These I


Vorbemerkung zum Vorwort, und zu allem, was noch folgt


781 Fußnoten finden sich in der ursprünglichen Fassung dieser Arbeit. Wer sie lesen möchte, kann sich das gedruckte Buch besorgen. Im Internet ist das Nachsehen der Anmerkungen noch lästiger als ohnehin schon. Man tut es nur, um dem geistigen Eigentum anderer Menschen nicht zu nahe zu treten. Wenn ein Autor darüberhinaus Witziges oder Polemisches in seinen Fuß-oder Endnoten untergebracht hat, ist das wenigstens noch unterhaltsam. Das ist hier nicht der Fall. Ich biete bescheidene Abhilfe an, indem ich einzelne Fußnoten in den Text einarbeite, doch in der Regel werde ich nur ans Ende jedes Abschnittes ein Verzeichnis der verwendeten Schriften stellen.


VORWORT


Von Schriftstellern und Denkern, die man nicht bloß als feinsinnig, sondern wohl auch als klarsichtig bezeichnen darf, ist schon seit längerer Zeit eine Erscheinung an unserer Ausdrucksweise bemerkt worden, die sich im Zusammenleben der Menschen und für die Erkenntnisse darüber störend, wenn nicht sogar verheerend auswirken kann. Dazu schreibt Robert Musil: „Wie unmöglich erscheint zum Beispiel sogleich die Gebärde des Wortes "besitzen", wenn man sie auf Liebende anwendet! Aber verrät es schöner anmutende Wünsche, daß man Grundsätze "be-sitzen" möchte? die Achtung seiner Kinder? sich selbst? Diese plumpe Angriffsgebärde eines schweren Tiers, das seine Beute mit dem ganzen Körper niederdrückt, ist jedoch berechtigterweise der Grund-und Leibausdruck des Kapitalismus, und so zeigt sich darin der Zusammenhang zwischen den Besitzenden des bürgerlichen Lebens und den Besitzern von Erkenntnissen und Fertigkeiten, zu denen er seine Denker und Künstler gemacht hat, während abseits Liebe und Askese als ein einsames Geschwisterpaar stehen. […] So kommt man bloß dadurch, daß man die Spur der Sprache verfolgt — eine verwischte, aber verräterische Spur! — schon darauf, wie sich allerorten der roh veränderte Sinn an die Stelle von bedachtsameren Beziehungen gedrängt hat, die ganz verlorengegangen sind." (s. Musil, Robert: Der Mann ohne Eigenschaften, Hg. Adolf Frisé, Hamburg 1952, S. 559.)

Mein Doktorvater ging diesem Sachverhalt schon seit längerem in seinen Vorlesungen nach und hat schon frühzeitig das Problem mit folgenden Worten umrissen: „Auf der einen Seite haben wir die gesellschaftlich-ökonomische Realität und eine konventionelle Sprache, die — laut Kafka — , "nur vom Besitz und seinen Beziehungen handelt". Auf der andern gibt es, als einen bevorzugten Gegenstand der neuzeitlichen deutschen Literatur, den Sinnbezirk des geistig-seelischen Seins, der zwischenmenschlichen Bindungen, persönlichen Erfahrungen, metaphysischen Bezüge, die ganz anderer Art sind oder sein sollten. Und doch treffen wir hier auf dieselben sprachlichen Schemata des Besitzens wie im sozio-ökonomischen Ursprungsbereich.“ (s. Fülleborn, Ulrich: "Besitz" und Sprache, Zur geschichtlichen Bedeutung der Dichtung R.M.Rilkes, in: Rilke heute, Beziehungen und Wirkungen, 2.Bd, 1. Aufl. Frankfurt am Main 1976.) Er war es auch, der mich im Sommersemester 1970 erstmals darauf aufmerksam machte, daß daraus der Gegenstand einer Dissertation werden könnte. Unterdessen war es schon so weit, daß die Überwindung der erwähnten Fehlhaltung von Erich Fromm, dem namhaften amerikanischen Gesellschaftstheoretiker, in einem Atemzug mit der Rettung der Menschheit vor künftigen Katastrophen genannt werden kann, und daß eine satirische Zeitschrift, der man solches Engagement nicht jedesmal zutrauen würde, in einem zwölfseitigen Artikel darüber referierte. (vgl. Reif, Adelbert über Erich Fromm: Haben und Sein, Stuttgart 1977, in: Pardon, Nr.6, Juni 1977, S.58-70; und: „Wie befreien wir uns vom Besitzdenken?“, ebda. S.68.)

Wer das wüßte! Ich kann nichts als eine literaturgeschichtliche Beschreibung derjenigen geistigen Situation bieten, in der das "Besitzdenken" seinen gesellschaftlich motivierten Anfang nahm. Wer der Wahrheit näherkommen will, soll die Position der Gegenpartei völlig verstehen gelernt haben.


These I in vorläufiger Formulierung


Es gibt einen Sachverhalt — nennen wir ihn "Besitzdenken" — der darin besteht, daß auch solche Beziehungen zwischen Menschen, die ohne kausale Abhängigkeit von Besitzverhältnissen möglich wären, analog zu Besitzverhältnissen aufgefaßt und bewertet werden. Die sprachlichen Mittel, an denen dieser Sachverhalt erkennbar ist, lassen sich mit Modellvorstellungen in Zusammenhang bringen, die den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und geistigen Wandel im 18. Jahrhundert beschreiben.

Das zentrale Wort in These I heißt "Besitzdenken".

Nun ist dies aber dem ganzen zu betrachtenden Sachverhalt wie ein Eigenname zugeordnet worden und kann strenggenommen erst zum Abschluß der Untersuchung definiert werden, falls sich der Gang der Argumentation als schlüssig erweist. Eine exemplarische Einführung, indem man, einem Vorverständnis folgend, eine Anzahl von Textstellen zusammensuchte und erklärte: „Das ist Besitzdenken“, würde einen vermeidbaren Zirkelschluß eröffnen. Wie es sich mit dem "Besitzdenken" verhält, müßte einer Sprachanalyse zugänglich sein, insoweit darin ein sprachlicher Prozeß als Teil eines sozialen Prozesses vorläge. Sicherheitshalber räumt man aber sprachlichen Vorgängen in ihrem Verhältnis zu sozialen und ökonomischen eine gewisse Ungleichzeitigkeit, eine gewisse Eigenbewegung ein, auch wenn es sich dabei um mehr handeln sollte als um einzelne sprachliche Akte. Darüber hinaus halte ich es für angebracht, zwischen nichtliterarischem und literarischem Gebrauch sprachlicher Bauteile einen Unterschied zu machen.

Von hier aus erscheint es am besten, bei der Klärung der Arbeitshypothese mit folgender Teilaussage zu beginnen: „Die sprachlichen Mittel, an denen dieser Sachverhalt erkennbar ist…“ Ersetzt man "Sachverhalt" in der schon angedeuteten Weise, dann entsteht folgende Teilhypothese: Es gibt voneinander unterscheidbare Teile der Sprache, die dazu dienen, Beziehungen zwischen Menschen auszudrücken; einige dieser "Elemente" werden auch verwendet, um Besitzverhältnisse auszudrücken.

Zu präzisieren ist, was damit gemeint sein soll, daß Elemente der Sprache irgendetwas ausdrücken. Die Menschen beherrschen ihren Sprachgebrauch, weil sie darin eingeübt sind. Ihre angelernten Gewohnheiten der Verständigung lassen sich als Schemata von Sprechhandlungen verstehen; nur insofern diese Schemata gemeinsam bekannt sind, ist Verständigung unter den Mitgliedern der betreffenden Menschengruppe möglich. Sprache wird in der "Rede" aktualisiert. Aktualisierung bringt gegebenenfalls leichte Abweichungen vom Schema mit sich.

Sprache wird im Zusammenhang mit Handlungsschemata als Unterabteilung von besonderen Handlungsschemata erlernt. Rede, die Aktualisierung der Sprache, liegt vor als hörbare mündliche Äußerung, als geschriebener Text, oder als Gebrauch sprachlicher Schemata ohne mitteilende Funktion — "Denken" im eigentlichen Sinne. Mit diesem Fall befassen wir uns nicht weiter, da man einen Sachverhalt namens "Besitzdenken" ohnehin nur aus Rede erschließen kann.

Was man als Laute oder schriftliche Zeichen sprachlicher Art wahrnimmt, steht wie ein „Körper“ zwischen dem Wahrnehmenden und den geistigen „Inhalten“. Wie Handlungsschemata im Laufe historischen Wandels unbrauchbar gemacht und durch andere ersetzt werden können, so können auch sprachliche Schemata geschichtlichen Änderungen unterworfen sein. Sprachkörper und Sprachinhalte können dabei eine weitgehend voneinander unabhängige Geschichte haben. Das ergibt eine der Bedingungen, unter denen These I überhaupt erst eine Chance hat, wahr zu sein.

Wenn der Redende oder Schreibende von den mit ihm Kommunizierenden aufgrund seiner Verwendung bestimmter Wörter und Wortkombinationen einer sozialen Gruppe zugeordnet wird, die sich erst kürzlich herausgebildet hat, und zwar im Zusammenhang mit den Gedanken, welche auch dem Sprachwandel zugrundeliegen — mit anderen Worten: wenn die Andersartigkeit seines Redens nicht mehr als Einmaligkeit überrascht — dann hat sich der Sprachgebrauch der gesamten Sprachgemeinschaft darauf eingestellt. Der Sprecher und der Hörer müssen sich über die Art der zugrundeliegenden Bewußtseinsveränderung nicht unbedingt selber klar sein — es kann sich für sie um eine Modesache handeln — es genügt schon, wenn der Sprecher anhand seiner Sprachgewohnheiten sozial identifizierbar ist. Ich stelle mir vor, daß in dieser Art der Übergang einzelner Akte des "Besitzdenkens" zu einer "Besitzsprache" vollzogen wird.

These I läßt sich jetzt so formulieren:

Es hat einmal einen Sprachgebrauch gegeben, in dem für Handlungsschemata oder Gegenstände aus dem zwischenmenschlichen Bereich eine bestimmte Art von sprachlichen Schemata zur Verfügung stand, aber für Gegenstände oder Handlungsschemata des Besitzens eine andere. Zu einer gewissen Zeit änderte sich der Sprachgebrauch derart, daß sprachliche Schemata aus dem letzteren in den ersteren Bereich überwechselten.

Wenn man die Ursachen des "Besitzdenkens" auffinden möchte, muß man die Arbeitshypothese so abfassen, daß die Beobachtung eines Prozesses im Vordergrund steht. Es verbietet sich aber dem Beobachter eines sprachhistorischen Prozesses, so zu tun, als kenne er den ehemaligen Sprachgebrauch so gut wie seinen eigenen. Woran erkennt man an einer individuellen Redehandlung, was davon als sprachliches Schema schon Gültigkeit gehabt hat und inwieweit das Schema ergänzt oder überschritten wird?

Solange die Sprachwissenschaft noch nicht über die ganze deutsche Sprachgeschichte hinweg synchronische Beschreibungen des jeweiligen Sprachzustandes im Abstand von, sagen wir, zehn Jahren geliefert hat, führt kein Wog daran vorbei, die sprachlichen Schemata, die einem aufgrund eines gewissen Vorverständnisses aufgefallen sind, auf ihre "Inhalte" zu beziehen und dadurch erst zu verstehen. Als "Inhalte" gelten bei Sätzen Sachverhalte, bei Wörtern Sachverhalte oder Gegenstände, in dem allgemeinen Sinn, daß alles das ein "Gegenstand" genannt wird, zu dem ein Merkmal oder eine Eigenschaft zugesprochen werden kann. Man sollte nur nicht vergessen, daß auch die "Inhalte" historischem Wandel unterliegen und der Bezug der Lautgestalten oder schriftlichen Zeichen auf diese Inhalte bloß konventionell ist. In einer nicht explizit normierten, sondern natürlichen Sprache ist diese Zuordnung selten ein-eindeutig. Gerade die Unsicherheiten und Mehrdeutigkeiten machen aber einen Prozeß wie den gesuchten erst möglich.

Ein tief eingespurtes sprachliches Schema ist dem "Umfang" nach verhältnismäßig groß, d.h. es kann immer wieder auf eine Auswahl von Gegenständen oder Sachverhalten angewendet werden. Währenddessen ist sein "Begriffsinhalt" verhältnismäßig gering, d.h. es bezeichnet von diesen Gegenständen oder Sachverhalten nur den kleinsten gemeinsamen Bestand an Merkmalen oder Eigenschaften. Das gilt, wohlgemerkt, nur für das Schema. Bei seiner konkreten Anwendung, der Aktualisierung, geschieht etwas Entgegengesetztes, nämlich: es behält nur geringen Umfang, indem es in der gegebenen Situation nur ein Etwas benennt; andererseits hat es größeren Begriffsinhalt, indem es sich mit all dem assoziativ verbindet, was im aktuellen Augenblick an dem Gegenstand oder Sachverhalt interessant ist.

Von der wahrscheinlichen Überlegung ausgehend, daß unwillkürliche Änderungen kleine Anfänge haben, wird man diese Unterscheidung für praktikabel halten. Damit wäre der Ansicht Rechnung getragen, daß die natürliche Sprache in keinem Augenblick ein geschlossenes System, sondern stets im Fluß ist, wenn sie auch ihren Benutzern grundlegende Strukturen zur Orientierung anzubieten hat. Um Änderungen des Sprachgebrauchs nachzuspüren, erscheint es angebracht, zunächst von einzelnen Wörtern auszugehen und diese gegebenenfalls auf weitere Textzusammenhänge zu beziehen.

Auf das einzelne Wort übertragen, lautet die obige Unterscheidung: Im Hinblick auf den etablierten Sprachgebrauch hat ein Wort eine "Bedeutung"; als Bestandteil aktueller Rede trägt es darüber hinaus einen "Sinn", nämlich den erwähnten Zuwachs an Begriffsinhalt. So haben für den astronomisch informierten Sprachteilnehmer die Wörter "Abendstern" und "Morgenstern" zwar die gleiche Bedeutung, aber verschiedenen Sinn. Für diesen Fall, in dem ein einziger Gegenstand verschieden bezeichnet wird, gilt (nach Frege, Gottlob: Sinn und Bedeutung, in: Funktion, Begriff, Bedeutung — Fünf logische Studien, Hg. Günther Patzig, Göttingen 1962.): „Eine Verschiedenheit kann nur dadurch zustande kommen, daß der Unterschied des Zeichens einem Unterschied in der Art des Gegebenseins des Bezeichneten entspricht.“ Eben dies, denke ich, könnte sich im Laufe des in These I angedeuteten Prozesses mit mehreren Gegenständen und ihren sprachlichen Repräsentanten ereignet haben.

Allerdings ist zu bedenken, daß sich ein Wort im Lauf der Sprachgeschichte schon differenziert haben kann, derart, daß es zu einer "Lautgestalt" mehrere Bedeutungsvarianten gibt; z.B. "Glüh-birne" und "Birne" (am Baum). Man sollte ermitteln können, ob einem Sprecher zu gegebener Zeit die Bedeutung von "Birne“ noch als ein-und dieselbe bewußt ist, die er nur verschieden aktualisiert, oder ob er bereits zwei getrennten Zeigehandlungsschemata folgt, sodaß er zwei verschiedene "Wörter" zu verwenden meint. Im zweiten Fall können wir von "Bedeutungsvarianten" sprechen. Uns heutigen Sprechern des Deutschen ist z.B. der sprachgeschichtliche Zusammenhang von "Bank" (Geldinstitut) mit der "Bank" der Geldwechsler normalerweise nicht mehr geläufig.

Verschiedene Deklinations-bzw. Konjugationsformen eines Wortes haben zwar verschiedene Bedeutungen — z.B. "Baum" und "Bäume", "besitzt" und "besaß" — doch die Bedeutung ihres zugehörigen lexikalischen Schemas definieren wir, was Nomina angeht, als die Bedeutung des entsprechenden Wortes im Nominativ Singular; bei Verba als die des Infinitivs. Andere Wortklassen werden voraussichtlich gar nicht in Betracht kommen. Ich folge mit dieser Definition der Praxis, die beim Verfassen von Lexika schon längst im Schwange ist. Es besteht natürlich die Möglichkeit, die verschiedenen Formen eines Wortes zu den Bedeutungsvarianten seines lexikalischen Schemas zu rechnen. Ob aber z.B. "Geld“ und "Gelder" zwei Bedeutungsvarianten darstellen oder nur Einzahl und Mehrzahl derselben Gegenstände bezeichnen, müßte man anhand von Textbeispielen einer bestimmten Zeit erst herausfinden.

Einen aktuellen Textzusammenhang nennen wir "Kontext". Der Sinn eines Wortes geht aus seiner Bedeutung und seinem Kontext hervor. Es ist dabei nicht auszuschließen, daß "Gefühlswerte", die im Kontext nicht aktualisiert sind, die aber zu den psychologisch relevanten Bedingungen der Wahrnehmung gehören, am Zustandekommen des Verständnisses beteiligt sind. So kann es geschehen, daß Sinn und Verständnis eines Wortes sich unterscheiden. Der Gefühlswert kann aber nur dann das Verständnis mehrerer Leser oder Hörer für einen Text mitbestimmen, wenn sie ihn als Teil eines "Situationskontextes" miterleben; sonst ist es gänzlich eine Angelegenheit des je Einzelnen.

Es könnte zwar scheinen, als müßte man alle erreichbaren Kontexte eines Wortes zu einer bestimmten Zeit berücksichtigen, um die zugrundeliegende Bedeutung vom jeweiligen Sinn zu trennen. Dagegen macht man häufig die Beobachtung, daß in Texten zum gleichen Thema die Wahrscheinlichkeit des gemeinsamen Auftretens bzw. die gegenseitige Ersetzbarkeit zweier Wörter größer ist als die zweier anderer. Hat man das an wenigen Beispielen erkannt, so läßt sich wenigstens bei einem Textproduzenten derselben sozialen Gruppe ein abweichender Gebrauch leichter feststellen und in seiner Bedeutsamkeit einschätzen. Dabei ist übrigens nicht nur das Auftreten unerwarteter Wörter ein Anhaltspunkt für die Interpretation, sondern auch eine neuartige Beziehung gebräuchlicher Wörter innerhalb vergleichbarer Kontexte.

Die Bedeutung einzelner Wörter werde ich also im Vollzug meiner Verstehensbemühungen mit historischen Aussagen zur Deckung zu bringen suchen, die für erwiesen gelten dürfen, während ich den Sinn der vorliegenden Texte und Textteile anhand der kontextualen Beziehungen klären will.

Man kann zunächst schichtenweise in dieses Verstehen eindringen. Als die oberflächlichste Schicht erscheint mir dabei die Schicht der elementarsten Aussagenlogik. Habe ich kontextuale Beziehungen von Wörtern aufgeschlüsselt als logische Verknüpfungen von "Elementaraussagen", dann kann ich das jeweilige Verhältnis der Sinne beider Wörter einem Typus von semantischen Beziehungen zuordnen. Es ist aber davor zu warnen, dieses aus der "Allokation", dem konkreten Nebeneinander von Wörtern, gewonnene Ergebnis nun gleich für paradigmatisch zu halten. Diese Warnung verdanke ich Herrn Prof. Dr. Horst H. Munske, Erlangen.

Wenn eine Elementaraussage der Form „x ist A“ zu einer Elementaraussage „x ist B“ logisch äquivalent ist, und wenn als Zeichen für die beiden verschiedenen Prädikatoren A und B zwei Wörter stehen, dann sind beide Wörter deckungsgleich hinsichtlich ihres Begriffsinhalts. Ob sie es auch hinsichtlich ihres Umfangs sind, hängt davon ab, welche Mengen von Gegenständen und Sachverhalten jeweils für x eingesetzt werden können. In einer natürlichen Sprache wird es kaum zwei Wörter geben, die unter beiden Aspekten gleich gebraucht werden, es sei denn einmaligerweise. Kahle Bedeutungsgleichheit, "Synonymie", wird daher kaum vorkommen. Zwei Wörter können aber den gleichen Sinn annehmen. „Ob ich fünf Mark habe oder besitze, kommt für mich aufs gleiche hinaus.“ (Um die Bedeutungen festzustellen, müßte man eine Vielzahl von Sätzen finden, aus denen hervorgeht, was man gleichzeitig alles "haben" und genausogut "besitzen" kann.)

Wenn zwei Elementaraussagen sich nur in ihren Prädikatoren unterscheiden, wobei diese durch Wörter bezeichnet werden, und wenn die erste Aussage die zweite impliziert, dann schließt der Sinn des zweiten Wortes den des ersten ein. Beispiel: „Wenn ein Mensch krank ist, dann ist er auch schwach.“ Diese "Wenn-dann-Beziehung" kann, muß aber nicht auf einem kausalen Zusammenhang beruhen; sie besteht im allgemeinen zwischen dem sogenannten "Unterbegriff" und dem "Oberbegriff".

Wir nehmen wieder zwei Elementaraussagen wie die obigen an. Wenn die eine die Negation der anderen impliziert und umgekehrt, dann herrscht zwischen den entsprechenden Wörtern die Beziehung des Gegensatzes. Beispiel: „Dies ist ein Scheck; daraus folgt: dies ist nicht Bargeld.“ Auch die Umkehrung gilt. Es sei jedoch daran erinnert: Die unerläßliche Vorbedingung für diese Art der Beziehung ist, wie für die andern, daß die beiden Wörter nicht nur verschiedenen Sinn, sondern auch etwas gemeinsam haben. Die Begriffsinhalte ihrer Bedeutungen müssen zu der Bedeutung eines dritten Worts Unterbegriffe sein, wenn ihr gemeinsames Auftreten in einem Kontext überhaupt sinnvoll sein soll. Aus dem Satz: „Dies ist kein Bargeld, sondern ein Buch“ läßt sich kein Sinn erschließen. Klar ist der Fall hingegen, wenn es heißt:

„Friedrich bevorzugt als Zahlungsmittel den Scheck anstelle des Bargelds.“

Es gibt noch eine andere Art des Gegensatzes, bei der nur eines anders ist: die Beziehung der Aussagen aufeinander ist nicht umkehrbar. „Hans ist gut“ impliziert wohl die Negation von „Hans ist schlecht“, „Hans ist nicht gut“ hingegen impliziert nicht die Feststellung „Hans ist schlecht“. Ob es sich so verhält, ist aus einem Kontext allein selten zu erkennen. „In Logik und Philosophie sind viele Pseudoprobleme als Folge der mangelnden Einsicht darin entstanden, daß Wörter wie groß und klein oder gut und böse sich nicht auf 'gegensätzliche' Eigenschaften beziehen, sondern bloß ein lexikalisches Instrument zum Gradieren wie z. B. auch 'mehr als' oder 'weniger als' in Bezug auf eine implizite Norm sind.“ ( s. Lyons, S. 476.) — „Ein Satz wie ,Unser Haus ist groß‘ ist semantisch ein Komparativ: ,Unser Haus ist größer als das normale Haus‘“ (s. Lyons, S. 477.) Die logische Beziehung zwischen den entsprechenden Prädikatoren ist nicht die eines kontradiktorischen, sondern eines polar-konträren Gegensatzes. (vgl. LP, S. 73 f.)

"Konversion" besteht zwischen Wörtern aus verschiedenen Sätzen mit gleichem Sinn, wenn folgende Bedingungen zutreffen: Die entsprechenden Prädikatoren der zugrundeliegenden Elementaraussagen sind mindestens zweistellig, (vgl. LP, S. 35 f.) die eine Aussage impliziert die andere und umgekehrt, wenn die beiden "Stellen" von jeweils denselben Zeichen besetzt werden, nur in umgekehrter Anordnung. „Ich verkaufe Dir eine Ware – Du kaufst von mir eine Ware.“ — „Roland ist der Mann von Sabine; Sabine ist die Frau von Roland.“ Konversion findet sich besonders häufig zwischen Wörtern, die als Zeichen für Verwandtschaft und soziale Stellung gebraucht werden. Das könnte bei der Untersuchung von Zeichen zwischenmenschlicher Beziehungen von Bedeutung werden.

These I wird nun so formuliert, daß sie auf der Grundlage der vorigen Überlegungen zum Erschließen eines Untersuchungsgebietes taugt:

Ich nehme an, daß in einem noch zu belegenden Sprachgebrauch zwei Bereiche getrennt voneinander auf verschiedene Zeichen bezogen waren: Einerseits Handlungsschemata und Gegenstände der zwischenmenschlichen Beziehungen und ihrer Wertung, andererseits solche der Besitzverhältnisse. In einer Übergangsphase, die zeitlich noch zu bestimmen ist, erhielten diese Zeichen kontextuale Beziehungen aufeinander und konnten teilweise und unter bestimmten Bedingungen füreinander eintreten. Aufgrund neuer Handlungsschemata entstanden also neue Gewohnheiten des Redens. Dadurch wurden erweiterte Möglichkeiten zur Sinngebung bereitgestellt. Als diese sich zu einem neuen Sprachgebrauch verfestigt hatten, waren die herkömmlichen Wortbedeutungen so verschoben, daß es schwer geworden war, die ursprünglich getrennten Bereiche noch getrennt zu sehen.


Was verbirgt sich hinter „LP“ und „Lyons“? Aufschluß gibt das folgende Verzeichnis der verwendeten Schriften:


Thiel, Christian: Was heißt "wissenschaftliche Begriffsbildung"?, in: Propädeutik der Literaturwissenschaft, Hg. Dietrich Harth, München 1973.

Victor Erlich, Russischer Formalismus, München 1964.

Paul, Herrmann: Prinzipien der Sprachgeschichte, Neudruck der 5. Aufl. 1920, Darmstadt 1960.

Glinz, Hans: Grundbegriffe und Methoden inhaltbezogener Text-und Sprachanalyse, Düsseldorf 1965.

Kamlah, Wilhelm und Paul Lorenzen: Logische Propädeutik, oder Vorschule des vernünftigen Redens, Mannheim 1967. [„LP“]

Lyons, John: Einführung in die moderne Linguistik, München 1971.

Frege, Gottlob: Sinn und Bedeutung, in: Funktion, Begriff, Bedeutung — Fünf logische Studien, Hg. Günther Patzig, Göttingen 1962.

Sperber, Hans: Einführung in die Bedeutungslehre, 3. Aufl., Bonn 1965.

Hoberg, Rudolf: Die Lehre vom sprachlichen Feld, Ein Beitrag zu ihrer Geschichte, Methodik und Anwendung, Düsseldorf 1970.

W. Betz: Zur Überprüfung des Feldbegriffs, in: Zeitschrift für vergleichende Sprachforschung, 71, 1954.

Hallig, Rudolf und Walther von Wartburg: Begriffssystem als Grundlage für die Lexikographie, Berlin 1963.

Matoré, Georges: La méthode en lexicologie, Paris 1953.