Poesie der Pegnesen




Vierzehnter Abschnitt: Anlauf zur Postmoderne



Wie schon einmal in den Zwanziger Jahren, traten die bewahrenden bzw.

ängstlichen und die voranschreitenden literaturästhetischen Positionen

im Orden merklich auseinander. Die ersteren hielten an bei dem, was damals

schon bewährte Praxis gewesen war. Die letzteren erreichten unter Umgehung

der strengen Modernität eine handfestere, besser zu konsumierende Moderne,

die an den Rändern schon wieder ins Beliebige ausfranste. Bis etwa 1985

währt die Phase, in der beide Richtungen nebeneinander bestanden, vertreten

(unter anderen) von durchaus bekannten, jedenfalls in regionalen Literaturvereinigungen

an hervorgehobener Stelle wirkenden Persönlichkeiten. Von da an überwiegt jene Moderne

zweiten Ranges, der die Reflexion auf die schlechthin vergebliche Sinnsuche und deren

formale und sprachliche Mühsal abhandengekommen ist und ersetzt wurde durch das

verfügbare handwerkliche Modernisieren, wie es auch in Schreibwerkstätten geübt wurde.

Einzelne Spitzenleistungen, von hier und jetzt aus kaum zu identifizieren, entgehen diesem

Verdikt. Bemerkenswert ist überdies, daß „modern“ oder „herkömmlich“ nicht säuberlich nach politischer Einstellung der Autoren zu scheiden ist.




Gärung in den Schriftstellerverbänden



Unter den bekannteren Schriftstellern des Blumenordens vertraten HEINZ

SCHAUWECKER und später HERMANN KUPRIAN die bewahrende, INGE MEIDINGER-

GEISE und später GODEHARD SCHRAMM die erneuernde Richtung. Von

denen, die man eher als Freizeitdichter bezeichnen würde, kommen für die eine

Richtung HORST LUDWIG und für die andere JOHANNES GEIGER in betracht.

Allen gemeinsam, vielleicht mit Ausnahme des Amerikaners LUDWIG, wurde

die ungewollte Auseinandersetzung mit dem, was sich als die westdeutsche

Kulturrevolution von 1968 und den folgenden Jahren durchsetzte.



„6./7. 5. 1972 Seminar in Feuchtwangen: Zeitgeschichte im Spiegel des

gegenwärtigen deutschen Romans


Diese Veranstaltung fand gemeinsam mit dem Literaturzentrum Nürnberg

statt. […] Begrüßung durch Herrn Dr. Dreykorn […] Prang über ,Heinrich

Böll‘. […] Eine darauffolgende Diskussion belehrte [?] u.a. darüber, daß

jugendliche Teilnehmer sich zu einer Art Polemik hinreißen ließen, die aber

von Prof. Prang in hervorragender Weise ,beantwortet‘ wurde. […]

[…] Dr. Dreykorn über ,Günter Graß‘ […] Eine eingehende Stellungnahme

des Vortragenden zu Graß wurde leider vermißt. […]


Verlauf des 2. Tages:

Prof. Dr. Prag über ,Siegfried Lenz‘ […] Dr. Dreykorn über ,Uwe Johnson‘

[…] Wieder folgte eine längere Diskussion, die von Seiten jugendlicher Teilnehmer

mit der schon gewohnten Aggressivität & Schärfe geführt wurde.

Prof. Prang wußte hierzu die richtigen Worte zu finden. […]“



„12. 4. 1973: Vortrag Oberstudienrat H. Büchner ,Das Laienspiel‘


[…] Bei seinen Dankesworten wies Dr. v. Herford darauf hin, daß die

Kunst von heute aufrüttelnder, schockierender ist & wirkt, das ändert aber

nichts an der Tatsache: ,Wir sind für die alte Kunst‘.



10. 5. 1973: Vortrag Paula Schneider-Höllfritsch ,Josef Weinheber‘


Die Vortragende erwähnte eingangs, daß sie Weinheber noch persönlich

gekannt hat […] In Erinnerung an den 80. Geburtstag des größten österreichischen

Lyrikers nahm der englische Dichter & Kulturphilosoph Wystan Hugh

Auden Anlaß, auf den zu Unrecht in der breiteren Öffentlichkeit Vergessenen

mit einer feierlichen Ode hinzuweisen […]“



„27. 8. 1973

Johannes Geiger

Oberstudienrat


Dem ,Pegnesischen Blumenorden‘ und seinem Ordenspräses gewidmet

und zugeeignet, auf daß die Bestimmungen und Anforderungen, die einem

Ordensmitglied auferlegt sind, zumindest formal erfüllt sind.


Neun Gedichte zur Freiheit oder

,Zeilen im August‘

Geschrieben vom 1. bis 20. August 1973

I

Sie glauben doch wirklich Männer zu sein,

Wenn sie im Bette sich männlich gebärden;

Anderen werfen sie Dummheit vor,

Wenn sie fern von Zuhause

Hinter Kanonen sitzen

Und ratternd an Säulen vorbei paradieren,

Die die siegenden Väter einst zornig gestürzt.


Aber das Leben in Freiheit

Wollen sie alle genießen;

Sie wissen nicht mehr,

Daß Sklaven die Ketten und Peitschen

Sich selbst immer erst schufen.


Wer andern den Kampf und den Streit überläßt,

Endete schon immer,

Wie jener Bauer der dem Ritter schließlich

Die Frau in der ersten Nacht überließ.

So ist die Würde des Lebens

Im Mut begründet,

Sich selbst zu bestehen

Im Tod und Leben.


Und die Freien sind an das Opfer gebunden,

Das die einen für die anderen tragen.


Und frei ist also das Volk nur,

wenn es noch Männer besitzt.

[…]


VIII

Unsere Feinde, die andern,

Zwingen uns endlich,

Wir selbst nun zu sein!


Und aus dem Brunftschrei der Wut

Und den bohrenden Fragen

Bei Bier und verschlagenem Haß

Zu dem einzigen Worte zu kommen,

Das die dritte Entscheidung,

Die stärkste Gestaltung

Die reife Form unseres wiedergeborenen Seins

Schließlich ist.

Napoleons Herrschsucht zerschlugen

Herder und Fichte

Und Stalins Podest zerkrachte,

Weil der Alte am Rhein

Bismarcks Lektion gründlich verstanden.


Doch an uns ists

Die Feinde Europas

Die Schwärmer von Bonn

Vom Strande der Geschichte zu spülen,

Wenn wir den Sturm erst entfachen

Der ihren Hochmut zerpflückt.“


JOHANNES GEIGER trat auch für die Heimatvertriebenen und Spätaussiedler

ein. Dazu paßte, daß am 11. 3. 1974 Wolfgang von Welsperg im Blumenorden

aus eigenen Werken las, über den der Jahresbericht schreibt: „[…] 74 Jahre,

stammt aus Tirol & ist Vorsitzender der internationalen Kämpfergruppe für

Tirols Rechte. […] Er schilderte wahrhaft Erlebtes mit solcher Tragik,

abgelöst von wehmütig empfundenem Siegerbewußtsein, daß wir uns kaum

getrauten, ihm lauten Beifall zu spenden. […]“



Einige Tage später versandte Frau FUCHS an HEINZ SCHAUWECKER eine

Einladung zum Schriftstellertag in Nürnberg am 6. 4. 1974. Er sagte ab:


„25. III. 74

Sehr verehrte Frau Fuchs!


[…] da ich bereits eine Einladung […] zu einer Informationsreise nach

Berlin vom 4.-7. April angenommen habe, während der eine Präsidiumsitzung

des Freien Deutschen Autorenverbands (Präs. Hubertus Prinz v. Löwenstein

[…]) stattfindet. Ich gehöre als Beisitzer dem Präsidium des FDA an, der die

Gegengründung zum VS wegen dessen Abrutschen in die Gewerkschaft ist.

Alle nicht gewerkschaftlich gesinnten Autoren haben sich im FDA zusammengeschlossen.

[…] Ich müßte also, wenn ich zu der Fränk. Schriftstellertagung

kommen könnte, gegen Leute wie M. Gregor Dellin sprechen.

Wir Oberpfälzer […] sind […] in der Regensburger Schriftstellergruppe

zusammengeschlossen […] Allerdings haben und pflegen wir keine Beziehungen

zu Dr. Glaser, Lattmann, Dellin u.ä. Leuten. Wir wünschen außerhalb der

parteipolitischen Machenschaften zu bleiben. […] Uns geht es ums Schrifttum,

nicht um gesellschaftliche Veränderung u.a. ideologischen Dogmen. […]

Ich möchte nicht im Jahr meines 80. Geburtstags in parteipolitische Streitereien

verwickelt werden und Ärger haben. […] Ihr Heinz Schauwecker



den 24. 4. 74

Sehr geehrter Herr Dr. Schauwecker!


[…] Wir sind ja an Überraschungen gewöhnt, aber es war nach 2 Stunden

so, dass man wirklich nicht mehr wusste, was die ,Autoren‘ eigentlich wollten.

Dass H. Fels, der kürzlich den Kulturpreis der Stadt Nürnberg erhielt, in

einer unaussprechlichen Aufmachung erschien und während der ganzen (!)

Veranstaltung eine Kopfbedeckung, in der er auch schon mehrmals aufgetreten

war, aufbehielt, war noch das Mindeste. Frau Dr. Meidinger-Geise, Erlangen,

setzte sich sehr für die Autoren ein, wobei sie es nicht unterlassen konnte,

Seitenhiebe an [sic] den Pegnesischen Blumenorden und die ETA Hoffmann-

Ges. auszuteilen. […]

[Luise Fuchs]“



Wie war das mit den „Seitenhieben“?



„Inge Meidinger-Geise: Autorenprobleme aus fränkischer Sicht

Vortrag am 6. 4. 1974 beim Fränkischen Schriftstellertag im Konferenzraum

der Meistersingerhalle


[…] Heimatkunde, Landeskunde, Kunstgeschichte, Belletristik wenig, eher

Geistesgeschichte, ein wenig Mundartpublikationen — dies der Produktionsspiegel

der Nürnberger Verlage, voran Hans Carl und Glock und Lutz. Viel mehr sind

es gar nicht. In Würzburg sitzen doppelt so viel Verlage wie in Nürnberg […]


Es kommt mir vor, als stünden in einer Großraumküche lauter kleine

Kochherde mit lauter verbissen vor sich hin rezeptelnden Köchen. […] Maßstäbe

zu setzen, kühlte wohl zu sehr ab, ergäbe kaum Schlagzeilen. […]


Man kann die vollgültig als Schriftsteller Tätigen und Lebenden, die von

rein literarischer Arbeit im fachlichen und belletristischen Sinne existierenden

Autoren an den Fingern abzählen. […] es bleibt ein MIßverhältnis zwischen

Wollen und Können, bleiben die ständigen schwierigen Zweisprachigkeiten

von Laien und Profis, wobei der Ausweis für einen Autor die umstrittene und

gerade von den Hobby-Schreibern immer gekränkt mißdeutete Kongruenz

von Gedanke und sprachlich-formaler Gestaltung bleibt, was immer er vertritt

an Lebensanschauung und Gesellschaftskritik. […] In keinem anderen Metier

scheint das Material, hier also die Sprache, so billig verleugnet oder gemütlich

verschludert oder idyllisch verbohrt benutzt wie im schriftstellerischen. […]


Wir haben in Nürnberg […] den […] Pegnesischen Blumenorden. Was

könnte sich um diesen Namen gruppieren! Es gibt aber da weder Impulse noch

Anstöße — es gibt einige interessante Vorträge und Literaten demonstrieren

zuweilen ihre schreienden Gegensätze, wobei junge Autoren ausfallen. […]“



Man hat sich aber doch etwas sagen lassen.



„17. 9. 1974: Ordensratsitzung

[…] Anregung unseres Mitgliedes Dr. Inge Meidinger-Geise, die dahingehend

an die Aufgabe des PBO erinnert hatte, auch die zeitgenössische Literatur

zu Wort kommen zu lassen & sie zu Vortragsabenden einzubinden.

Da Fr. Dr. Meidinger-Geise die Garantie für Leistung, Aufmachung &

Benehmen von 2 jungen Literaten übernahm, wurde beschlossen, die Herren

Heydemann und Hartstock aufzufordern; […]“



Im September 1974 unternahm Prof. Dr. Werner Goez eine Exkursion nach

Rom mit den Erlanger Stipendiaten der Studienstiftung des deutschen Volkes.

Sein Assistent Günter Heydemann war auch dabei. Er erzählte mir, daß er bei

dem Pegnesischen Blumenorden aus seinem entstehenden Roman lesen

werde. Ich (KÜGEL) fand das merkwürdig, denn sowohl mein Deutschlehrer

LENGENFELDER als auch Prof. Dr. FÜLLEBORN hatten von diesem Orden nur

knapp und bedauernd gesprochen und ihn als eine Gesellschaft am Rande der

Auflösung dargestellt.


Unterdessen kam es zu der vielbeachteten Premiere des Weihnachtsspiels

eines der jüngeren Ordensmitglieder.



„8. 12. 74

Unser Mitglied, Frau Elisabeth Fürst, kann heute nicht hier sein, da ihr

Weihnachtsspiel ,Nürnberger Weihnacht‘ heute Premiere hat.

Wir machen darauf aufmerksam, dass das Weihnachtsspiel […] wiederholt wird:

am Sonntag, den 22. 12. 74, 17 Uhr 15, in der Frauenkirche und

Dienstag, den 24. 12. 74, 16 Uhr in der Frauenkirche.

Es spielen die Mitglieder der ,Hans-Sachs-Gruppe‘.

[…] Am 26. 12. 74 liest Herbert Lehner das Spiel von Frau Fürst im Rundfunk,

Bayern II von 13-13 Uhr 30.“



„18. 2. 1975: ,Junge Literatur in Franken‘


[…] In dieser Sitzung stieß Frau Dr. M.[eidinger]-G.[eise] sehr auf das

Wohlwollen des Ordensrates und so kam es zu der Zusammenkunft am 18. 2.

75, bei der Frau Dr. M.-G. ausführte, daß man wohl einen großen Sprung

machen müsse, um zu der jetzigen Literatur zu gelangen. Man müsse deren

Entwicklung in Franken sehr beachten, vor allem seit der Zeit nach dem Kriege.

Es sei durchaus nicht so daß man die vielen ungünstigen Eindrücke auf

alle jungen Dichter übertragen müsse und man sollte ,die Spreu vom Weizen

scheiden‘. Frau Dr. M.G. räumt den jungen Literaten viel von ihrer Zeit ein

und sie stellte uns ein ausführliches Referat zur Verfügung, das auf Wunsch

vorgelegt werden kann.


Herr Malter, der von Dr. v. H. als Gesprächspartner bestimmt worden war, der

viele der jüngeren Literaten und ihre Werke kennt, charakterisierte einige Damen

und Herren & gab so eine wertvolle Vorschau für die Lesungen am 4. 3. 75. […]“



„Am 8. 3. 1975 [hs.]

Liebe Frau Dr. Meidinger-Geise!


[…] will ich Ihnen nun über den 4. 3. einiges mitteilen. […] Von den Pegnesen

waren nur Wenige erschienen. Vielleicht lag das u.A. an einer vollkommen

daneben gegangenen Veröffentlichung in der NZ. Presseleute waren trotz

meiner warmen Worte nicht erschienen. Heydemann und Hartstock waren

pünktlich zur Stelle […] Selbstverständlich erwarb ich die Hefte von Hartstock,

die mir, nebenbei gesagt, gut gefallen. […] Ehrlich gesagt: Ich war von

dem Gehörten angenehmst überrascht & und ich kann Sie jetzt mehr den je

verstehen & bewundern. Reger Beifall von Seiten der Pegnesen & Anerkennung

durch Dr. v. H. waren durchaus angebracht, ebenso die von Dr. v. H.

geäußerte Absicht, die jungen Autoren ein ander Mal wieder bei den Pegnesen

zu sehen bzw. zu hören. […] [Luise Fuchs]“



Wer will die jungen Autoren verstehen, wenn er nicht die alten verstanden hat?



„18. 11. 75, Herr Prof. Dr. Prang spricht über „Rainer Maria Rilke“


[…] brachte uns in einem ausführlichen Vortrag Rilke von einer ganz

anderen Seite nahe, als man es sonst gewohnt ist. […] Er hatte den Mut, die

alltäglichen Worte zu verwenden. […] Anfänglich ein Modedichter, war er

sehr anpassungsfähig. Ab 1902 schrieb er am ,Buch der Bilder“, ab 1905

nahm er sein Hauptwerk, das ,Stundenbuch‘ in Angriff; aus diesem: ,Der

Mensch ist auf dem Wege zu Gott, Gott ist in uns, zwischen uns u. jedes Ding

kann Gott werden.‘ […] Herr Dr. v. Herford betonte bei seinem Dank an den

Redner, daß nicht nur er, sondern sicher auch viele der Anwesenden den Dichter

Rilke als Buch in seinem Bücherschrank stehen hätte, ohne zu ahnen, wie

lesenswert diese Schriften seien. […]“



Er konnte umwerfend ehrlich sein.



Verpaßte Gelegenheiten


Dank INGE MEIDINGER-GEISE gelang dem Blumenorden der Anschluß an

die zeitgenössische lokale Poetenszene, wenn auch nur in Gestalt etlicher

Lesungen. Daß daraus keine Mitgliedschaften wurden, lag nicht so

sehr an mangelnder Aufgeschlossenheit als daran, daß der Orden keine Honorare

zahlte — und an einer persönlichen Tragödie.



„Erlangen, den 23. 7. 75

Verehrte, liebe Frau Fuchs!


[…] Sie bekommen, wenn es als Buch erscheint, meinen Einakter ,Sünden-

Brand‘! Ein deftig, kritisch, rasantes Stück im Erlanger Dialekt, ein ,Volksstück‘

mit groteskem Humor über ein idyllisches Bordell, über dessen Brand  

sich die (keineswegs heiligen!) Dörfler freuen und dessen Zündler ermittelt

wird. Ich habe kein Blatt vor den Mund genommen, daß alles trotzdem nicht

ordinär wurde, hat, so hörte ich gestern wieder von einem Dramatiker aus der

Schweiz, den einer aus der Jury besuchte (der ein großartiges Urteil abgab über

mein Stück) entzückt! Mit Kusz habe ich da nichts zu tun es sind vier Ausgezeichnete —

jedes Stuk anders und von der Jury als gleich gut beurteilt.  […]


Der ,Orden‘: Ja, da hilft denn alles nichts! Solche gewitzten Leute wie die

vom KVE, zu denen Wiedemann zählt usw., die sich mit ihrem teils wenigen,

teils echten Können (Oskar Koller!) die Bälle zuspielen, überrunden. Es kann

einen nicht wundern. Daß Sie sich vor manchem ekelten — wie sollte ich das

nicht verstehen! Vor langen Jahren saß Hans Magnus Enzensberger in der

Theaterwoche neben mir, barfüßig, und roch so nach Schweiß, daß ich wegmußte!

Die neue Garde — zurück zur Steinzeit! Dabei bleibe ich dabei: Der

[Ludwig] Fels kann was, ich bin neugierig auf seinen neuen Roman, den

ersten!! Ich kann darüber gern mal im Winter sprechen beim Orden — oder

man lädt Fels mal ein, dann aber mit Gästen! Mut, Mut — es wäre viel

gewonnen! Ich rege das einfach an. Ich kann verstehen, daß Sie genug haben.


Über den liebenswürdig-schillernden RA v. H. darf ich natürlich als Anwaltsfrau nichts sagen… […] Ich glaube, v. H. ist nicht zu erschüttern, er kapiert manches gar nicht. Das ist der heutige Karrieretyp! […]

Inge Meidinger-Geise“

Der abgelichtete Einblatt-Druck aus „Reutlinger Drucke, Erste Ausgabe,

Zehntes Jahr, März 1975“ zeigt Meidinger-Geise von ihrer satirischen

Seite: ohne übertriebenen Aufwand knackig formulierend und fabulierend mit

Überraschungen, aber immer präzis. Er findet sich im Pegnesenarchiv unter der Signatur 177.



„6. 11. 75

Sehr geehrte Frau Fuchs,


wie mir Frau Dr. Meidinger-Geise kürzlich schrieb, würde der Pegnesische

Blumenorden Lesungen fränkischer Autoren veranstalten. Selbstverständlich

bin ich grundsätzlich und gerne bereit, hier mitzumachen. Für dieses Jahr

dürfte es wohl kaum noch in Frage kommen — und im nächsten richte ich

mich eben nach Ihnen. Vielleicht ab März, die Wintermonate sind mir schon

wegen der Fahrerei unsympathisch.


Es genügt vollkommen, wenn ich einen Termin beizeiten erfahre und ich

würde mich freuen, bald Näheres von Ihnen zu hören.


Mit freundlichen Grüßen!

Ihre E. Engelhardt“



Die in Leerstetten beheimatete Elisabeth Engelhardt hat später große

Beachtung gefunden, und ihr Text „Zwischen 6 und 6“ wurde sogar in ein

Schulbuch aufgenommen. Alle zwei Jahre verleiht der Landkreis Roth-Hilpoltstein

den „Elisabeth-Engelhardt-Preis“ an junge Literaten aus seinem Gebiet.



„Erlangen, den 12. 11. 75

Liebe Frau Fuchs, […] Ich meinte, daß man evtl. den Damen eine freie

Bewirtung gibt und Frau Tzscheuschner aus Ansbach evtl. ein kleines Fahrgeld?

[…] Ich hoffe, ich kann am 20. 1. 76 zu der heiteren Lesung kommen,

ich hätte so manches dafür. Für mich ist auch nur das Problem der Fahrt —

die Busverbindung ist schier unmöglich geworden, den letzten Zug kann und

will ich nicht nehmen, es ist zu gefährlich. Auch nehmen die Taxen enorme

Preise, Sie kennen das alles… Es ist grotesk: Ich arbeite fleißig und die Gelder

gehen drauf für eben diese Arbeit! […]

Meidinger-Geise



Erlangen, den 5. 6. 76

Liebe, verehrte Frau Fuchs!


[…] Ich muß Sie davon unterrichten, daß ich aus unliebsamen Interna ab

dato dem Verband Fränkischer Schriftsteller nicht mehr angehöre und mich

überhaupt distancieren muß von jedem Urteil, jeder Förderung im Zusammenhang

mit fränkischen Autoren, die ich über den Verband usw. versuchte,

bekannt zu machen. Nun hatten wir den 26. 10. mit Lesung Frau Engelhardt und

Frau Tzscheuschner ausgemacht bei den Pegnesen. Ich kann aber schlecht unter

diesen veränderten Umständen die Einführung machen, das hat — glauben Sie

mir! — nichts mit den beiden von mir geschätzten, unterschiedlichen Autorinnen

zu tun. […] die beiden Lesenden können sich ja selber vorstellen, evtl. kann

ja auch Frau Fürst, die beide kennt, als Verbandskollegin das übernehmen. […]

Meidinger-Geise



den 18. 6. 76

Sehr geehrte Frau Dr. Meidinger-Geise!


[…] Ihr Vorschlag, Frau Fürst als Ihre Stellvertretung zu nehmen, ist für

meinen Sohn und mich nicht annehmbar, da sich da ein sehr ungutes Verhältnis

gebildet hat. […]

[Luise Fuchs]



Erlangen, den 20. 6. 76

Verehrte, liebe Frau Fuchs,


zwischen zwei Reisen diesen Seufzer: Ich mache Ihnen nicht gern diesen

Kummer — aber diese sehr dumme und sehr böse Sache kann ich Ihnen nur

mal erzählen. Ich habe gute Gründe, erst einmal allem, was im Verband fränk.

Schriftsteller ist, aus dem Weg zu gehen. Obwohl das weder mit Elis. E. noch

mit Frau Tzsch. zu tun hat. Verbleiben wir so: Geht es gar nicht anders — wir

haben ja noch viel Zeit! — so mache ich es als Mitglied des PBO und werde

das dann ausdrücklich bemerken — oder Sie sagen das! […] Mündlich mehr,

nur soviel: Es kam ein Gerede auf, das klarzustellen mir auf sehr ordinäre und

komplexhafte Weise verwehrt wurde. Da wurde ein ganzer Sack Neid und

noch mehr ausgeschüttet… […

Meidinger-Geise“



Immerhin war ELISABETH FÜRST nicht im Blumenorden als solchem abgeschrieben.



5. Juni 76, Autorenlesung: Frau Elisabeth Fürst u. H. Kurt Karl Doberer


[…] Besonders wertvoll war für uns, daß Frau Fürst z.B. Prosawerke las

und zwar aus neueren Manuskripten wie ,Protokoll' und ,Lyrik‘.


Herr Doberer machte uns mit seinen Werken z.B. ,Ruf der Sterne‘ und

,Wunder im Mond‘ bekannt, aus denen er einige Kapitel vortrug. […]



Und das, obwohl er immer ein Kämpfer gegen die "Rechten" gewesen war



„7. 5. 1977

Liebe Frau Fuchs!


Mit vielem Dank erhielt ich Ihren Brief von 24. 4. mit dem Durchschlag

des Briefes an Frau Demmert-Günther. Natürlich bin ich mit dem Brief und

Ihrer gesamten ,Amtswaltung‘ einverstanden. Nur habe ich Bedenken, ob es

aus dem 14.-15. Jahrhundert Musikstücke gibt, die heute noch ansprechen […]

Ich stelle mir aber vor, daß das Auffinden solch alter Musikstücke und die

Einstudierung ungemein schwierig ist und ich kann mir schon einigermaßen

vorstellen, was Frau D.-G. antworten wird. […] ich bin dafür, daß wir 1-2

Jahrhunderte weiter schreiten. Schließlich soll die Musik ja auch gefallen, die

Stilreinheit käme wohl in zweiter Linie. […]


Über den Literaten-Abend Dr. M.-G. [Meidinger-Geise] — […] Merkten

Sie die Betroffenheit von Dr. MG und Reichert bei der Anfrage Ihres Herrn

Sohnes? So in dem Sinne: Wie kann man solch eine Frage stellen, wo das

Reimlose doch so ,modern‘ ist. Ja, vielen Nichtskönnern ist es bequemer; ein

[Fitzgerald] Kusz glaubt ja, daß es damit getan ist, Aufgeschnapptes in der

Straßenbahn aufzuzeichnen. Nun, ich selber habe auch etliche reimlose

Erzeugnisse und ich muß bekennen, daß sich mancher moderner [sic] Stoff

reimlos besser sagt, daß Gereimtes manchmal gequält kommt. Aber im

Großen und Ganzen stimmt es eben doch, daß durch den Reim eine klingende

Wirkung entsteht. Und das wollen wir ,Konservative‘ beherzigen. […]

[Wilhelm Malter]“



„2. 5. 78

Liebe, verehrte Frau Fuchs!


[…] Herr Sahmann ist eine sensible Begabung mit Zufallstreffern. Ich

habe seinerzeit sein Buch, auf das er sich beruft, trotzdem ich immer wohlwollte,

weil er mir einerseits leidtat in seiner etwas isolierten Lage, sehr kritisch

besprochen im Funk und anderswo. Das nahm er mir rasend übel. […]

Sahmann ist insofern gefährlich, als er aufdringlich ist. […] Wenn Sie ihn

einladen zu einer Lesung, wird er nicht nur Fahrt und Quartier, sondern auch

noch ein Honorar verlangen. An sich ist das ja auch angemessen, aber doch

nicht nach Ihren Gepflogenheiten. Es ist ja auch nicht Ihre Sache, Verlage zu

vermitteln und Zeitschriften. […] Es tut mir sehr leid, daß ich so etwas schreiben

muß. Aber dieser Mann überschätzt sich maßlos, will gewissermaßen mit

der Schmalspur seiner dichterischen Begabung von Mäzenen ausgehalten

werden. Die Gesellschaft ist wieder mal an allem schuld.

Mein Rat: Schreiben Sie so lapidar und absagend wie möglich..  

Ich habe Herrn Sahmann immer wieder gebeten, Geduld mit sich zu haben

und an sich zu arbeiten und Kritik einzusehen. Statt dessen nimmt er übel!

[…] Inge Meidinger-Geise



den 11. 8. 79

Liebe Frau Fuchs,


[…] Ich muß mich entschuldigen — für lange wohl kann ich an keiner Pegnesen-

Veranstaltung teilnehmen. Mein Leben hat sich radikal geändert: Am 25.

6. erschoß sich mein Mann, er konnte nicht anders mehr! Nicht nur totaler

wirtschaftlicher Ruin, den er nicht aufhalten konnte, sondern 33 Ehejahre ein

betrügerisches Doppelleben, das mich in bittere Armut stieß. Ich habe nichts

mehr als mich, Möbel, Bücher, meine Arbeitskraft. Mein Mann kündigte ohne

mein Wissen alle Versicherungen, zahlte keine Krankenkasse mehr, meine kleine

Rente nicht! Tableau: Ich muß bis 65 arbeiten, schreiben zusätzlich, eine

Menge einzahlen, damit ich ab 65 850 DM monatlich habe! […] Ich weiß

eigentlich nicht mehr, warum ich lebe… […] Meine Sehnsucht wäre nochmal

eine faire Partnerschaft, eine Obsorge für einen Mann, der versteht, was mein

Leben war und ist.. aber das kann man nicht erzwingen, nur ersehnen… […]


Mit herzlichen Grüßen

Ihre Inge Meidinger-Geise



den 5. 9. 79.

Liebe Frau Dr. Meidinger-Geise!


Für Ihren Brief vom 11. 8 muss ich mich, trotz des erschütternden Inhalts,

sehr bedanken. […]


Die Tatsachen sind so schrecklich, auch die Folgen für Sie, und dennoch

müssen Sie sie hinunterwürgen und damit fertigwerden. […] Ich bewundere

Sie, seitdem ich sie kenne, und neben Ihrer Persönlichkeit Ihre schriftstellerischen

Erzeugnisse. […] wie ich Ihrem Schreiben entnehmen muss, waren Ihre

Ehejahre auch nicht immer rosig. Ich darf annehmen, dass Sie immer die

Kraft hatten, Ihrer schriftstellerischen Tätigkeit alles andere unterzuordnen

und Sie haben wirklich viel Erfolg gehabt und sicher auch viel Befriedigung

innerer Art dabei empfunden. Wollen sie jetzt, wo Ihnen das Schicksal einen

kräftigen Hieb erteilt hat, alles hinwerfen, wofür Sie Jahre Ihrer besten Kraft

und Intelligenz hingegeben haben? […]


Liebe Frau Meidinger! Ich weiß nicht, ob ich die richtigen Worte für das gefunden

habe, was ich so beim Lesen Ihres Briefes gedacht habe. Aber vielleicht tun Ihnen

einige wirklich wahr empfundenen Worte besser, als inhaltslose Floskeln.


[…] Auch der PBO würde sich über ein Wiedersehen sehr freuen, wobei es

sich als selbstverständlich versteht, dass ich Keinem ein Wort über den Inhalt

Ihres Briefes sagte.


Ein kräftiger Händedruck! Und viele liebe Grüsse sendet Ihnen

[Luise Fuchs]“



Für diesen verständnisvollen und ohne Hintergedanken aufbauenden Brief

ist LUISE FUCHS hoch zu achten, auch wenn sie es bei anderer Gelegenheit fertigbrachte,

INGE MEIDINGER-GEISE „die Geiß“ zu nennen.



„Erlangen, 8. 11. 79

Verehrte. liebe Frau Fuchs!


[…] bin durch Reisen und schwere Korrekturen für mein neues Buch, das

1980 im Januar erscheinen wird, beschäftigt. Auch meine feste Mitarbeit als

wissenschaftliche Mitarbeiterin beim Erlanger Kulturamt scheint zu klappen.

Dies nur, damit Sie sehen, ich lebe vorwärts. Stets herzlichst

Ihre Inge Meidinger-Geise“




Es kommt etwas in Gang



Von 2019 aus ist es schwer zu beurteilen, doch hat sich die Aufgeschlossenheit

des Vorstands und etlicher Mitglieder des Ordens gegenüber zeitgenössischen

Erscheinungen in Literatur und Gesellschaft um 1980 anscheinend

erhöht. Die konservative Grundeinstellung blieb erhalten, einige pflegten

sogar ihre Lagermentalität, doch der Präses und sein Vize — der eine gewissermaßen

in der Tradition des klugen Höflings, der andere ein weitherziger

Patrizier — wußten, daß man sich mit neuen Kräften gut stellen muß, um zu

retten, was zu retten ist.


So wurden beispielsweise folgende Autoren zu Lesungen gebeten: Dr. Karl

Hochmuth (Literaturpreis des VdK)19, Christa Schmidt (Erlangen) am 13. 4.

1980; Josef Karl Grund am 18. Mai 1982; und immer wieder: INGE MEIDINGER-

GEISE, die am 18. 10. 1988 den Wolfram-von-Eschenbach-Preis des

Bezirks Mittelfranken erhielt. Von den „Nürnberger Blättern“, einer Zeitung

für Philosophie und Literatur, herausgegeben von REINHARD KNODT, Hans-

Martin Schönherr, Ulrike Popp und Bernd Zeitler, ist wohl nicht ohne dahinterstehendes

Interesse die Nummer vom Januar 1986 im Archiv erhalten. Darin

findet sich von GODEHARD SCHRAMM, der bald eine bedeutende Rolle im Orden

spielen sollte, folgende in Auszügen mitgeteilte Kurzgeschichte, die noch nicht

viel mit seiner späteren Technik zu tun hat und dadurch sogar moderner wirkt:



Zum Steinerweichen

Von Godehard Schramm


In einer so verwahrlosten Gegend hatte sie ihn nicht erwartet. Sogar die

Straßenbahn schien hier nur widerwillig anzuhalten. Es verwunderte sie,

welche Stra.enzüge noch immer von Menschen angenommen wurden. Sie

war überzeugt, daß in solchen aufgegebenen Gebieten eine neue Wildnis

vordrang, deren augenfällige Gleichgültigkeit ihr nicht so rabiat vorkam

wie die kalte Härte von Neubausiedlungen. Vielleicht braucht er das, um

wieder einmal von vorne beginnen zu können.


Neugierig war sie auf Roland. Lange hatte sie nichts mehr von ihm im

Radio gehört. Daß er allein lebte, überraschte sie nicht.


Als hätte er sie erwartet: herzlich war seine Umarmung, von betörender

Leere seine Wohnung.


[…] „[…] Ich bringe die Steine zum Klingen — und sie verkünden

nichts anderes als die Wahrheit der Steine: Sie lassen keinen fremden Willen

herein, sie lassen sich nicht erweichen!“


„Höchstens zerbrechen —”, warf sie ein.


„Zerbrechen ja — aber nicht zerstören. Sie sind das letzte unzerstörbare

der Erde.“


[…]

Sie öffnete ihre Augen und sah Roland mit behenden, besessenen und

zugleich ruhigen, überlegten Bewegungen — bis er nur noch einen einzigen

Stein in der Hand hatte und mit diesem auf einem anderen rieb. Es

knirschte, es rieb, es stach — als höbe er die Schmerzen der Welt auf, als

glätte er das tosende Meer der Weltgeräusche.


Immer heller und leiser schien es in dem Raum zu werden. Erst als sie

die Fernsehkamera sah, erschrak sie.


Nun erst ging Roland auf einen der hereingekommenen Männer zu,

dann sagte er zu ihr: „Entschuldige! Daran hab ich gar nicht gedacht.“

Sie wollte ihm noch sagen, daß sie nie an den Komponisten denken

müsse, wenn sie Bach höre, doch da verlegten die Männer schon Kabel.


Als sie sich zum Gehen wandte, war seine Umarmung wieder so innig

und herzlich, so daß sie auch seinem letzten Satz glaubte: „Jetzt hab ich

dich gar nicht gefragt, was du machst.“



Daneben hielt man sich an die bewährten Kräfte. HILDEGARD MALTER-STURM

bat in anrührender Weiseum einen Leseabend für ihre Werke, den sie wohl als

eine Art Abschiedsveranstaltung auffaßte; WILHELM MALTER lieferte 1986 sein

letztes Irrhainspiel, bei dessen Aufführung er bereits zu krank war, um es zu

sehen. 1990 ist er gestorben.

„Grübel afm Houhastaa

(Grübel auf dem Hohenstein)

Spiel von Wilhelm Malter

[…] Dem Pegnesischen Blumenorden gewidmet.


Personen:

Conrad Grübel, Stadtflaschnermeister und Gassenhauptmann

in Nürnberg

seine Ehefrau

der Wirt vom Hohenstein

eine Nachbarin aus dem Schießgraben

ein Pegnese


[Der Kern der im übrigen völlig undramatischen Handlung ist die Benachrichtigung

an Grübel, er sei in den Orden aufgenommen worden. Ansonsten

dienen die Dialoge zum kaum motivierten Transport von Wissenswertem über

Grübel, über die Verhältnisse in Nürnberg und am Hohenstein und zu flachen

Scherzen über Handwerker und Wirtsleute, über Essen und Trinken. Die

Schreibweise des Dialekts ist der veralteten Grübelschen gemäß. Die zentrale

Szene, in ihrer rein informativen Knappheit fürs Theaterspiel völlig verschenkt

und sprachlich wie aus Akten abgeschrieben, auf Hochdeutsch, lautet:]


Pegnese: Gott zum Grusse! Habe ich die Ehre mit Herrn Stadtflaschnermeister

     Grübel aus Nürnberg?

Grübel: Ja, ja der bin i.

Pegnese: Mich schickt der Präses des wohllöblichen Pegnesischen

     Blumenordens. Ich habe die Ehre, Euch mitzuteilen, dass die Societas

     Florigerae ad Pegnesum Euch als vollwertiges Mitglied aufgenommen

     hat. Es ist Euch ab sofort gestattet, an den Sitzungen und sonstigen Ver-

     anstaltungen des Ordens teilzunehmen und dort Eure Meinung kund zu

     tun. Bei Zusammenkünften geselliger Art sind uns auch die Frauen

     unserer Mitglieder willkommen.

Grübel (mit tiefer Erregung): Meldet dem Präses meinen aufrichtigen

     Dank und meine grosse Freude über Eure Botschaft!

Pegnese: Ich empfehle mich mit dem Wahlspruch unseres Ordens: „Alles

     zur Ehre des Himmels, mit Nutzen erfreulich, in einen Ton einstimmend“


(Händedruck für Grübel, leichte Verbeugung zu den Damen) —

(Pegnese ab).“



HUGO BÜCHNER wurde sozusagen wieder in den Gnadenstand versetzt und

durfte am 4. Juli 1982 — natürlich mit KURT FUCHS als „Faust“ — sein Szenenpotpourri

aus „Urfaust“ im Irrhain aufführen.



„Verbindender Text zur Urfaust-Aufführung beim Irrhainfest 1982 von

Hugo Büchner

[gestempeltes Einlaufdatum: 24. April 1982]


In seinem fünfundzwanzigsten Lebensjahr,

Als er noch nicht der große Olympier war,

Er war zwar schon im ganzen deutschen Land

Durch seinen ,Götz von Berlichingen‘ bekannt,

Begann der junge Goethe zu schreiben

An einem Werk, dem er treu sollte bleiben

Bis in sein höchstes Alter hinein.

Das geschah noch in Frankfurt am Main.

Den alten Faust-Stoff macht’ er sich zu eigen.

— Wir aber wollen euch heute hier zeigen

Die erste Fassung, so gut wir’s können,

Die wir, wie üblich, den Urfaust nennen.

Drum laßt eure Phantasie hier walten

Und denkt euch unter den Bäumen, den alten,

Ein hochgewölbtes gotisches Zimmer jetzt

Und fühlt euch so recht da hineinversetzt!

Erst kommt Doktor Faust, dann sein böser Geist,

der, wie ihr wißt, Mephistopheles heißt.

---

(Nach der Schülerszene)

Mephisto führt nun Fausten fort

Und will ihn zerr’n von Ort zu Ort,

Will ihn, der was er ward nur durch Entbehren,

Des leichten Lebens seichte Freuden lehren. […]

---

(Nach der Szene „Straße“, in der Faust Gretchen zum erstenmal sah:)

[…] Ich bitt’ euch, fühlt euch hineinversetzt

Und denkt euch ein kleines reinliches Zimmer hier;

Dort sei ein Schrank und gleich daneben die Tür.

Gleich danach verlassen wir wieder das Haus;

Dann geht es auf eine Allee hinaus.

---

[…]

(Epilog:)

Da gehen sie hin, wo Gretchen liegt in Ketten,

Um sie aus dem Gefängnis zu befrein,

Doch können sie die Arme nicht mehr retten,

Obwohl sie in den Kerker dringen ein.

[…]

Und als er sie dort sieht, muß er erkennen:

„Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.“

Ja, er versucht’s, beim Namen sie zu nennen,

Zwar kann er ihre Ketten auch noch lösen;

Doch als sie zögert und Mephisto kommt,

Erkennt in diesem sie sofort den Bösen.

Da fühlt sie es, da es ihr wohl nicht frommt,

Mit Faust durch dessen Hilfe zu entfliehen.

Doch dieser reißt sich ungern los, dieweil

Mephisto, der nun Fausten mit sich zieht,

In Gretchen schon sein erstes Opfer sieht.

Er triumphiert lauthals: „Sie ist gerichtet!“

So scheint das arme Gretchen nun vernichtet.

[…]

Doch Goethe gab sich damit nicht zufrieden;

Drum hat das Manuskript er selbst vernichtet.

Er wußt’s, daß ihm die Lösung noch beschieden.

So hat das Werk er schließlich umgedichtet.

[…]


„Bote für Nürnberg-Land 19. Mai 1987


[…] Hugo Büchner wäre vor wenigen Tagen 65 Jahre alt geworden. Er starb in

Coburg an den Folgen eines zweiten Schlaganfalls. Seit 1983 befand er sich

aufgrund des ersten Schlaganfalls in vorzeitigem Ruhestand. Sein letzter Bühnenauftritt

war 1983 in Almoshof. Er stellte bei den Pegnesen Albrecht Dürer dar.“

Ein Sonderfall war Prof. Dr. HERMANN KUPRIAN. Er war von DR. VON HERFORD

zum Irrhainfest 1979 eingeladen worden, Frau FUCHS hatte ihm im November 1980

eine Dose Nürnberger Lebkuchen geschickt, und nach einigem Hin und Her

wurde für den 13. Oktober 1981 eine Lesung vereinbart.



„[Eingangsstempel:] 05. Jan. 1981


Weihnacht


Kälte liegt überm Land, dringt durch die Haut ins Herz.

Schneeflaum sinkt tief —

tiefer, als zu ertragen ist,

frierend —


Zäune umstehn den Stall, wo du das Kind gebarst.

Spitz ist der Zaun. —

Ach, Maria, wie wehrst du

Welt ab!


Aber wir wandern hin, wollen den Heiland sehn!

Gib uns das Licht!

Öffne Zäune und Stall — der Welt!

Öffne!


Kälte liegt überm Land, dringt durch die Haut ins Herz.

Schneeflaum sinkt tief —

tiefer, als zu ertragen ist…

Öffne!


H.[ermann] K.[uprian]“



„den 1. 6. 1984

Sehr geehrter Herr Prof. Dr. Hermann Kuprian!

Sehr geehrter Frau Vilma Kuprian!


Mit diesem Schreiben geht Ihnen die Nachricht zu, dass Sie Beide ab dem

1. Juni 1984 als ausserordentliche Mitglieder in dem Pegnesischen Blumenorden

e.V., Nürnberg, geführt werden. […]

Schriftführerin



Nürnberger Sudeten-Echo, 34. Jahrgang Nr. 9/September 1985

Der ,Pegnesische Blumenorden e.V.‘ […] auf Erfolgstour


Beim ,Irrhainfest‘ am 7. Juli 1985 um 14 Uhr im ,Irrhain‘ bei Kraftshof

kamen erstmals drei Teile des sechsaktigen Einakterzyklus ,Ahasver‘ von Professor

Dr. Hermann Kuprian, Innsbruck, zur Aufführung. Mitwirkende waren

Kurt Fuchs als Ahasver, Petra Mehlich als Ester und Esmeralda, Erika Pessler

als Berenike (Benigna und Fatima), Peter Woitas als Longinus (Longo, Long).

Die musikalische Umrahmung gab Alfred Lang. […]“



„Hermann Kuprian, Ahasver, Drama in ,Ereignissen‘


Sechs Einakter geben einen Streifzug durch fast 2000 Jahre Geschichte.

Ahasvers Sehnsucht nach Vollendung in der Evolution des Animalischen

zielt auf den ,Messias‘, den Vertreter eines unsterblichen Lebens, in dem die

Verschmelzung von Stoff und Geist nicht mehr zerfallbar ist. Denn alle sterben

an Fehlern. Da er Jesus zerfallen sah, glaubte er nicht mehr an ihn und

stieß ihn von sich, wofür er wandern und nach Vollkommenheit suchen muß.

Der Autor baute das Problem aus mit ,Ereignissen‘: zur Zeit Jesu, 600

Jahre später zur Zeit Mohammeds, nach weiteren 600 Jahren im Palazzo

Reale des Hohenstaufenkaisers Friedrich II. in Palermo, im 16. Jahrhundert

nach der Entdeckung Amerikas, im 18. Jahrhundert während der Französischen

Revolution und 1948 zur Zeit der Ausrufung des Staates Israel. […]“



„Mittelbayerische Zeitung Montag, 20. November 1989


[…] Mit dem Drama ,Ahasver‘ wird die Regensburger Schriftstellergruppe

International (RSGI) am Dienstagabend eines der letzten Werke des österreichischen

Dichters Hermann Kuprian, der im Januar dieses Jahres gestorben

ist, vorstellen: ein Stück, das einige Monate vor seinem Tod noch unter eigener

Mitwirkung des Autors in Tel Aviv/Israel uraufgeführt worden ist. Das

Dramen-Studio der RSGI wird dieses Stück um 19.30 Uhr in der Stadtbücherei

Regensburg, Thon-Dittmer-Palais, Haidplatz 8, darbieten: in szenischer

Lesung, bei der die Schauspielerin Vilma Kuprian (Innsbruck; die Witwe des

Dichters) die Rolle der Berenike übernehmen wird. Die Rolle des Ahasver,

des Ewigen Juden, übernimmt wieder Kurt Fuchs, Nürnberg. Die Rollen der

Esther und des Longinus lesen Petra Mehlich (Nürnberg) bzw. Anton Schreiegg

(Seestetten/Passau). […] Mitveranstalter die Stadtbücherei sowie die

Jüdische Gemeinde Regensburg und die Gesellschaft für christlich-jüdische

Zusammenarbeit […] [Kuprian] ist nicht zuletzt als Begründer des Begriffs

,Spirituelle Poesie‘ international bekannt geworden, wird aber ebenso als Dramatiker

beachtet, vor allem in Österreich viel aufgeführt […] Kuprian gehörte

22 Jahre lang der RSGI an (von ihr auch zum Ehrenmitglied ernannt). […]“



Mit der „Regensburger Schriftstellergruppe International“ hielt der

Blumenorden noch jahrelang bis zu deren Auflösung die Verbindung aufrecht,

und er tut es bis heute mit dem „Turmbund Innsbruck“.



Hans Hugo Weber war ein Kriegsinvalide, dem ein Bein abgeschossen

worden war. Er bekleidete eine Stelle als Bibliothekar im Germanischen

Nationalmuseum, war aber dort nicht recht glücklich. Er war überhaupt nicht

glücklich, sagte, er kümmere sich in historischer Weise bloß noch um die Vertreibung,

verachtete serifenlose Schrifttypen als „unedel“ und war, kurz gesagt, ein schwieriger

Mensch. Glückliche schreiben ja angeblich auch keine Lyrik. Wenn man ihn gelassen

hätte, hätte er ein halbes Jahr abend für abend aus seinen Werken und den von ihm

thematisch gesammelten Werken anderer deutschböhmischer Autoren vorlesen können.


Am 28. 4. 1987 gestaltete er dem Orden allerdings einen Abend in den Räumen

der Gesellschaft Museum.


„Hans Hugo Weber

Mein Ursprung


Wo Stahlgebälk aufragt in bleichem Dämmern,

Da habe ich zuerst die Welt erblickt.

Mein Leben wuchs umdröhnt von Eisenhämmern,

Und doch hat Ruß und Qualm es nie erstickt.


Im Stampfgedröhn, im stählernen Jahrhundert,

ist mir der Geist zur Fülle hingereift,

Und doch hat ihn — wie viele sind verwundert —

Maschinenkälte niemals noch gestreift.


Stahlreich, Gefild von stampfenden Maschinen,

Sind mir ein zweites Stück der Landschaft nur,

Und manchmal scheu ich, sehne mich nach ihnen,

Verrinnt mein Lebensschlag, tickt leis die Uhr.


(Meine Heimat ist Mährisch-Ostrau, wo ich am 15. 2. 1922 inmitten von

Fabriken und Bergwerken zur Welt gekommen bin, die Stadt des Eisens und

der Kohle.)



In den schlesischen Beskiden


Almglocken klingen auf bemoosten Weiden,

Bachwellen singen an den Uferscheiden,

Und auf schief geneigter Wächte

Steht in wirrem Strauchgeflechte

Hab zerfalln ein Wiesenstadel.


Sahst, du, fühltest du den Adel,

Der aus jenem Bergland spricht?

Sahst du nie das Spiegellicht,

Das auf kühlen Brunnen zittert,

Die von Farnesruch umwittert

Einsam im Verborgnen ruhn?

Bist du nie mit feuchten Schuhn

Über Weideland gestiegen?

Sahst du nie die Weite liegen

Hoch vom Bergesgipfel her?

Lagst du nie am lauten Wehr,

Wenn die Wasser bergher stürzend,

Alles Grün mit Frische würzend,

Schäumend drüberhin gerollt?

Warst du nie von lautrem Gold,

Ließ der Linde Bienensummen

Alles andre rings verstummen,

Märchenmittagshell umringt?

O so höre, wie es klingt!“



„21. 4. 1987

Sehr verehrter Herr Dr. von Herford,


Vielen Dank für die Übersendung der ,Lyrik-Mappe‘ des Grazers Wolfgang

D. Gugl. Ob es sinnvoll sei, mit ihm in weitere Verbindung zu treten,

kann allerdings nicht vom Inhalt dieses Heftes allein abhängig gemacht werden.

Der ist, ästhetisch betrachtet, von sehr unterschiedlicher Güte und entspricht

halt dem üblichen Sammelsurium von Wehleidigkeiten, das Dichter

unserer Tage mehr oder weniger geschickt in Formen zu gießen pflegen; und

diese bringen den Leser kaum über rein inhaltsbezogenes Lesen und anschließendes

Abhaken hinaus.


Gegen weitere Verbindung spricht: Es gibt eine Unzahl solcher Publikationen,

davon einige vergleichbare in unserem Nürnberg, die wahrscheinlich

längst nicht mehr existieren würden, wenn die (manchmal erheblichen) finanziellen

Opfer ihrer Herausgeber nicht aus öffentlichen Geldern mehr oder

weniger ausgeglichen würden. Hier handelt es sich also nicht mehr um eine

kunstliebende Öffentlichkeit von Privatleuten wie im 18. Jahrhundert, sondern

um eine — aus was für kulturpolitischen Gründen auch immer — künstlich

hergestellte und am Leben erhaltene Öffentlichkeit von Leuten, die irgendwelche

Funktionärsposten in Medien oder Ämtern haben. Geistige Inzucht also,

mit allen Begleiterscheinungen des Epigonentums. Daß wir als eine im

wesentlichen private Vereinigung da mithielten, wäre nur dann sinnvoll, wenn

wir gar keine andere Möglichkeit mehr sähen, eigene Hervorbringungen

anderwärts bekannt zu machen. Und Graz ist auch nicht mehr das, was es zu

Zeiten des jungen Handke einmal war. Diese ,Lyrik-Mappe‘ beweist's.

Dafür spräche: Ein Netz von Beziehungen aufzubauen, die uns nichts

kosten, schadet nie; und wenn uns nicht gefällt, was in den Heften steht, können

ja wir etwas einsenden, so wir etwas haben. Jedenfalls stehen wir gegenüber

den Kulturbehörden um so besser da, je mehr Namen und auswärtige Verflechtungen

wir vorweisen können, falls wir einmal etwas von ihnen wollen.


Das einzige, was verwaltungsmäßig mit Kultur befaßte Menschen offenbar

kümmert, ist der Grad an Betriebsamkeit, die eine Vereinigung entfaltet.

[…]

Ich grüße Sie mit besonderer Hochachtung und wünsche Ihnen österliche

Freude

Ihr Werner Kügel“



Leider habe ich seither dieser Einschätzung nichts hinzuzufügen gehabt.



„8. 11. 1987

Sehr verehrter Präses, Herr Dr. von Herford!


Zur Gestaltung von Vortragsabenden im Jahre 1988 kann ich zwei Gegenstände

anbieten:

1. Gedichte unseres amerikanischen Freundes Prof. Horst Ludwig im Vergleich

mit einzelnen Gedichten Trakls und Rilkes;

2. Abriß der Geschichte des P.Bl.O. anhand seiner Satzungen von 1699-1933.

Ich bitte, mir zwei Abende zuzuweisen, wobei ich zu Punkt 1) um bevorzugte

Einteilung nachsuche.

W. Kügel“



HORST LUDWIG, Ass. Prof. am Gustavus Adolphus College in St. Peter,

Minnesota, hatte zufällig vom Blumenorden gehört und sich mit der Bitte um

weitere Information mit Brief vom 15. Mai 1986 an den Präses gewandt.


Das am 1. März 1987 neu aufgenommene Mitglied KÜGEL wurde mit der

Fortführung des Briefwechsels betraut.


Über dunstverhüllte Straßen

nicken träge Peitschenmasten,

Lichte in den Vorhang fassen,

Schemen unter Mauern hasten.


Umgeht heiser böses Zischen,

Schreien hinter gelben Scheiben,

rasche Wörterfetzen treiben

dumpfes Husten aus den Nischen.


Bleiverducktes Motorsurren

huscht verlöschend vor zum Grauen,

vagen Lachens irres Gurren

fällt beschattet bleich auf Frauen.


Kehrt man in die Schenke ein,

flackern müde Augenlider.

Und von seiner Mitte bieder

grüßt den ächsten Bruder Kain.

[…]


Und daß man niemals

einfach spielen soll

unter den kahlen Eichen

im Buschwerk modernd

sanften Novembernächten

denn stiller noch Freund

scheinen die Gräber

dem Sinnenden die sinnlosen

wir müssen den Rückstieg wagen

auch Denkmale sind

geschützt und nur

solange sie nützen



Ich hielt also am 19. 4. 1988 einen Vortrag über LUDWIGs Verse. Die Be-,

besser: Verurteilung dieses Abends durch Frau FUCHS im Jahresbericht unterstrich

sie in einer Anwandlung dessen, was ihr als "rheinischer Humor "zugutegehalten

zu werden pflegte, mit einer zungeheraushängenden Grimasse auf

mein bestürztes Gesicht und wies höhnisch mit dem Finger auf mich. Ich ging

sofort hoch wie ein Zündhütchen und verwahrte mich als Literaturwissenschaftler

von immerhin 18 Semestern Studienzeit und anhaltender Beteiligung

am Oberseminar dagegen, daß meine Art, HORST LUDWIGs lyrischen Stil zu

charakterisieren, als pedantisch und uninteressant bezeichnet worden war.

Herr VON SCHEURL sagte mir nachher, ich hätte mit meinem Protest besser

warten sollen; er sei schon drauf und dran gewesen, mich in Schutz zu nehmen.

So brachte ich HERFORD in die unangenehme Lage, seine Haupt-

Ansprechpartnerin im Orden coram publico zurückpfeifen zu müssen.  Wieder

was dazugelernt. Ins Protokoll wurde dann aufgenommen:


Der Vortrag, der in verältnismäßig kleinem Kreis stattfindet, aber guten

Anklang findet, wird vom Präses als eine Art der Arbeit bezeichnet, die im

Blumenorden häufiger stattfinden dürfte. Es existieren davon zwei Tonbandaufnahmen

im Besitz des Ordens; eine Überspielung hat Herr Ludwig erhalten.

Er hat sich seither brieflich mit den versuchten Deutungen einverstanden

erklärt.“



HORST LUDWIG hat sich seither zum mehrfach ausgezeichneten Haiku-Spezialisten

entwickelt.



Der Sog des Jubiläumsjahres



Zur 350-Jahr-Feier des Pegnesischen Blumenordens sollten eben auch

dichterische Hervorbringungen vom unentwegten Fortleben der Gesellschaft

Zeugnis ablegen. Aus dem Tagesgeschäft von Lesungen und Briefwechsel war

die Aufgabe nicht zu bestreiten.


Zunächst stellte Inge Meidinger-Geise eine Anthologie von Texten aus

dem Blumenorden zusammen, die schließlich in die Festschrift aufgenommen

wurde. Die zweite poetische Besonderheit sollte das Irrhainspiel werden.



„22.9.1993

Lieber Herr Dr. Schramm,


Wie vereinbart, schicke ich Ihnen den ,Canevas‘ für ein Festspiel zum

350jährigen Bestehen des Pegnesischen Blumenordens. Die Vorgeschichte

habe ich auch kurz dazugesetzt, damit Sie nachvollziehen können, warum die

Bitte um Beteiligung an Sie ergangen ist. Ich bedanke mich jedenfalls schon

einmal recht herzlich für Ihre Bereitschaft, sich die Sache einmal wohlwollend

zu überlegen.


Wir haben bis zum 5. Juli 1994 das Festspiel zu erstellen. Wie die Festschrift

auch, soll es eine Gemeinschaftsleistung werden. Dafür sind wir schließlich

ein Orden und kein Schriftstellerverband, in dem sich die Individualisten

fortwährend streiten müssen. Es entspricht der Überlieferung seit den gesellig

verfaßten Prosaeklogen des 17. Jahrhunderts, daß sich mehrere

zusammensetzen, aber im Unterschied zur Festschrift müssen es im Fall des

Festspiels nur drei sein: ein Fachmann für den geistigen Hintergrund des

Ordenslebens, so wie man es gern wieder hätte (den spiele mit Vorliebe ich);

ein Fachmann für die Inszenierung (dafür haben wir den als vorzüglichen

Handwerker des Körper- und Sprechtheaters weithin geschätzten Werner Müller

gewonnen); ein Fachmann für den Dialog.


Es wäre wirklich sehr schön, wenn Sie sich dieser Aufgabe annähmen. Wir

wissen keinen Besseren. […]

Herzliche Grüße Werner Kügel


Besprechung vom 8. 11. 1993

Motto des Festspiels: Die Begriffe in Ordnung bringen, bevor das Land verdirbt.

Dazu Anfang auf der Naturbühne in der Form eines Weihespiels (Einfall

Werner Müller), in dem es erhaben und falschtönend zugeht. Werner Kügel

wird beauftragt, einen entsprechenden Text aus den Archivalien des Ordens

beizubringen. Dieser wäre gegebenenfalls zu verändern und zu kürzen;

Gesamtdauer etwa drei Minuten. Das Spiel endet unter verlegenem Gelächter

eines der Spieler, in das die anderen einfallen; das Publikum wird unter

Anführung des Mottos eingeladen, sich einem von zwei Zügen anzuschließen.

Der kürzere Zug führt unmittelbar vor das Eingangsportal, der längere ein

Stück über die Felder. Beiden ist gemeinsam, daß an den Seiten in bestimmten

Abständen Sprecher stehen, die etwas versetzt einen bestimmten Text sprechen,

sodaß er gleichzeitig von mehreren Orten aus zu hören ist. (Technik von

Mnouchkine.) Der Text stammt von Heidegger: Der Feldweg‘. (Einfall von

Godehard Schramm.) Sein Ergebnis ist: ,Der Verzicht nimmt nicht, er gibt.‘

Es schließen sich Szenen an verschiedenen Orten des Irrhains an. Die Auswahl

aus den bisher aufgestellten nachfolgenden Möglichkeiten ist noch nicht

getroffen. […]



9.11.1993

Godehard Schramm schien sich zu Beginn auf die bisher vorliegenden

Entwürfe überhaupt nicht zu beziehen, obwohl er angab, sie mehrmals genau

gelesen zu haben, und entschuldigte sich für den anfänglichen Mangel an Einfällen

mit dem Hinweis auf vielfältige andere Aktivitäten. Er möchte schon

mitmachen, kann aber nur bearbeiten, was bei ihm selber Ergriffenheit hervorruft.

Seine ersten Vorschläge waren daher von politischer Thematik besetzt,

und erst allmählich gelang es mir, ihn davon zu überzeugen, daß der Blumenorden

mit Blick auf die Zukunft ein Recht habe, sich zu feiern als das was er

sein soll, nicht das, was er ist. Es war sehr hilfreich von Werner Müller, mich

in diesem Stadium des Gesprächs zu veranlassen, daß ich aus dem bisherigen

Material die für den Orden wesentlichste Devise herausgreifen solle. Daraufhin

arbeitete Schramms Phantasie erst einmal in rein buchgemäße Richtung,

bzw. in Richtung auf eine Ausstellung von Pegnesentexten, die, auf Tücher

gemalt, den Weg durch den langen Gang begleiten sollten. Ich wies das im

Hinblick auf den erwünschten Spielcharakter zurück und stellte in Aussicht,

daß man so etwas ja in Zukunft machen könne. (Erinnerte auch an das heute

verschwundene Innenportal mit der Aufschrift ,Irret nicht‘.) Werner Müller

unterstützte mich bei der Ausmalung der bildkräftigen Wirkung, die von dem

Spiel ausgehen solle. […]

Er gab Beispiele aus seinen jüngsten Inszenierungen

in Venedig und auf verschiedenen Stadtfesten. Auf diese Weise endete der

Abend auf einer optimistischen Note, wenn mir auch jetzt nachträglich Zweifel

kommen, ob Schramm für unser Projekt der geeignete Mitarbeiter ist. Man

mü.te ihm eine gewisse säuerliche Besinnlichkeit ausreden. Werner Müller

seinerseits neigt ein wenig zu volksweiser Unverschämtheit im Sinne Till

Eulenspiegels. Meine Schwäche ist die pompöse Entwicklung geringfügiger

Denkanstöße bei feststehendem Begriffsapparat. Man wird sehen, ob eine solche

Gruppe etwas Gutes zustandebringt.


[Das Resultat wurde am 2. Juli 1994 vom Bayerischen Fernsehen aufgenommen

und in der Serie "Land und Leute" gesendet. Außerdem gibt es privat erstellte

Videos, die den Weg ins GNM finden werden.]


Zunächst haben wir uns bis Februar vertagt. Ich habe Godehard

Schramm angeboten, daß er einen Text, den er preisgünstig veröffentlichen

will, an mich liefern kann zum Scannen und Setzen, weil ich merkte, daß ihm

das Honorar für Werner Müller und seine Truppe ein wenig aufstieß. Er

möchte, obwohl Mitglied, nicht ganz gratis arbeiten. Ich kann ihm aber kein

Honorar in Aussicht stellen, höchstens Sachleistungen.“



Es war nicht das einzige Buch, das ich ihm, der zunächst noch keinen

Rechner hatte, von den Schreibmaschinenseiten abscannte, die fehlerhaften

Scandateien nach dem Typoskript korrigierte, das ganze dann auf Diskette

speicherte und ihm übergab, damit er es beim Verlag einreichen konnte. Ich

glaube, er konnte langfristig zufrieden sein.



JOHANNES GEIGER, der auf der Liste seiner Partei (natürlich der CSU) der

Nachrücker für Dagmar Wöhrl auf einen Sitz im Nürnberger Stadtrat war und

diesen auch erhielt, nachdem sie Bundestagsabgeordnete geworden war,

schrieb sich und uns ein Jubelgedicht, das auch in den Zusammenhang der

„Verschronik des Jubiläumsjahres“ gehört. (Aber die folgt getrennt.)


Im Monat der Einheit

Johannes Geiger


Wer im Stadtrat landet am Ende des Monats

weil die Wöhrlsche — die Missis aus Nürnberg

nach Bonn zieht, glaubt an den Goldnen Oktober


Von Birken befeierte Nürnberg und dichtete

glanzvoll vom Reich mit jungen Pegnesen

die Schweden sind weg und die Einheit bewahrt


Im Grippemonat Kreuze verteilt und verschnupfte

Redner mit Plänen für morgen

Warum nicht das Schatzkästlein heben


Als Preußens Gloria und Bismarck

Weichen für Nürnberg stellte

Gabs die Einheit bereits mit Schiller und Goethe


Hoffmann, und Mönnich, Priem und Merz

in den Worten von Knapp hatten in dreißig Jahren

Nürnberg zur Stadt der deutschen Einheit gemacht


Von Scharrer bis Schwanhäußer, alles von Rang

zahlte und förderte und bracht es ins Land

Welch Verdienst es war, Sprache und Dichtung


Für Deutschland zu pflegen ohne Haß

im Dienste der Großen die an der Pegnitz

versammelt zur höheren Ehre des Himmels


In einen Ton einstimmend die Pfarrer und Lehrer

die Dichter und Händler mit Nutzen erfreulich

und der verantworteten Freiheit verpflichtet


Im dreihundertundfünfzigsten Jahr

im neugeschaffenen Staat sind es die

Herfords und Kügels, die Zagels und Schramms


Viele andere in der Postleitzahl 904 beheimatet

für die gilts zu danken und daß es jetzt los geht

wissen wir alle im Geiste der Freundschaft in dieser Zeit


Nürnberg, 30. Oktober 1994