Poesie der Pegnesen




Dreizehnter Abschnitt: Zeitgemäß, aber nicht modern



Im Zusammenhang mit den späten 1950er und frühen 1960er Jahren wird

manchmal von einer „Adenauer-Restauration“ gesprochen, als hätte der

Bundeskanzler persönlich den Zeitgeist erfunden und gesteuert. Nicht einmal

seine Partei wäre dazu imstande gewesen (im Unterschied zu den Machenschaften

„der Partei“ in Hitlertum und DDR). Adenauer und seine Leute

waren frei gewählt und mußten sich immer wieder zur Wahl stellen, und es

waren eben die Wähler in ihrer Mehrzahl, welche die Verhältnisse gerade so

haben wollten. Die Mitglieder des Blumenordens waren in ihrer Mehrheit so

eingestellt, und da der Blumenorden, ohne inhaltliches Programm, einfach das

ist, was seine Mitglieder sind, wurde er zum Spiegel der Verhältnisse. In

ästhetischer Hinsicht wird daraus freilich nichts Bedeutendes. Daß man die

Mehrheit entscheiden lasse, was gut und recht sei, ist die Bedingung der

Demokratie; daß man sie entscheiden lasse, was schön sei, verschiebt den Zeiger

auf der polaren Skala zwischen Schön und Häßlich allzusehr zum

„Bequem-Schönen“, und dabei meinen die Leute noch, das sei dann „edel“.

Über Kategorien dieses Gebiets läßt sich immer wieder streiten, zuweilen mit

der Wirkung, daß es einen Fortschritt gibt. Die Pegnesen wollten sich aber an

den Debatten um moderne oder unmoderne Literatur nicht beteiligen. Gegen

Ende des hier betrachteten Zeitraums ließen sie sich immerhin informieren

über Entwicklungen, die bereits in aller Munde waren, und Werke, an denen

selbst schon die Funktion des Bürger-Erschreckens abzublassen und der Funktion

des Pikant-Aufklärerischen für Schule und Buchklubs zu weichen schien.

Rundheraus gesagt: Der Blumenorden war wieder einmal hinterher. Das

macht die in seinem Kreise gepflegten Autoren und ihre Werke nicht automatisch

schlecht. Aber zuweilen eben schon.



Die bewährten Schlachtrösser


Autoren, die schon in den Dreißiger und Vierziger Jahren im Blumenorden

beliebt waren, und die schlimmstenfalls als Mitläufer in Erscheinung traten,

waren nach dem Kriege wieder beliebt, und gerade dadurch, daß sie vorführten,

wie eine Läuterung aussehen konnte. Mit der „Herford-Restauration“

traten sie erst recht wieder in Erscheinung. In die führenden Feuilletons

kamen sie nicht damit, aber sie hatten Rückhalt im Lande, gerade auf dem

Lande. Da gab es außer dem Blumenorden noch private, berufsständische und

halb oder ganz öffentlich verfaßte Gesellschaften und Institutionen, die sie

stützten, meist so gut wie immateriell. Die Rede ist vor allem von EMIL

BAUER, ARTUR KREINER und HEINZ SCHAUWECKER; unter den Damen (die

noch viel weniger Resonanz hatten) etwa ELISABETH SCHNIDTMANN-LEFFLER,

THEA METZLER, HILDEGARD MALTER-STURM). Mit ihnen muß sich befassen,

wer verstehen will, was die Mehrheit der des Lesens Kundigen damals den

Schriften der „Gruppe 47“ vorzog — und warum.


„Donnerstag, 15. Oktober 1953, 20 Uhr, im Saale des Germanischen

National-Museums (Eingang Karthäusergasse)

Unser langjähriges Mitglied, der Dichter Emil Bauer, liest aus eigenen Werken

Hierzu ergeht herzliche Einladung

Eintritt frei!

Dr. von Herford

1. Ordensvorsteher“



Am 8. Mai 1956 übernahm die Nürnberger Zeitung wieder einmal einen

Bericht der Schriftführerin SOPHIE VON PRAUN (genau wie in der Vorkriegszeit):



„Dichterlesung

Emil Bauer beim Blumenorden


Es waren Stunden gespanntester Aufmerksamkeit, die ein stattlicher Kreis

von Mitgliedern und Freunden des Pegnesischen Blumenordens beim letzten

Vortragsabend erlebte. Emil Bauer, der der Gesellschaft schon lange angehört,

las eine neue Erzählung: ,Geoda Hillerin‘, die gegen Ende des 30jährigen

Krieges 1648 im Schwabenlande, in Tuttlingen, der Haller Gegend und in Heilbronn

spielt und mit lebhaftesten Farben die Zeit größten Elends und bitterster

Not malt. […] Wie mit knappen Worten menschliche Roheit [sic] aber

auch Reinheit der Liebe und Freundestreue geschildert wird, das verrät jene

schöne dichterische Begabung, die wir bei Emil Bauer schon lange kennen.

S.v.P.“



Am 13. Dezember 1956 schaffte er es sogar ins Feuilleton der Nürnberger

Zeitung; der Berichterstatter sympathisierte offensichtlich mit seiner Situation:



„Emil Bauer las

Beim deutschen Kulturwerk


Der einleitende Teil des Leseabends war der Lyrik gewidmet. Gedichte wie

,Dem letzten Soldaten‘, ,Alle ihr Toten‘, ,Einer greisen Mutter‘ zeugen von

Gefühlstiefe und beanspruchen Beherzigung. Im zweiten Teil las der Schriftsteller

seine Novelle ,Der Wirt zum Römischen Kaiser‘ vor, die in schalkhafter

Form und geschliffenen Dialogen die historische Begegnung des Kaisers

Josef von Österreich mit dem Herzog Karl Eugen von Württemberg und dessen

Freundin, der Gräfin Hohenheim, in Stuttgart erzählt.

Jugend war nicht anwesend. Sie stellt sich wohl die Pflege des europäischen

Geistes anders vor. — M.“



„Jahresbericht 1957


[…] Am 8. März las Emil Bauer anfangs einige seiner mahnenden Gedichte

zum Zeitgeschehen und eine Erzählung ,Der Dorfpfarrer von Caldarello‘,

ein Gipfel von geistlicher Demut […]“



„Jahresbericht 1960


[…] Am 27. Mai las unser Ehrenmitglied [EMIL BAUER] seine neuesten

[„Werke“ vergessen]. Diesmal war es eine heitere Erzählung ,Barbara, das

grüne Kleid und der magische Kreis‘, eine Liebesgeschichte, ganz unmodern,

die er dem Blumenorden widmete und die wohl alle froh stimmte. Er stellte

sie etwa in den Beginn des 20. Jahrhunderts.“



„Jahresbericht 1963


[…] Am 22. März las […] Emil Bauer in einem leider engen Raum des

Hotels am Sterntor […] seine Novelle ,Der Diener Georg und der Berg des

Gerichts‘, die nach allen Regeln der Kunst gebaut ist und deren anschauliche

Sprache sich von Vornehmheit bis zum Volkstümlichen spannt. […]“


„Das kluge Fräulein von Rindsmaul“ (1960) ist auch so eine Novelle, an

der sich EMIL BAUERs Eigenart gut studieren läßt. Sie ist zugänglich in der

Bücherei des Pegnesischen Blumenordens, die sich im Germanischen Nationalmuseum

befindet, und trägt dort die Signatur 8° P.Bl.O. 3826. In den einleitenden

Szenen wird eine gräßliche, dem Leser keinen Anlaß zum Mitleid

ersparende Mordbrennerei geschildert, die der Markgraf Albrecht Alkibiades

in Kunreuth beging. Das Jahr ist 1553, aber EMIL BAUER und seine Leser und

Zuhörer wußten aus eigener, noch nicht weit zurückliegender Anschauung,

worüber er schrieb. Und nun kommt die fabelhafte Verwicklung: Ein junger

Reitersmann spuckt dem Markgrafen deshalb ins Gesicht und ist davon, bevor

man ihm nachsetzen kann. Später stellt sich heraus, daß es sich um ein Reiterfräulein

gehandelt hat, und dann folgen noch einige muntere Sprüche mit

Nebenfiguren, von denen eine sich und seinem Hause eine Fehde und eine

Reichsexekution zuzieht. Die Hauptpersonen stehen auf verschiedenen Seiten

der Auseinandersetzung, in deren Verlauf das Schloß von Burgthann zu der

Ruine zerschossen wird, wie wir sie heute sehen, aber irgendwie geht doch

alles gut aus. Sprachlich und in der Methode der Personenzeichnung erinnert

diese Novellenkunst an nichts so sehr wie an „Der Schuß von der Kanzel“ von

CONRAD FERDINAND MEYER, stellenweise auch an dessen „Jürg Jenatsch“.

Wenn man das Entstehungsjahr außer acht läßt, ist EMIL BAUERs Novelle ein

ungetrübtes Lesevergnügen.



Dr. HEINZ SCHAUWECKER trat in ganz ähnlicher Weise vor das Publikum

und demonstrierte an historischen Vorgängen, was human oder inhuman sei.

Dabei bildete meist sein heimatkundliches Interesse an oberpfälzischen Orten

den inhaltlichen Hintergrund.



„Jahresbericht 1956


Im Februar wurde ein weiterer Genuß geboten durch den von Heinz

Schauwecker-Berching gestalteten Abend am 22. im Tucherbräustübl. […]

Einige Erzählungen ,Die Stunde der Vollendung‘ aus dem Leben Dürers und

,Gluck auf dem Dorfe‘ […] Auch einige heitere Erzählungen aus des Dichters

Jugendzeit […]“


„Linde an der Straße


von Heinz Schauwecker


Immer stehst du mir am Wege,

früh und spät, zum Tag, zur Nacht,

ob ich achtlos nur vorüberfege,

ob ich im Vorbei dir zugelacht.


Dein vertrautes Bild grüßt mich von ferne,

treulich hältst du an der Straße Wacht,

daß mein Herz verstehen lerne

deine Stille, hab ich oft bedacht!


Deine Blätter rauschen leise,

lind vom Abendwind bewegt;

glücklich lauscht mein Herz der Weise,

da ich mich bei dir ins Gras gelegt.


Du bist nie vom Platz gekommen,

seit dich Gott aus deinem Samen rief,

und hast dennoch mehr von ihm vernommen,

als ich, der ich seine Welt durchlief!


Der Dichter-Arzt Heinz Schauwecker liest heute abend, 19.30 Uhr, in

Nürnberg im Luitpoldhaus aus seinen Werken. Das obige Gedicht entnahmen

wir dem kleinen Gedichtband ,Worte an dein Herz“, das [sic] vor kurzem im

Verlag Michael Laßleben (Kallmünz) erschienen ist.“



Die letzte Verszeile dieses Gedichtes ist rhythmisch derart verstopselt, daß

es schmerzt.



„Heinz Schauwecker las im Luitpoldhaus


[…] Dr. Heinz Schauwecker, geborener Regensburger, durch drei Jahrzehnte

Arzt in Nürnberg, jetzt in Berching als Landarzt tätig […] Die Menschheit

verlor in zwei Weltkriegen mehr als nur sich selbst. Dünkt sich der Mensch

auch noch so groß, jedem — auch dem, der Gott versucht! — ist seine Grenze

gesetzt. […] eine glückverhei.endere Zukunft wird winken, wenn die Völker

nicht auseinanderstreben, sondern zueinander. Ihre Dichter, nicht ihre Politiker

scheinen berufen, die Annäherung zu fördern.


So ungefähr lautet der Tenor, der in allen Gedichten und Novellen von

Schauwecker zum Ausdruck kommt. Mag sein, daß seine Schöpfungen, die

man nicht missen möchte, in ihrer dichterischen Aussage mehr gemüt- und

gefühlvoll im Sinne des Lebrecht-Hühnchen-Dichters Seidel oder Rudolf

Presbers sind und daß sie den Familienzirkel stärker erwärmen wie [sic] die

gärende Jugend samt ihren vielseitigen, modernen Problemen um Politik,

Film und Sport. […]“



„Heinz Schauwecker las beim Pegnesischen Blumenorden


Herzlich begrüßt von den zahlreichen Besuchern erfreute und fesselte das

langjährige Mitglied des Blumenordens, Heinz Schauwecker-Berching, die

Anwesenden mit der Lesung eigener neuerer Werke. Von seinem ,Neumarkter

Zeitenspiel‘, das am 8. Dezember bei der festlichen Einweihung des wiederaufgebauten

Rathauses in Neumarkt zum erstenmal aufgeführt wurde, gab der

Dichter anschauliche Ausschnitte […] Aus einem Roman ,Das Leben des

Haug von Parsberg‘ erstand vor den Hörern ein Bild der Ritterzeit […] Mit

einer kurzen Liebesgeschichte aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs mit ernstem

Geschehen im Hintergrund und einem wohltuenden Ende wurde der

zweite Teil des Abends eingeleitet. […] Zum Ausklang las Heinz Schauwecker

stimmungsvolle Gedichte, von denen eines seinem neuen Gedichtbüchlein

,Worte an dein Herz‘ entnommen war. […] In Schauweckers Spiel

und Erzählungen bewundert man besonders die große Geschichtskenntnis und

die lebensvolle bildhafte Darstellung. […] S. v. P.“



„Jahresbericht 1955


[…] Für Montag, den 24. Januar war in den Saal des Lorenzer Gemeindehauses

zu einem Nürnberger Dichterinnenabend eingeladen worden. In Hildegard

Hammerschmidt lernten die Zuhörer eine Lyrikerin kennen, die mit vollendetem

Ausdruck ihre fein empfundenen Gedichte las, aus denen sowohl

zartes Verständnis für die Natur und ihr wunderbares Geschehen als starkes

mütterliches Erleben spricht. Hildegard Malter, die ausgezeichnete Kennerin

des Tyroler Landes und Volkes, seiner Sagen u. Sprache, fesselte mit einer

geheimnisvollen Erzählung, ,Die Häppin‘. Zum Schluß führte Margarete

Ungemach, die in diesem Kreise auch nicht fremd ist, die Anwesenden in ihre

tiefe Gedankenwelt ein, die sie in Verse von edler Form zu gießen weiß. […]


Am 14. Juni war ein Thea Metzlerabend im Germanischen Museum. […]

Der Saal des Germanischen Museums reichte für die vielen Hörer fast nicht

aus. […] Historisches wechselte mit dem Sinngedicht, Lyrisches mit der Ballade.

[…] In Herbert Frank und Jenny Born fand die Dichterin gute Gestalter

ihrer Werke. Gertraud Lang-Gailer, von Leonhard Stirnweiß begleitet und der

Nürnberger Quartettverein unter der Leitung von Karl Sorg boten schöne

Überleitungen zu den Dichtungen.“



Damals machte aber auch schon ELISABETH FÜRST von sich reden:

„Unser jüngstes Mitglied, d.h. jedenfalls eines der neuesten Mitglieder, Frl.

Elisabeth Fürst, ist die Dichterin eines in der Aula der Zeltnerschule vor

Weihnachten aufgeführten Krippenspieles, ,Nürnberger Weihnacht‘ […] Im

Rundfunk wurde das hübsche Spiel am 1. Weihnachtsfeiertag gleichfalls aufgeführt,

wie das erstemal mit musikalischer Umrahmung […] geleitet (und

komponiert) von Waldemar Klinck.“


Doch auch ELISABETH SCHNIDTMANN, die schon in den 1920er Jahren unter

ihrem Mädchennamen LEFFLER publiziert hatte, wurde beachtet:



„Feuilleton: Das Gedicht


Haben wir noch Zeit und Sinn dafür?

Wir sind Gehetzte, jagen dem Erwerb nach, und wer die Zeit hat, dem wird

auch das Vergnügen noch zur hektischen Hast.

Dem Feuilletonisten geht es nicht anders. Wenn er spät nach Hause

kommt, sehen ihn vorwurfsvoll Neuerscheinungen an. Er mag gar nicht hinsehen,

greift aber schließlich doch nach einem schmalen Bändchen Gedichte

und beginnt zu lesen: […]


Trost


Schweige, schweige. — Jeder Schmerz

findet einmal heim zur Stille.

Auch dein Weg führt abendwärts.

Leiser werden Wunsch und Wille.


Stiller wird, was dich bewegt.

Gleichen Schrittes gehn die Stunden.

Wenn dein Herz sich schlafen legt,

hast du Weg und Ziel gefunden.



Zwischen Tag und Nacht


Vom Tag zur Nacht: Der Weg ist weit.

Vom Dunkel weit zum Licht.

Es rinnt der Tag. Es rinnt die Zeit.

Wohin — ? Wir wissens nicht.


Ob schwer das Leben, schwer der Tod?

Ich weiß nicht Ja und Nein.

Gott steh uns bei in unserer Not.

Wir wollen tapfer sein.



Legt man das Büchlein beiseite, so fragt man sich: Ist das Gedicht wirklich

unzeitgemäß geworden in der Hast des technisierten Jahrhunderts? Gewiß, die

stillen, genießerischen Stunden sind selten geworden. Aber müßte nicht

darum ein kurzes Gedicht erst recht am Platze sein, damit die Seele uns nicht

ganz verkümmert? […]

Der Anfang ist ja gemacht, mit dem Gedichtbändchen, von dem hier die

Rede war. Die Nürnberger Lyrikerin Elisabeth Schnidtmann-Leffler hat es

geschrieben. ,Der singende Brunnen‘ heißt es und ist im Lorenz-Spindler-Verlag

(Nürnberg) erschienen. — M. Sp.“



Aus der Zeit um 1954 stammt folgendes Gedicht:



„Ich aber weiß

von Elisabeth Schnidtmann


Ich aber weiß,

daß alles, was wir suchen,

längst in uns lebt

als leises Licht.


Als ungestilltes Sehnen,

tief und groß.

Noch unvollendet —

doch dem Reifen nah.

Vielleicht als Ahnen nur

um ungewußtes Sein —


Greif nach dem Tiefsten!

Was du suchst,

ist dein. — ”


Auf der Rückseite dieses Papierschnitzels steht:


„Goslar (dpa). — Zu Tumulten und Zwischenfällen kam es am Samstag

bei dem Bundestreffen des ,Stahlhelm‘ in der alten Kaiserstadt Goslar, wobei

fast 100 Demonstranten von der Polizei verhaftet wurden. Gleichzeitig hatte

der DBG gegen das Stahlhelm-Treffen zu einer Protestversammlung in Bad

Harzburg aufgerufen.“



„Jahresbericht 1956


[…] Zwei bekannte Nürnberger Dichterinnen boten am 12. Juni Stunden

schönsten Einklangs; Elisabeth Schnidtmann und Elisabeth Fürst […] Elisabeth

Fürst zeigte sich als feine Beobachterin der Natur und als ebensolche Kunstkennerin.

Am Schlusse führten Verse ihres eigenartig schönen [unleserlich] Liederbuches

uns in eine ganz andere Welt. Elisabeth Schnidtmann begann ihre

Lesung mit einer reizenden kleinen Erzählung ,Das Reichsträßl‘ [?] […] Sie

schloß den Abend mit einer kleinen Erzählung ,Frau Silvias Bild‘ […]“



„Jahresbericht 1957


[…] Am 8. Februar hörten wir Werke von den Nürnberger Dichterinnen:

Margarete Ungemach, Hildegard Malter-Sturm und Elisabeth Fürst. Es war ein

sehr gut besuchter Abend. […] ,Als Adam und Eva alt waren‘ und ,Der seltsame

Heilige‘ wieder ein Zeugnis ihrer [MALTER-STURMs] schönen Begabung […]“



„Jahresbericht 1958


[…] am 24. April. Wieder einmal hörten wir mit Freude Elisabeth Fürst

ihre feingefühlten Gedichte sprechen. Sie ließ die Hörer an einer Frühlingsfahrt

nach Sizilien teilnehmen. Ihre Begleiterin […] hat wundervolle Farblichtbilder

aufgenommen und gezeigt, die mit den Gedichten in feinem Einklang

zusammenstimmten. Laura Gagstetters edles Spiel von Werken Liszts

und Anderer gab dem Abend noch eine besondere Weihe.“




Neuere Stimmen



Ein Traditionsbruch oder so etwas wie ein „Diskurswechsel“ unterblieb;

es war dem Blumenorden gemäß, daß sich eine Schicht etwas jüngerer

oder erst neuerdings auftretender älterer Autoren unter die hervorgehobene

schob und sie abhob.


„Daisy


Plauderei von Karl Burkert


Es war um die Zeit der Baumblüte, als sie erstmals auf ihrem Kraftrad an

mir vorbeizischte. Teufel auch, welch ein Tempo! Ich hatte mich fast erschrocken

vor diesem kleinen Ungeheuer. Noch im Nachsehen verspürte

ich einen gelinden seelischen Schock. Ihr kupfern schimmerndes Haar

flog hinter ihr, lag auf dem Wind. Sie mußte jung sein. […]

Ulrike oder Käthchen konnte sie nicht gut heißen. […] Das waren die

Namen unserer Mütter und Gro.mütter, und sie waren damals schön. Ich

nannte sie also Daisy bei mir. Warum ich im Augenblick keinen deutschen

Namen für sie finden konnte? Nu, Daisy klingt jedenfalls schnittig und nervig.

auch die weiblichen Namen haben ihre Zeit, und man muß zwischen

biedermeierlichen und modernen Empfindungen zu unterscheiden wissen.

[…] Hand aufs Herz, ich habe noch nie ein Faible für die Benzinbranche

gehabt. Holunderblüte und Sternenlicht […] das sind so die Dinge, die

ich liebe. Womit nicht gesagt sein soll, daß ich alles Industrielle und

Mechanistische ablehne. Und dieses Mädel, ich mußte es zugeben, war im

Grunde doch recht guter Stil. Wie in ihr das Fieber der Zeit pulste! […]

Es ist wohl nicht zu bestreiten: in einem Sinne mutet dieser moderne

Frauentypus etwas nüchtern an, allzu sachlich. In einem andern aber

könnte man ihn geradezu heroisch finden, fast hätte ich gesagt antik. Es

gibt eine Theorie, wonach der Mann die Tat, die Frau das Gefühl verwaltet.

Ob das aber unverbrüchlich richtig ist? Noch immer richtig in dieser

kampferfüllten Welt? In Daisy braust jedenfalls ein fast unbezähmbarer,

erstaunlicher Wille. Sie liebt das Tempo bis zur Ekstase, und die Ekstase

macht die Dinge tief. […]“



Plaudereien dieser Art waren Bestandteil der Wochenend-Ausgabe eines

jeden Blattes, das etwas auf sich hielt. WILHELM MALTER, dessen schriftstellerische

Arbeit sich keineswegs in Mundartlichem erschöpfte, war auch ein Lieferant

solcher Texte, und in einem reflektiert er sogar auf sein Metier:



„Poet zur Weihnachtszeit


Plauderei von Wilhelm Malter


Von Lyrik wollen die Leute das ganze Jahr über wenig wissen. Sie spüren

irgendwie den Gegensatz der hohen Worte zu der grausigen Nüchternheit

ihres Alltags. Dichter wagen ihre Verse nicht mehr zu versenden, Verleger

wagen es selten sie herauszugeben, weil sie fürchten, daß ihr Geld, das sie

hineinstecken, nicht arbeitet, sondern daß die schmalen Bändchen (an

dicke ist ohnedies nicht zu denken) Ladenhüter werden. Nach einigen Jahren

ist es dann soweit: Im Ramschkasten des Buchhändlers, der vor dem

Haus im Freien steht — fristen die Geistesblüten ihr jämmerliches Dasein.

Kriminalromanbegierige Hände legen sie entrüstet zur Seite, jeder greift

sie an und legt sie wieder zurück. Aber nicht immer ist nur der ehrgeizgeschwellte

Lokaldichter Hinterpampelhuber hier um einen Ramschpreis zu

erstehen, auch Gedichte von Hölderlin kannst du hier für zwanzig Pfennige

erwerben. Als ich das sah, gab es mir einen Stich durchs Herz. Arme

deutsche Kultur! — —

Aber einmal im Jahr läuft die Lyrik, läuft die holde Dichtkunst zu großer

Form auf. Das ist in der Zeit um Weihnachten. Man erinnert sich des Vereinsdichters.

Man braucht ihn. Bei der Weihnachtsfeier des Vereins soll

doch Stimmung herrschen, Weihnachtsstimmung. Wenn auch die Tombola

— früher hieß es Christbaumverlosung — das Hauptstück der Veranstal-

tung ist, das vor allem für den Herrn Vereinskassier nicht nur Deckung der

Unkosten, sondern auch einen erklecklichen Überschuß bringen soll.

Zuvor aber müssen die Mitglieder in Weihnachtsstimmung versetzt, Herz

und Gemüt müssen angesprochen werden. Sie sollen einen Hauch spüren

von dem unaussprechlichen Zauber des Heiligen Abends in unserer Kinderzeit,

als sie der Bescherung im Elternhaus entgegenbebten. Wer ist

imstande, diesen Zauber einzufangen, festzuhalten, in gedrechselten Worten

wiederzugeben? Nur der Vereinsdichter. […]“



Ausblicke auf prominente Autoren, alt und neu


Viele hatten mit der Wohnung auch ihre Büchersammlung verloren, andere

die berühmten Autoren, welche im „Dritten Reich“ verfemt oder unter

der Glasglocke der „Inneren Emigration“ verborgen waren, nie kennengelernt.

Das Aufholen solcher Kenntnisse beschäftigte noch jahrelang die Verlage,

aber auch die Kulturvermittler. Daneben fand Rückversicherung am unstrittigen

Erbe der deutschen Dichtung statt.



„[…] 1) Samstag, den 10. 4. 54 um 20.00 Uhr im Bamberger Hof, Nürnberg,

Königstraße, spricht [sic] Monika Dellert aus Werken von Werner Bergengruen.

Programmfolge:

I Die Sultanrose (Novelle), Die himmlische Rechenkunst,

Die ewigen Wälder, Die Heimkehr.

II Aus „Himmelreich auf Erden“ (Roman), Die verborgene Frucht, Die

Flöte, Du hast den Tag ertragen“



„Jahresbericht 1955


Am 17. Juni fand im Hörsaal des Germanischen Museums, der festlich

geschmückt war, eine Schillerfeier statt, von Quartettsätzen Beethovens und

Schuberts, gespielt von Studenten des Konservatoriums umrahmt, hauptsächlich

durch einen begeisterten Vortrag von Karlheinz Schubert über ,Würde

und Auftrag des Deutschen‘ gestaltet wurde. [sic] Die Bezüge zum Heute, da

wir nach einem Zusammenbruch ohnegleichen uns wieder zu erheben beginnen,

wurden herausgehoben und Schiller als jener Denker herausgestellt, der

uns in seinem Dichterwesen helfen kann, neue Standarte [sic] für unser völkisches,

nationales und internationales Sein zu erarbeiten. — Es ist zu bedauern,

daß die Feierstunde nicht besser besucht war […]“



„Jahresbericht 1956


Am 15. Mai berichtete Herr Scheck, ein Vertreter der Schrag’schen Buchund

Kunsthandlung, aufschlußreich über Neuerscheinungen im deutschen

Schrifttum. Hans Scholz zeigte sich in seinem Buche „Am grünen Strand der

Spree“ als glänzender Erzähler. Über Werner Kellers „Und die Bibel hat doch

recht“ […] Aus Erhard Kästners wertvollem Werk „Die Stundentrommel“

wurde ein Abschnitt gelesen. […]


Den nächsten Abend, am 23. November, verdanken wir der Anregung und

Unterstützung unseres Ordensrates Freiherr Christoph von Tucher. Rudolf

Schumann vom Rundfunk Saarbrücken sprach über ,Franz Werfels Leben und

Werk‘. Nach einem kurzen Blick auf das Leben des Dichters, den er persönlich

kennt, gab er eine außerordentlich lebendige Einführung in die 1926

uraufgeführte Dichtung ,Paulus unter den Juden‘, die Werfel eine dramatische

Legende nannte, in der er den Augenblick einfangen wollte, in dem sich das

Christentum aus seinem Mutterboden, dem Judentum, löst. […]“



„Jahresbericht 1957


[…] Dr. Helmut Prang-Erlangen sprach aus Anlaß des bevorstehenden 89.

Geburtstags Hermann Hesses über ,Die Lebensalter in Hermann Hesses Dichtungen‘.

Da es zu den Aufgaben des Blumenordens gehört, der Gegenwartsdichtung

zu dienen, ist es selbstverständlich, daß in seinem Kreise auch Hesses

gedacht wird, […] Männer auf der Höhe des Lebens und auch alte Menschen

spielen in Hesses Werken selten eine Rolle. Aber Altersmilde, Gelassenheit,

Geduld und Humor treten in Erzählungen und Gedichten doch deutlich

hervor, wie in der Gestalt des alten Musikmeisters im Glasperlenspiel […

] Der mit Hesse freundschaftlich verbundene Vortragende verstand es ausgezeichnet,

den Hörern die tiefen Gedanken des Dichters zu erschließen. […]“


„Kultur und Unterhaltung

Hermann Hesse zum 80. Geburtstag

Sein Leben und sein Werk — Von unserem Mitarbeiter Dr. Artur Kreiner


Als Lyriker früh von den Romantikern, und durch seine Schülerromane

von der Jugendbewegung und den Schulreformern auf den Schild erhoben, als

Friedensfreund und Weltbürger von Revolutionären verehrt und von Nur-

Nationalen verdammt, von Literaturpsychologen analysiert und von Biographen

wieder zusammengesetzt, rang sich dieser Schwabe, von inneren Kämpfen

zerpflügt, durch seine treue zu sich selbst, zur Weltgeltung durch.


[… Skizzenhafte Charakterisierung der Hauptwerke und Lebensstationen…]


Zum Schluß geht uns die ,Nürnberger Reise‘, eine kleine Erzählung, besonders

an. Kann es sich Hesse auch leisten, darin fast mehr Seiten auf sein Kofferpacken

zu verwenden, als auf Nürnberg, so schaut er sich doch keinerlei

,Sehenswürdigkeiten‘ an, sondern läßt sich vielmehr von dem heute nicht ganz

vergessenen, frühverstorbenen jungen Dichter Wilhelm Kunze in stillen Gassen

in den Geist dieser alten Stadt [hier ist im Zeitungssatz geschlampt worden, und

es fehlt etwa: einführen. Indem er die] Zerstörung Nürnbergs erschüttert innerlich

voraussieht, erweist sich der Dichter ganz im antiken Sinn als Seher.

Doch er ist noch mehr: nicht das ist das wichtigste, daß Hesse Ring um

Ring, fast alle Preise und Ehrungen bis zur Weltgeltung errang (ja auch in

Mitteldeutschland eine Bibliographie mit 151 Nummern fand, und so, wie

Thomas Mann, geistig auch diese Grenze überbrückt), sondern daß er da  

heute, fast blind, am Seeufer sitzt und durch weltweiten Briefwechsel und

Rundfunkansprachen wahrhaft Wegweiser, Tröster und Hirte ist einer ungezählten

Seelenschar.“


"NZ Nr. 36 Seite 7 Montag, 13. Februar 1961

Besuch bei Rilke


Zur Nachfeier des 85. Geburtstages von Rainer Maria Rilke veranstaltete

der Pegnesische Blumenorden einen Vortragsabend. Dr. Fr. von Herford

begrüßte mit herzlichen Worten Dr. Gerd Kluge   […]


Es beginnt mit der Bitte um eine Besuchserlaubnis eines jungen Mannes,

der früher einmal in seinem studentischen Freundeskreis ein zwar unwissendes,̈

aber ehrliches Referat über Rilke gehalten hat. Diese, von dem Studenten

nicht für möglich gehaltene Begegnung fand dann am 3. April 1924 auf̈

Schloß Muzot [ statt.…]

Sehr bald gerieten beide in eine theologische Diskussion. Bald aber kam

man auf die Dichtkunst. Dabei zeigte sich Rilke sehr begeistert von dem Franzosen

Paul Valéry, der gerade seinen Besuch angekündigt hat. Weniger große  

Stücke hielt Rilke von Thomas Mann, den er auch persönlich kannte. Es wurde

auch Rilkes Begegnung mit Rodin geschildert. Rilke stritt jedoch entschieden

die allgemein verbreitete Meinung ab, er sei ein Sekretär Rodins gewesen.

Im Verlauf dieses Gespräches erwies sich Rilke als einer der ersten geistigen

Europäer. Typisch für ihn waren weniger sein ,Stundenbuch‘, als vielmehr seine

,Duineser Elegien‘ und seine Sonette, die um die Pole Leben-Tod kreisten.

Rilke und der junge Besucher nahmen um Mitternacht voneinander

Abschied. […]“



„NZ No. 72 27. III 62

Die Kunst des Thomas Mann


Dr. Walter Weiß, Dozent an der Universität Innsbruk [sic] […] führte […]

die Anwesenden […] in den Bau oft sehr kunstvoll gegliederter, langer Sätze

ein, machte auf die Verhältnissätze aufmerksam, die Hinzufügungen, die

Eigenschaftswörter, die Stabreime [gemeint: Alliterationen], die Zusammenfassungen

und Zuspitzungen, sowohl auf Spannungen und Widersprüche, als

auch auf das Ebenmaß der Sprache […]


Wir lernen Thomas Mann aber auch als vielseitigen Menschengestalter

kennen, doch was für diese Gestalten gilt, trifft nicht im gleichen Maße auf

die Landschaft zu, deren Bild wiederkehrt, wie es einmal gestaltet wurde. […]

Daß Thomas Manns Sprache nicht in erster Linie geschrieben, sondern

gesprochen ist, hörte man auf einer Schallplatten-Wiedergabe. […] erhob der

Vortragende am Schlusse die Frage, ob Thomas Mann doch nur Schriftsteller

und nicht Dichter war. […]“



„Jahresbericht 1963


[…] Der Höhepunkt des ersten halben Jahres 1963 war die Morgenfeier

zum 175. Geburtstag von Friedrich Rückert […] am Sonntag, den 19. Mai

vormittags 11h im Saale des Konservatoriums für Musik, bei der der Chor des

städtischen Konservatoriums unter Leitung von Oberstudiendirektor Dr.

Robert Seiler und Kammersänger Domgraf-Faßbaender mitwirkten. Im Mittelpunkt

stand der Festvortrag unseres Mitglieds Universitätsprofessor Dr.

Helmut Prang-Erlangen. Der Vortrag ,Friedrich Rückert als Hüter der Sprache‘

war nach Form und Inhalt ein wahres Meisterwerk. […] Sein [Rückerts]

Werk war ein dienendes Erfassen der Sprache. […] daß Alle, die in dem bis

auf den letzten Platz besetzten Saal den fein gegliederten Vortrag hörten und

die Chorgesänge genossen, gewiß dankbar und sehr befriedigt waren.“



„Jahresbericht 1964


[…] Eine schlichte Shakespearefeierstunde fand am 5. Juni statt, in der Studienprofessor

Hugo Büchner-Altdorf sprach […] Werner Hendelmeier, cand. jur., trug zum Schluß noch außer

dem 55. Sonett den Monolog Hamlets vor […]


Am 13. November […] Prang […] ,Vom Ernst des Lustspiels‘ […] führte

die wieder zahlreichen Hörer vom griechischen großen Lustspieldichter Aristophanes

durch fast 2000 Jahre […] Molière, Lessing, Kleist, Shakespeare

und auch Moderne […]



Jahresbericht 1965


[…] am 28. Mai über Karl [sic] Sternheim oder Die Kritik am Bürgertum

[…] Professor Dr. Helmut Reichold […] Er [Sternheim] war ein Bürgerhasser,

der alle gelten läßt, die sich als Herrenmenschen ausweisen. […] faßte seine

Darlegungen zusammen in dem Satze, noch immer sei eine breite bürgerliche

Schicht die Gewähr für beharrende staatliche Verhältnisse.


Der 4. Juni brachte eine wertvolle Einführung in Goethes ,Stella‘ von Studienprofessor

Hugo Büchner […]


Zu einem Vortrag vom Deutschen Kulturwerk am 27. Oktober für den Dr.

von Herford die Beteiligung des Blumenordens zugesagt hatte, erschienen

erfreulicher Weise viele Pegnesen […] Es sprach der bekannte Südtiroler

Dichter Karl Springenschmid […]“




Kenntnisnahme einer andersartigen Zeitgenossenschaft



Während Literaturwissenschaftler wie ULRICH FÜLLEBORN sich am

Begriff der „Moderne“ abmühten und im Hinblick auf Autoren wie

Franz Kafka, Hermann Broch, Jean-Paul Sartre, Albert Camus oder

James Joyce die Unterschiede zwischen bloßer Zeitgenossenschaft und gänzlich

anders begründeter Literaturästhetik herauspräparierten und damit den

Begriff der „klassischen Moderne“ aufstellten — post festum, natürlich —,

wurde der Pegnesische Blumenorden immerhin auf diejenigen schreibenden

Zeitgenossen aufmerksam (gemacht), deren Praxis in gewisser Hinsicht neuartig

war, ohne unbedingt modern zu sein.



„Jahresbericht 1967


[…] Am 10. Oktober sprach Oberstudienrat Dreykorn über Das Selbstverständnis

der hiesigen Schriftsteller. Er wies an verschiedenen Beispielen nach,

daß es dem Dichter nicht darauf ankommt, die Welt zu deuten, sondern sie zu

zeigen, wie sie wirklich ist. Es wurden viele Namen genannt, wobei man manche

heutigen Dichter kennen und verstehen lernte, wie Enzensberger, Gottfried

Benn, Max Frisch u. andere.“



Dr. PAUL DREYKORN war nach GEORG WIESZNER langjähriger Leiter des

Bildungszentrums (früher Volkshochschule); in den Blumenorden aufgenommen

wurde er erst im Juni 1993.



„Jahresbericht 1969


[…] Am 3. und 4. Mai fand in Feuchtwangen ein Wochenendseminar statt,

welches das Bildungszentrum der Stadt Nürnberg veranstaltete. […] ,Möglichkeiten

der Aktivierung des literarischen Lebens in Nürnberger Raum‘. Die

Teilnehmer waren Dichter des fränkischen Raumes, der Präses […] und […]

Prof. Dr. Prang […] und einige Journalisten.


1. Referat: Prof. Prang ,Wesenszüge der fränkischen Literatur‘


2. Referat: Dr. Inge Meidinger-Geise ,Fränkische Aspekte der Gegenwartsliteratur‘


3. Referat: Friedrich Bröger ,Institut für fränkische Literatur in Nürnberg‘


Außerdem wurde über die verschiedenen bestehenden Schriftstellerverbände

diskutiert [ Dr. von Herford bot für Zusammenkünfte von Autoren und

Gästen ein der Johanniter-Unfallhilfe zur Verfügung stehendes Zimmer im

Königstorturm an. Daraufhin fanden tatsächlich jeden Monat Autorentreffen

in diesem Raum statt, die aber gegen Ende des Jahres wegen Unstimmigkeiten

wieder im Sande verliefen.]



Dr. Dreykorn über ,Das Selbstversändnis heutiger Dichter […] Verbreitete […]

sich Dr. Traugott mehr über konventionelle Dichtkunst und ihren

schweren Standpunkt [gemeint: Stand] im Literaturmarkt der Gegenwart, so

betonte Dr. Dreykorn bewußt die moderne Richtung mit vielen Zitaten […]

Daß diese Werke nicht den vollen Beifall der Anwesenden fand [sic; "fanden"]

ergab sich aus der anschließenden Diskussion, in der gefordert wurde,

die Dichtkunst solle das Anliegen haben zu erheben und zu erfreuen, während

die Modernen mehr aggressiv und provozierend sind. […] (Bericht: MALTER)

Frau Dr. Inge Meidinger-Geise hielt am 27. Oktober einen Vortrag ,Prägt

der Dichter noch unsere Sprache?‘ […]



Jahresbericht 1970


[…] 10. November 1970 […]  Prang […] ,Das Menschenbild in den Werken

von Heinrich Böll und Friedrich Dürrenmatt […] Die Literatur unserer

Zeit bevorzugt Bösewichter, ruft also einen Wandel der Helden hervor, z.B.

Böll: Erzählungen 1921; Dürrenmatt: Dramatik 1917 [Das sollen die Geburtsdaten

sein, und die sind vertauscht.]

Heinrich Böll: Er schreibt über die Atmosphäre des Krieges, […] die zweite

Phase ist die Sorge der Heimgekehrten, […] das Leben der Großstadtmenschen

Kölns, Armut und Verschwendung, schale Unterhaltungen, Kirchgang;

die meisten Menschen sind aus der Bahn geworfen […] Später entlarvt er die

Gesellschaft der Adenauer Ära […] zeigt die Gleichgewichtsstörungen im

Seelischen, Wirtschaftlichen und Gesellschaftlichen; gelegentlich zeigt Böll

auch Humor, z.B. ,Ende einer Dienstfahrt‘ […]

Friedrich Dürrenmatt. Er schreibt gerne über geschichtliche Personen in

Zwielichtigkeit. Seine Komödien sind grotesk, makaber […] z.B. ,Der Besuch

der alten Dame‘ […] Wo bleiben auch die Helfer in der Not, die Liebenden,

Pfleger, die Lehrer, die Geistlichen usw.? […]“



Es war höchste Zeit, daß sich der Orden bereitfand (aus seiner damaligen

Sicht wohl „herabließ“), von Texten Notiz zu nehmen, die in allen Buchläden an

bevorzugter Stelle ausgelegt waren, von Theaterstücken, die in Schüler-

Abonnementsvorstellungen im Nürnberger Schauspielhaus gezeigt wurden, von

Autoren, die selbst unter Ingenieuren in aller Munde waren. Und ob diese

Schriftsteller unsere Sprache prägten! Zitate aus Dürrenmatts „Alter Dame“

wurden Familiensprüche wie sonst nur die drolligen Ausdrücke der kleinen

Kinder, und was die Lust am Schwarzen Humor angeht, so war man ja schon

längst bei Georg Kreisler angelangt und kaufte seine Schallplatten, als sich die

fränkischen Schriftsteller noch über ihren charakteristischen Beitrag zu dieser

Kultur Gedanken machten und in typischer Zwietracht nicht einmal den von

DR. VON HERFORD angebotenen Versammlungsort gemeinsam benutzen wollten.