Modelle des Besitzdenkens


Das Produkt einer Überschneidung von Bereichen gemäß These I kann zunächst nur ein Bereich der Konversation sein. Strukturbildend sind hier vor allem Verba, zu denen etwa folgende gehören:

"besitzen", "erwerben", "arbeiten", "reich sein", " (sich) gebrauchen", "zahlen", " (ab)kaufen", "fordern", "brauchen", "vergnügt sein", "erhalten", "verlieren", "genießen", "mitteilen", "haben", "bedürfen", "verlangen", "hochschätzen", "sich mäßigen", "leben", "bekommen", "verschwenden", "erreichen", "anwenden", "sich bedienen"…

Sie sind kontextual verknüpft mit Adjektiva, zu denen unter anderen "arm" und "sparsam" gehören.

Nach dem, was wir bei Bohse gefunden haben, ist es innerhalb dieses Bereichs besonders kennzeichnend, daß die erwähnten Verba mit zweierlei Gruppen von Substantiva verknüpft sein können, und zwar zu denen mit dem Oberbegriff "Geschäft" und zu denen mit dem Oberbegriff "decorum" oder "Gebühr". Zu den Substantiva, die mit "Geschäft" zu tun haben, gehören unter anderen folgende:

"Lohn", "Arbeit", "Fleiß", "Schuldigkeit", "Kredit", "Wechsel(brief)", "Obligation", "Interesse", "Zins", "Verschreibung", "Vorschuß", "Pfand", "Schade", "Unkosten", "Wert", "Verlust", "Mangel", "Kapital", "Preis", "Tausch", "Handel", "Vertrag"…

Sie sind verknüpft mit Adjektiva, unter denen sich "ehrlich", "profitabel" und "vorteilhaft" befinden.

Nun wäre der Zusammenhang dieser Wörter mit denen des Besitzens nicht weiter verwunderlich. Besitzdenken einer bestimmten Art liegt aber da vor, wo die erwähnten Substantiva mit Verba der folgenden Art gemeinsam auftreten:

"helfen", "geben", "leihen", "betrügen", "versorgen", "befördern", "lieben"…

sofern diese mit "Gutes tun" in Verbindung gebracht werden können. Etwas Derartiges läßt sich noch bei Gottsched beobachten. Das ist aber längst nicht alles. Der "galante" Typ des Besitzdenkens zeichnet sich dadurch aus, daß "besitzen", "Gutes tun" und ihre Unterbegriffe mit Wörtern des "decorum" verknüpft werden und dadurch ein die Gegensätze aufhebender Bereich der Konversation entsteht.

Es können daran folgende Wörter beteiligt sein:

"Vergeltung", "Höflichkeit", "Wohlwollen", "Gewogenheit", "Freundschaft", "Erkenntnis", "Gefälligkeit", "Liebe", "Güte", "Aufwartung", "Dankbarkeit", "Vertrauen", "Vernehmen", "Affektion", "Dienstfertigkeit", "Gunst", "Willfahrung"…

An adjektivischen hiermit verknüpfbaren Wörtern wären auf Anhieb zu nennen: "galant", "vornehm", "reputierlich" und ihre Gegensätze, also etwa "knechtisch".

Also: Typ I ist das Besitzdenken im Zusammenhang der galanten Mode.


Eine weitere Möglichkeit des Besitzdenkens eröffnet sich, wenn mit Wörtern des Besitzens solche der Güter verknüpft werden. Bei leiblichen Gütern ist dabei wohl nur dann von Besitzdenken zu sprechen, wenn sie noch dazu mit Verba wie "Gutes tun" verknüpft sind. Allerdings erscheint es vom heutigen Sprachgebrauch aus teilweise doch ungewöhnlich, was beispielsweise Hoffmann unter die leiblichen Güter rechnet: Daß "Reichtum", "Nahrung", "Geld" dazu gehören, mutet normal an; weniger bei "Leben", "Gesundheit", "Stärke", "Lob". "Schönheit", "Ehre" und "Lust". Wenn nun aber auch Güter der Seele mit Wörtern des Besitzens verknüpft werden, so wird der Bereich der Konversation abermals erweitert. Es kann dabei um etwa folgende Wörter gehen:

"Weisheit", "Verstand", "Klugheit", "Ruhe", "Zufriedenheit", "Vernunft", "Vergnügen", "Bequemlichkeit"…

Daß eine solche Verbindung tatsächlich geschaffen wird, zeigt sich gerade schon bei Hoffmann: Güter werden unterschiedslos mit substantivischen Wörtern des Besitzens verknüpft, zu denen "Besitz", "Eigentum", "Gewalt", "Wille", "Recht" und "Herrschaft" gehören.

Also: Bei Typ II überspannt das Besitzdenken seelische so gut wie materielle Güter.


Für einige der aufgezählten Wörter kann man auch andere Oberbegriffe in den bisher betrachteten Texten finden. Das deutet meiner Ansicht nach nicht so sehr auf Widersprüche zum Modell, als vielmehr auf die Möglichkeit zu Aufwärts-Verzweigungen, die den betreffenden Bereich gleichwohl nicht umorganisieren. So können

"Reichtum", "Armut", "Bedürfnis", "Vergnügen", "Schwachheit", "Notdurft", "Wohlstand", "Auskommen", "Bequemlichkeit" und "Unterhalt"

gleichzeitig zu Gütern und zu "Zustand" in Beziehung treten. Es kommt wohl in erster Linie auf die Verknüpfung mit bestimmten Verba an. Wo eine solche nicht eintrifft, tun sich wahlweise andere, aber nicht zum Besitzdenken gegensätzliche Möglichkeiten der Rede auf. Z.B. lassen sich Unter- und Oberbegriffe von Gütern, wie "Nutzen", "Schaden", "Mittel", "Verrichtung" und die damit zusammenhängenden "Vermögen", "nützlich", "gut", "Vorteil" und "unnütz" ohne weiteres dem Bereich des Geschäfts zuordnen. Andererseits erweitern Wörter wie

"Glückseligkeit", "Vollkommenheit", "Tugend", "Laster", "Liebe", "Güte", "Treue", "Beistand", "Schuld" etc.,

wenn sie kausal zu seelischen Gütern in Beziehung gesetzt werden, den Bereich der Konversation in einer dritten Weise; auf dieser Stufe kommt man, im Gegensatz zur Affektenlehre, ohne Begleitwörter des Besitzens bereits nicht mehr aus.

Wolffs Beitrag zur Besitzsprache besteht schließlich im Ausbau der Beziehungen zwischen den immateriellen Besitz-und Tauschobjekten und der naturgesetzlichen Fertigkeit des Menschen, glückselig zu werden. Hieraus tritt der neue Marktcharakter der Moral und der Warencharakter menschlicher Fähigkeiten und Eigenschaften hervor.

Typ III besteht in einer neuartigen Selbstverständlichkeit des Besitzdenkens als Ergebnis des Zusammenwirkens von Frühaufklärung und Kapitalismus.