziolekten angleichen, wird sich wohl im Lauf der Zeit dieselbe Entwicklung zu einer bürgerlichen Sprache gezeigt haben, die außerhalb der ästhetischen Sphäre zu beobachten war.